V
Konsultation

[377] Gib deine Weisheit kund! Was ist der Schluß,

Mein Gastfreund, Seelenhirt und Medicus?


Berichtet hab ich dir, was ich vermocht,

Du hast mir lauschend an die Brust gepocht.


Wie steht's? Sag an! – »Herr Hutten, Eure Kraft

Erliegt dem Stoß der Herzensleidenschaft


Und Euer Geist, das scharfe Schwert, zerstört

Den Leib, die Scheide, die zum Schwert gehört.


Des Leibes strengstes Fasten tut es nicht,

Solang die Seele noch die Fasten bricht.


Beschränket Euch auf dieses Eiland hier!

Horcht nicht hinaus, horcht nicht hinüber mir!


Vergesset, Ritter, was die Welt bewegt

Und Euch in jeder Fiber aufgeregt!


In dieser Bucht erstirbt der Sturm der Zeit:

Vergesset, Hutten, daß Ihr Hutten seid!«


Für deinen weisen Ratschlag habe Dank!

Ich sehe schon, ich bin zum Sterben krank.


Wie? Wenn der Papst die Christenheit betrügt,

So ruf ich nicht: Der arge Römer lügt?


Wie? Wirft die Wahrheit auf ihr kühn Panier,

So jubl ich nicht auf meiner Insel hier?


Wie? Springt ein deutsches Heer in heißen Kampf,

So atm und schlürf ich nicht den Pulverdampf?
[377]

Wie? Sinkt der Sickingen, bedeckt mit Blut,

So brennt mich's nicht, wie eigner Wunde Glut?


Freund, was du mir verschreibst, ist wundervoll:

Nicht leben soll ich, wenn ich leben soll!
[378]

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 377-379.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Huttens letzte Tage
Huttens letzte Tage. Eine Dichtung.
Conrad Ferdinand Meyer: Huttens letzte Tage / Das Amulett/ Der Schuß von der Kanzel
Huttens letzte Tage, Engelberg