XI
Der Ritter ohne Furcht und Tadel

[383] Als in Pavia ich studierte, ward

Mir dort gezeigt der tapfre Held Bayard.


Der »Ritter ohne Furcht«, der nie geflohn,

Befehligte die welsche Garnison.


Nach längst verschollnen Moden trug er sich,

Er und sein Knappe schritten feierlich.
[383]

Die abgekommne Cortesie erhob

Er hoch und seufzt': »Das junge Volk ist grob!«


Entgegen hielt den Spiegel zücht'ger Zeit

Er unsrer heut'gen Ungebundenheit.


Zu Grabe werde, gab er zu verstehn,

Mit ihm der letzte wahre Ritter gehn.


Lang, hager, würdevoll, galant mit Fraun,

Dabei ein bißchen komisch anzuschaun,


Hob er den Zeigefinger, wann er schalt,

Als eine unvergleichliche Gestalt.


Man grüßte tief und raunte sich ins Ohr,

Der »Ritter ohne Tadel« sei ein Tor.


Doch, daß ich sein gespottet, reut mich schwer;

Denn, Hutten, bist du nicht ein Tor wie er?


Ins Abendgold hat er zurückgeschaut –

Dein Auge späht, wo kaum der Morgen graut.


Dein Ohr vernimmt durch Nebel und durch Nacht

Den Siegesjubel einer künft'gen Schlacht.


Wie Mittagsglut hast du den Strahl verspürt,

Der kaum der Berge Spitzen noch berührt.


Bayard sah das Entschwundene verschönt,

Bayard, den du mit manchem Witz verhöhnt!


Er war ein Narr der eignen Phantasie

Die Zukunft aber, Hutten, kennst du die?


Wer weiß, erlebst du noch die neue Welt,

Ob sie dem fränk'schen Edelblut gefällt!


Wer weiß, ob nicht das Ziel, drob du verscherzt

Der Erde Güter, ist's erreicht, dich schmerzt?
[384]

Bayard, der ohne Furcht und Tadel war,

Vergib! Reich mir die Hand! Wir sind ein Paar.


Wir sind ein fahrend Ritterpaar, Bayard,

Und taugen beide nicht zur Gegenwart.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 383-385.
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