Bei Nacht

[207] 1773.


Willkommen, frohe Nacht, die du

Den schönsten Tag vollendest,

Und der Erinnrung süße Ruh

Nach Taumelfreuden sendest!


Wisch' aller Augen Thränen ab,

Die noch im Dunkel fließen!

Laß jedes Glück, das mich umgab,

Mich noch einmal genießen!


Ihr Augen, die ihr heller mir,

Als diese Sterne, lachtet,

Die ich mit süßerer Begier,

Als diesen Mond, betrachtet!


Die ihr, wie dieser Silberschein,

Ihr Freuden, mich umwalltet!

Ihr Lieder, die ihr süß und rein,

Wie Abendflöten, schalltet!


Du reine Seele, die du mich

Durch Engelskuß beglücktest,

Und mehr, wie diese Stille, mich

Zu meinem Gott entzücktest![207]


Komm, meine Liebe, senke dich

Zu mir im Traum' hernieder!

Komm, süße Liebe, küsse mich

So süß noch einmal wieder!


Ach Gott! Sie schlummert; laß sie ganz

Dein Wohlgefallen fühlen!

Laß es, wie Morgenwolkenglanz,

Um ihre Seele spielen!


Singt, Engel, den Gesang ihr vor,

Der ihr dereinst erschallet,

Wann sie zu Gottes Thron empor,

Wie stille Flammen, wallet!


Zeigt mich in frommen Träumen ihr,

Wie ich hier dankend kniee;

Daß immer ihre Seele mir

In reiner Liebe glühe!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 207-208.
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