An die Dämmerung

[303] Wie warst du, kühle Dämmrung, mir

Vor kurzem noch so lieb!

Nun naht sich Traurigkeit mit dir,

Und alles ist mir trüb.


Sonst hülltest du in dein Gewand

Mich und mein Mädchen ein;

An ihrer lieben weißen Hand

Vergaß ich aller Pein.[303]


Ihr Auge blickte, minder scheu,

Mir freundlich ins Gesicht,

Und barg das Pfand der Lieb' und Treu',

Die stille Zähre, nicht.


Manch leiser Seufzer schlich sich ihr

Tief aus des Herzens Grund;

Und mancher Händedruck von mir

That meine Lieb' ihr kund.


Wir saßen ganze Stunden so,

Verloren nicht ein Wort,

Und doch ging uns die Zeit so froh,

Und ach! so eilig fort.


Der Mond und alle Sterne sahn

Vom blauen Himmelszelt;

Wir sahn so froh und stolz sie an,

Als dient' uns alle Welt.


Nun leb' ich von dem Mädchen weit,

Beklage mein Geschick;

Und wünsche die vergangne Zeit

Mit Thränen mir zurück.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 303-304.
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