XXXIV
Erasmus

[409] Frau Schwermut setzt sich heute neben mich

Und raunt mir zu: »Die Menschen lassen dich.


Du bist ein halbzertrümmert Kriegsgerät,

An dem man achtungslos vorübergeht.


Die Freunde wenden sich von dir mit Scheu,

Nur deine Feinde bleiben dir getreu.
[409]

Du warst zu kühn, und schreckst du dich erbleicht,

So wird es dir und wird den andern leicht«...


Der Schiffer kommt. Freund! Was ist dein Gesuch?

– »Hier, Ritter, bring ich etwas wie ein Buch.«


Versiegelt ist's. Von wem? Ich weiß es nicht.

Die Hand, sie zaudert, die das Siegel bricht.


Schickt, Büchlein, dich ein Freund, mich zu erfreun?

Ein Feind, mir alte Wunden zu erneun?


Ich, sonst so kampfgewöhnt und wetterhart,

Auf dieser stillen Insel werd ich zart,


Und dessen Hand so rasch zum Schwerte fuhr,

Friedselig werd ich hier wie die Natur.


Wie? Hutten zagt? Enthieltst du Gottes Spruch

Und Urtel selbst, ans Licht, verhülltes Buch!


»Erasmus gegen Hutten. Offner Brief.«

Recht! Hutten und Erasmus wäre schief.


Latein ist gut! Latein verdient ein Lob!

Glatt, elegant... Potz Blitz, da wird es grob!


»Zerlumpter Ritter!« redest du mich an,

Betitelst mich »verkommener Kumpan!«


»Zerlumpter Ritter!« Ein erbaulich Bild!

Mißgönnt der Bankert mir das Wappenschild?


Ich Hutten weiß, wieviel die Tinte tut,

Doch mehr vermag ein dreister Reutersmut!


Der Römling, der in unsern Landen haust,

Erbleicht vor der geschienten Edelfaust!


»Potator, aleator«... Geht's auf mich?

Du munkelst, deutelst, heuchelst – schäme dich!
[410]

Und hier... und hier – nicht möglich! Büchlein, schweig!

Ein Musenliebling! Und so schlecht und feig!


Erasmus rät den Zürchern – niedrig Tun –

Mir zu verbieten, hier mich auszuruhn.


Mich aufzunehmen in des Gastes Recht,

Gefährlich sei's! Du kennst die Zürcher schlecht!


Das alles, weil ich, der du brav mir schienst,

Dich werben wollte für der Freiheit Dienst.


Mann, wären nicht gezählt die Tage mir,

Zu Basel auf die Bude stieg' ich dir!


Ich zöge dich mit diesen Armen, glaub

Es mir, hervor aus deinem Bücherstaub.


Doch, zittre nicht! dir sollte nichts geschehn,

Ich würde nur dir Aug in Auge sehn.


Dein edles Wissen, spräch ich, liegt dir tot,

Du bietest Gold und wir bedürfen Brot!


Die Menge hungert, ahntest du es nie?

Hervor mit deinen Schätzen! Sätt'ge sie!


Dein Denken, spräch ich, ist ein eitler Traum,

Wächst drangvoll nicht daraus ein Lebensbaum...


Was willst du? Weihrauch? Ehrerbietung? Gern.

Du bist ein großes Licht, ein heller Stern!


Vor deinem Ruhme beugt der Hutten sich –

Nun aber, großer Mann, ermanne dich!


Die Satyrmaske lege sie beiseit –

Ein offnes Antlitz fordert unsre Zeit.


Freund – alles ist vergeben, rede frei!

Ich schütze dich vor Papst und Klerisei!
[411]

Du kennst die Wahrheit, übe nicht Verrat,

Gib Zeugnis! Wage eine Mannestat!


Bekenn, Erasme, ob du ein Papist,

Ein Römer oder evangelisch bist!


Kein Drittes! Gib in großem Stile dich!

Du kneifst die Lippen – bist du unser? Sprich!...


Dein schlaues Auge blickt mich spöttisch an?...

Vale, Erasme! Tot und abgetan!

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 409-412.
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