IX
Epistolae obscurorum virorum

[381] Wir scharten uns zu lust'gem Mummenschanz,

Kapuzen über vollem Lockenkranz!


Wir trugen Pfaffenlarven heuchlerisch

Und blitzten draus mit Augen jugendfrisch.


Wir schlurften tappig mit Sandalentritt,

Wir äfften nach bis auf der Kutte Schnitt.


Gründlich studierten wir beim Becherklang

Der Mönchlein närrischen Gedankengang.


Die Dummheit haben wir mit Witz verziert,

Die Torheit mit Sentenzen ausstaffiert!


Wir haben sie zum Spott der Welt gemacht,

Wir haben uns und sie zu Tod gelacht!


Zu Tode? Nein. Wir haben sie geweiht

Aristophanischer Unsterblichkeit.


Schleiferius! Caprimulgius! Ochsenhorn!

Schlaraff! Der saubre Täufling Pfefferkorn!


Wir brachen keck in ihre Zellen ein

Und hausten schlimm in ihrem Bücherschrein.


Wir sprachen ihr Latein – ergötzlich Spiel –

Und Briefe schrieben wir im Klosterstil:
[381]

»Laetificor archiangelice

Cum una speciosa virgine!«


Hellauf! Der Narrenglöcklein schriller Schall!

Und heißa, hussa, Jagd und Peitschenknall!


Die Pfaffen sprangen über Stock und Stein,

Der Esel bockte, grunzend lief das Schwein.


Du Fest der jugendlichen Grausamkeit,

Verklungen bist du längst! Streng ward die Zeit.


Als wir im losen Mummenschanz getobt,

Da hat man unsres Witzes Salz gelobt;


Doch als die Wahrheit wir im Ernst gesagt,

Da wurden wir, die Jäger, selbst gejagt.


Wir irren heimatlos, geächtet, arm

Und essen fremdes Brot in Not und Harm.


Die Pfäfflein, denen unsre Hetze galt,

Sie tafeln alle noch gesund und alt.


Die Mönchlein, die wir kniffen bis aufs Blut,

Sie bechern alle wieder wohlgemut;


Und schneidet eines apfelschälend sich

Und quillt ein Tropfen Bluts bescheidentlich,


So stöhnt es: »Würd'ge Brüder, schauet hier!

Das blut'ge Märtertum erleiden wir!«

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 381-382.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Huttens letzte Tage
Huttens letzte Tage. Eine Dichtung.
Conrad Ferdinand Meyer: Huttens letzte Tage / Das Amulett/ Der Schuß von der Kanzel
Huttens letzte Tage, Engelberg

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon