An den Mond

[234] 1773.


Lieber Mond, du scheinest wieder

In mein stilles Thal hernieder;

Aber ach! mein Auge weint

Um den fernen Herzensfreund!


Schwermutsvoller wallt und trüber

Mir die Stunde jetzt vorüber,

Da er hier mich einst entzückt

An sein klopfend Herz gedrückt.


Unter welchen Seligkeiten

Sah ich dich vorübergleiten!

Schöner lachte dein Gesicht

Keinem Mädchenauge nicht.


Leiser lispelten die Lüfte,

Süßer dufteten die Düfte,

Heller funkelte der Tau

Auf den Blumen dieser Au.


Aber ach! hinweggeschwunden

Sind die schönsten aller Stunden!

Ach! im fernen Thale weint

Meinethalb der süße Freund![234]


Ach! Er weint, und denkt der Stunden,

Die mit mir ihm hingeschwunden!

Doch, o Herz, gedulde dich!

Deinethalben härmt er sich!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 234-235.
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