Begegnung

[50] Mich führte durch den Tannenwald

Ein stiller Pfad, ein tief verschneiter,

Da, ohne daß ein Huf gehallt,

Erblickt ich plötzlich einen Reiter.


Nicht zugewandt, nicht abgewandt,

Kam er, den Mantel umgeschlagen,

Mir deuchte, daß ich ihn gekannt

In alten, längst verschollnen Tagen.


Der jungen Augen wilde Kraft,

Des Mundes Trotz und herbes Schweigen,

Ein Zug von Traum und Leidenschaft

Berührte mich so tief und eigen.


Sein Rößlein zog auf weißer Bahn

Vorbei mit ungehörten Hufen.

Mich faßt's mit Lust und Grauen an,

Ihm Gruß und Namen nachzurufen.


Doch keinen Namen hab ich dann

Als meinen eigenen gefunden,

Da Roß und Reiter schon im Tann

Und hinterm Schneegeflock verschwunden.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 50.
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