Stapfen

[110] In jungen Jahren war's. Ich brachte dich

Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast,

Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte,

Du zogst des Reisekleids Kapuze vor

Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.

Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich

Dem feuchten Waldesboden deutlich ein,

Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord,

Von deiner Reise sprechend. Eine noch,

Die längre, folge drauf, so sagtest du.

Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug

Das Angesicht verhüllend, und du schiedst,

Dort wo der First sich über Ulmen hebt.

Ich ging denselben Pfad gemach zurück,

Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit,

In deiner wilden Scheu, und wohlgemut

Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn.

Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain

Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch

Dem feuchten Waldesboden eingeprägt,

Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste,

Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft,

Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß!

Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem

Zurück dieselbe Strecke Wandernden:

Aus deinen Stapfen hobst du dich empor

Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs

Erblickt ich mit des Busens zartem Bug.

Vorüber gingst du, eine Traumgestalt.

Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,

Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel.

Da überschlich mich eine Traurigkeit:

Fast unter meinem Blick verwischten sich

Die Spuren deines letzten Gangs mit mir.


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 110.
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