Vierzehntes Kapietel
Das Bacchanal

[38] Evoë, Pastor Twintichsöth, Evoë.

»Hilligenlei«, so hieß denn auch das Buch, das Pastor Twintichsöth gedichtet hatte, und das Lager der norddeutschen Hausfrau hallte wieder.

Evoë, Kuddl Twintichsöth, Evoë.

War da nich schwachz auf weiß das Welträtsel gelöst!?!

Und wie schlicht laach es nu da mit eins, das Evangelium!

Pastor Twintichsöth hatte es mit mutigen Worten gesaacht, trotz Jakob Böhme, Georg Gichtel, Pordadge und Kerning:

»Jesus! Ach, war doch 'n ganz einfachen Mann.

Und die Bibel?

'n schön, awa ungeordnet Buch, nöch? Muß ma geordnet werden, nöch?

Und das Gleichnis vom valornen Sohn?! Achott, hat Jesus als Kind ma 'n ßtolzen Bauernsohn in Lumpen nach Hause kehren sehen.

Mußte ihm ßtaark auffallen; – nöch? Is doch klar.

Nöch? –

– Nu und der Prophet Jesaias? –[39]

War doch 'n Friseur, – nöch?«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aus allen Gauen waren sie zusammengeßtrömt, die deutschen Hausfrauen, und ßtanden versammelt auf dem Gänsemarkt in Hamburch.

Das blonde Haar schlicht gescheitelt.

In Reformkleidern aus Lodenßtoff – zum hochknöpfen, – und Prunelleßtiefeln. Thyrsosstäbe in den Händen.

»Achch, achch, is 'n süßes Buch, Hilligenlei, und denn ächte teutsche Dichtkunst, Pastor Twintichsöth saacht es doch selbst in,« ging es von Mund zu Mund.

Und manchmal neigte sich eine zum Ohre der andern: »Haben Sie schon gehört, Frau Pastor, was Frau Oberkonsistorialrat bei die letzte Frauenversammlung über ›Hilligenlei‹ (bei verschlossenen Türen) gesaacht hat? –

'n mutig deutsches Frauenwort!!!«

»'s ist so süß, Hilligenlei, und denn wirkt es so – – – – anregend! Nöch?«

Und denn wurde Hilligenlei öffentlich auf dem Gänsemarkt vorgelesen – von Frau Oberkonsistorialrat Suschen Thaden – und das dauerte nu vier Tage.[40]

Und während diese Zeit blieb nu die Sonne ßtarr am Himmel ßtehen, und hie und da hörte man 'n doll unterirdisch Tosen.

Als ob die Erde laut gähne. – 's war überhaupt, als sei die ganze Natur eingeschlafen.

Und dann beßtiegen sie 'n Schiff und fuhren nach Hilligenlei (– kiek, nu is mit eins doch Heilig-Land aus geworden –), Pastor Twintichsöth zu huldigen.

Evoë, Pastor Twintichsöth, Evoë.[41]

Quelle:
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke, Band 4, Teil 2, München 1913, S. 38-42.
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