Wahl eines Jünglings

[217] 1773.


Wer immer nur von Liebe spricht,

Den, meine Seele, wähle nicht!

Die Lieb' aus reinem Herzensgrund

Thut selten sich durch Worte kund.


Wer immer meine Reize preist,

Den Jüngling wähle nicht, mein Geist!

Wer sie im stillen, schweigend, ehrt,

Nur der ist meines Herzens wert.


Wer immer scherzt und immer lacht,

Der fühlte nie der Liebe Macht:

Im fröhlichlachenden Gesicht

Wohnst du, geliebte Liebe, nicht.


Du zeigest deine sanfte Spur

In schmachtenden Gebärden nur;

Du wohnst im duldenden Gesicht,

Das mehr, als alle Sprache, spricht.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 217.
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