Conquistadores

[185] Zwei edle Spanier halten Wacht

Und einer spricht zum andern:

»Señor, mir deucht, der Teufel lacht,

Wie wir ins Leere wandern!

Das Segel bauscht, es rauscht der Kiel,

Noch keines Strandes Boten –

Die Hölle treibt mit uns ihr Spiel,

Wir fahren zu den Toten!


Wer einem Genuesen traut,

Hat den Verstand verloren!

Die Klugen hat er schlecht erbaut,

Doch lockt' er alle Toren –

Rund sei die Erde, log er mir,

Wie Pomeranzenbälle,

Doch unermeßlich flutet hier

Nur Welle hinter Welle!«
[185]

Der andre blickt ins Meer hinaus

Und runzelt finstre Brauen:

»Señor, mich zog Columb ins Haus,

Ließ mich die Karten schauen,

Was er doziert', verstand ich nicht,

Ich ließ es alles gelten –

Sein übermächtig Angesicht

Verhieß mir neue Welten!


Ist er ein Narr und haben wir

Uns in das Nichts verlaufen,

Ein räud'ger Hund, Señor, wie Ihr,

Darf fröhlich mit ersaufen!«

– »Señor, da betet Ihr nicht gut!

Zurück Euch in den Rachen

Den räud'gen Hund! Ihr raucht von Blut

Und risset aus den Wachen!«


»Señor, ich dolcht ein falsches Weib,

Bekenn ich unverhohlen!

Nicht hab dem Bäcker einen Laib

Vom Brett ich weggestohlen!

Señor, Ihr seid ein Galgenstrick!«

– »Señor, Ihr seid nicht besser!«

Sie ziehen mit entflammtem Blick

Und kreuzen blanke Messer...


Da zwischen ihre Messer walzt

In tollem Freudensprunge,

Mit ölgetränkten Fingern schnalzt

Miguel, der Küchenjunge.

Er drückt die Lider blinzelnd ein

Mit schlauem Wimperzwinken,

Bald hüpft er auf dem rechten Bein,

Bald hopst er auf dem linken,


In Lüften bläht sich sein Gewand,

Es puffen ihm die Hosen –

Neugierig kommen hergerannt

Soldaten und Matrosen.

Der Junge redet kunterbunt,[186]

Als ob's im Kopf ihm fehle,

Dann öffnet er den großen Mund

Und singt aus voller Kehle:


»Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,

Stimmt Laudes an und Psalmen!

Und wenn's mir nicht vor Freude stirbt,

Bald weidet's unter Halmen!

Ich schwör es euch bei Gottes Haupt:

Es atmet duft'ge Weiden,

Es wittert Wälder dichtbelaubt

Und unermeßne Heiden!


Erlauchte Herren, gebet acht,

In meinem engen Räumchen

Hat unsre Meerfahrt mitgemacht

Ein andalusisch Heimchen –

Mitnahm ich's aus dem Vaterland,

Mich scheidend zu beschenken,

Ich fing's mit flinkem Griff der Hand

Zu einem Angedenken.


Da wir zu Schiffe stiegen dort,

Die Zierden aller Lande,

Zirpt' Heimchen mir im Busen fort,

Als weidet's noch am Strande.

Das grüne Vorgebirg verschwand,

Dem Heimchen ward es schaurig,

Beklommen saß es an der Wand

Und wurde faul und traurig.


So darbt's und dämmert's langezeit,

Schon gab ich es verloren,

Und nun, bei meiner Seligkeit,

Ist Heimchen neugeboren!

Bedenkt, es hockte gram und lahm

An Dielen und an Wänden,

Jetzt jubelt's wie ein Bräutigam

Und kann nur gar nicht enden!«
[187]

Miguel ist fort und wieder da,

Die Fingerspitze zeigend:

Da sitzt es ja! Da singt es ja!

Die Spanier lauschen schweigend –

Dann sinnen sie der Sache nach,

Den Lustgesang im Ohre,

Sie schütteln sich die Hände jach

Und schrein in wildem Chore:


»Das Heimchen zirpt! Das Heimchen zirpt!

Bald schwelgen wir in Beute!

Wer spielt, gewinnt! Wer wagt, erwirbt!

Wir sind gemachte Leute!

Die Küste winkt! Das Gold erblinkt,

Davon die Sagen melden!

Das Morgen steigt! Das Gestern sinkt!

Wir sind berühmte Helden!«


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 185-188.
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