Dreizehntes Kapietel

[35] Der Wind wehte ßtaark und ßtoßweise 'n Jahr ßpäter und sie gingen weiter in das graufunkelnde Meer hinein. –

Kuddl Twintichsöth und Heinke Pferdmenges.

»Büß een süß weiß holßteinsche Deern du,« saachte er, und sie drückte seinen Arm gegen ihre weiche Brust.

Da flooch 'n Schwalbenpaar mit süßem Laut ganz dicht an Heinkes Knie, und er tat, als griffe er rasch nach. –

Sie aber wehrte: laß nachch und wurde rot.

Innerlich aber dachte sie: Nanu?[35]

Und denn dachte sie ferner: Ick bün doch valobt.

Und denn ßprach er wieder von was andern und saachte, seit er sie so süß gesehen, wisse er ganz genau, er müsse man blos eben noch das Welträtsel lösen und denn wolle er 'n Buch schreiben für die Deutsche Wiedergeburt.

Er sei doch nu Pastor jetzt und wisse genau, wie man 'n Buch schreibe; – durch viele wirkliche Dichter habe er sich durchgefrenssen, besonders durch Selma Lagerlöfs Jerusalem und Gösta Berling.

Und Wilhelm Raabe, auch Amalie Skram und manch andere.

Auch so ne feine kleine Prise Anderssen dazu.

Und denn habe er gegen 20000 Tüntjes gesammelt.

Man werde es gewiß nich merken, so fein wolle er abschreiben, – und wenn – – dabei plinkte er listich mit den Augen, denn habe man ja noch – – Kruppsche Kanonen.

Und sie solle man doch nich so ßpröde sein und ihn man 'n bischen begeistern. –

»Er weiß nich, daß ich valobt bin,« dachte sie; – – »küssen laß ich mir, ach watt, – – awa mehr nich,« und sie schmiechte sich dichte an ihm.[36]

»Achch ja, schreibe 'n Buch für die Deutsche Wiedergeburt,« saachte sie denn, »das is so süß.«

Da kam mit eins wieder das verdammte Schwalbenpaar und flooch dicht an ihr Knie, und er haschte nach.

»Awa Kuddl,« saachte sie man bloß. –

Denn ßpäter aber schrie sie laut auf in ihre Angst: »Kuddl mich heute, weißt du – – –, morgen vielleicht – üwamorgen. Kuddl, laß nachch. Man bloß kieken, bütte, ach, bütte.«

Und dann ßprang sie mit eins auf: »Kuddl, achott, ich glaube, 's kommt wer.«

Und richtich ging da aufgetakelt Triena Maartens mit Willi Suhlsen aus Harwestehude übers Moor.

Kuddl kanntese von Hamburch. –

»Dat Bödelsch,« saachte er ärgerlich »ach watt.«

Und dann fraachte er Heinke: »Also morgen wieder?«

Heinke ßprang nach dem Lohweg.

»Geerne,« saachte sie, »geerne.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Kuddl Twintichsöth setzte sich – angeregt von dem, was er gesehen, – noch abends an die Arbeit und dichtete immerlos, – – zuerst in Kladde und denn erst ins Reine.

Klierte so Seite um Seite und reihte Tüntjes an Tüntjes. –[37]

Links hatte er das Adressenbuch von Lübeck und Hamburch (er brauchte doch 10000 Namen) und rechts die Bibel – da hatte er sich nu schon früher durchgefressen und allens wechgeßtrichen, was einer esoterischen Bedeutung glich oder im Sinne gnostischer tiefsinniger Symbole sprach. –

Und denn wurden ihm die Lider schwer.

Er löste noch rasch das Welträtsel und schlief denn ein.

Und hatte 'n wunderlichen Traum denn.

'n norddeutschen Engel1 hatte ihn mit verengte Kehle beim Namen gerufen.

»Kiek ma!« hatte er gesaacht und auf ne Kruppsche Kanone gezeigt, die voll mit seinen – Kuddl Twintichsöths – Werken war, und 'n Zettel ßtach da an mit den Worten:


Hilligenlei, oder die Bibel mit Tüntjes verziert.


Ein Anregungsbuch für die deutsche Hausfrau.

Von Kuddl Twintichsöth = Dichter und Pastor.

Und denn hob der Engel den Finger und saachte schalkhaft – auf daß die Prophezeiung von Kapietel 7 erfüllt werde:

»Kuddl! Klei'-Di.«

und verschwand.

1

Gabriel »zwei«

Quelle:
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke, Band 4, Teil 2, München 1913, S. 38.
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