Papst Julius

[193] Halb vom Hades schon bezwungen,

Von Lemuren schon umschwebt,

Hat er doch sich losgerungen –

Sieh, er atmet! Sieh, er lebt!

Hinter seinen greisen Brauen

Flammt's! Jetzt langt er nach dem Bart,

Zürnt und schilt den Tod mit rauhen,

Ungestümen Worten hart:


»Weg mir aus dem Angesichte,

Larven, die mir bleich gedroht!

Charon, aus dem Sonnenlichte

Weg ins Schilf mit deinem Boot!

Keine Macht ist dir gegeben,

Bis ich selbst dich rufen mag!

Heute hab ich noch zu leben

Einen vollgedrängten Tag!


Arzt, statt deiner faden Tropfen

Gib mir des Falerners Glut!

Lasse meine Pulse klopfen,

Wirf mir Feuer in das Blut!

Auf die Türen! Weg die Kissen!

Meine Feldherrn, tretet ein!

Meine Meister, laßt sie wissen,

Daß sie dreifach emsig sein!


Regst, Bramante, die geschickten

Hände du? Vollende doch!

Diese Augen, sie erblickten

Gerne deine Kuppel noch!

Michelangelo, willkommen!

Warum schaust du wieder scheel?

Dort erblick ich meinen frommen,

Meinen süßen Raffael!


Als den Hirten nicht des Lammes,

Bildet mich als Mosen ab,

Der den Dränger seines Stammes[194]

Niederschlug mit wucht'gem Stab –

Wo die Wasserstürze tosen

In die Brunnenschale jach,

Setzet, Meister, mich als Mosen,

Der die Felsenwand zerbrach!


Moses bin ich in dem Blitze

Sinais, in Rauch und Dampf:

Meine donnernden Geschütze

Enden flammend jeden Kampf!

Mit den neugegoßnen Stücken

Bring ich Burg und Stadt zu Fall,

Schmettre Breschen, breche Lücken

In den stärksten Mauerwall!


Falkner, sprich, was macht mein Sperber,

Der die Klaue sich zerstieß?

Marschalk, sag, wie lebt mein Berber,

Den zu scharf ich jagen ließ?

Tummelt, Diener, zum Ergötzen

Mir im Hof ein feurig Tier!

Laßt es springen, laßt es setzen

Vor den alten Augen mir!


Helmt mir die gefurchte Stirne!

Harnischt mir die welke Hand!

Der Italien macht zur Dirne,

Jagt den Fremdling aus dem Land!

Reicht ein Schwert! Ich will es retten!

Ruft, Drommeten, ruft zur Schlacht!

In der Faust zerrißne Ketten,

Schreit ich durch des Hades Nacht!«


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 193-195.
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