Scena V.

[45] CHIRURGUS PARAVINUS. Wornach ich / der Weltberühmke Chirurgus hier zu Padua / von meinen Kindesbeinen her / ja von der Wiegen an / getrachtet / das hab ich nunmehr[45] durch meine sonderbare Kunst glüklich erlanget. Als ich noch ein kleines Kind war / bemühete ich mich / über andern meines Alters Kindern zu schweben / und von iedermanne gerühmet zu werden. Da ich nun ein wenig erwachsen / und meinen Verstand in etwas brauchen konte / wurde ich võ meinen Praeceptoribus berichtet / daß der / so andern an Ehr u Herrlichkeit vorgehen wolte / denenselben an Weisheit / Verstande / und Erfahrenheit überlegen seyn müste. Dannenhero bin ich meinen studiis fleissig obgelegen / und habe von Tag zu Tag am Verstande / und Wissenschafft reichlich zugenommen. Vnd weil mich meine Natürliche Zuneigung zu dem Studio Medico getragen hab ich mir dasselbe vor andern erwählet. Was ich darinnen vor Disputationes opponendo & respondendo gehalten / das wird man annoch in frischer Gedechtnis haben. Denn es leben noch diese Stunde unterschiedliche Professores allhier / denen ich theils opponiret / theils respondendo mich recommendiret. Nach dem ich aber gewahr wurde / daß ein Medicus des Chirurgi nicht wohl entrahten könte / und statliche Medici klagten / daß / was sie mit ihren medicamentis gut gemachet / durch einen oder den andern unerfahrnen Chirurgum verderbet worden; faste ich geschwinde resolution, beydes erlernen / zog nach Venedig / sagte nicht / daß ich ein Studiosus wäre / sondern begab mich / ob ich gleich allbereit in das Zwantzigste Jahr gieng / zu dem berühmtesten Chirurgo daselbst in disciplin, und stund / wiewohl nicht mit geringem[46] Vngemach / meine Jahre redlich aus. Darnach kam ich wieder hieher / dachte der Kunst weiter nach / laß gute Bücher / und ließ mich allgemachsam bey verschiedenen Patienten ietzt vor einen Medicū, dann vor einen Chirurgum brauchen. Begonte aber mehr Zeit und Nachsinnen auff das studium Chirurgicum, als auff das Medicum, zu wenden: welches mich auch biß diese Stunde nicht gereuet hat. Denn man sagt nunmehro fast offentlich / es sey in der gantzen Welt kein Chirurgus mit mir zu vergleichen. Meine Chirurgischen Bücher / so ich theils in Lateinischer / theils in Italiänischer Sprache durch den Druk ausgelassen / werden nicht allein in gantz Italien / sondern auch in Teutschland hoch aestumiret / und sollen etliche Teutsche Barbirer / so obgenante Sprachen verstehen / sich derselbigen wohl bedienen / auch etliche gar in Teutsch übergesetzet haben. Eins iedoch mangelt mir noch an der Wissenschafft. Denn ich sehe aus derer berühmresten Medicorum Büchern / wie so unterschiedene Meinungen sie de motu cordis humani, oder von Bewegung des Menschlichen Hertzens haben. V bilde mir nicht ein / daß solche Bewegung noch zur Zeit recht und gründlich erkundiget sey. Weil denn heutiges Tages kein Gelehrter etwas gilt / der nicht was neues / und zuvor unobservirtes hervor giebt / so bin ich bishero stets curieus gewesen / wie ich doch diesen motum oder Bewegung gründlich und per experientiam erlernen / und mir so dann mit Beschreibung derselbigen einen unsterblichen Nahmen[47] machen möchte. Aber siehe! da kommen die Gerichts-Personen. Ich muß stille seyn / und mich auff die Seite begeben.


Hier erscheinet der Praesident des hohen Gerichts mit denen Assessoribus, und redet / nach dem sie sich gesetzet / der Praesident also.


Wehrte liebe Freunde und Collegen / sie wissen sonder Zweiffel alle wohl / was der berühmte Barbirer allhier schrifftlich an uns gelangen lassen / bittende / daß wir ihm doch den maleficanten / der Morgendes Tages nach denen Venedischen Rechten justificiret werden soll / abfolgen lassen wolten / damit er seinem curieusen Gemüht ein Genügen thun / und nach dem er denselben lebendig auffgeschnitten / besehen möge / wie das Menschliche Hertz im Leibe beweget werde. Nun bedünket mich / es lasse sich nicht wohl im Gewissen verantworten / einen Menschen / ob er gleich zum Tode verdammet / so lange qvälen zu lassen. Denn wer weiß / wie er / der Barbirer / mit dem armen Sünder umgehen möchte? Wie lange er mit dem aufschneiden / und Besichtigung des Hertzens zubringen würde? Welches denn unaussprechliche Qvaal und Marter seyn möchte. Derowegen halte ich nicht vor verantwortlich / ihme und seiner Curieusität hierinnen zu gratificiren. Doch will ich / ehe wir ihm die vertröstete Antwort ertheilen / vernehmen / was die Herren in dieser Sache gut befinden. Welches sie mir ie ehe ie besser durch einen aus ihrem Mittel eröffnen[48] werden Sie bereden sich mit einander / ich will in dessen ein wenig herumb spatziren.


Vber eine kleine Weile setzet er sich wieder nieder.


ADSESSOR PRIMUS. Ob wohl die Vrsachen / die der Barbirer / uns zu bewegen / angeführet / ziemlich spectôs und wichtig zu seyn scheinen / ie dennoch halten wir endlich dafür / daß die jenigen / so von unserm Hochgeehrten Herren Praesidenten ietzo zu überlegen proponiret worden / jene weit überwägen. Damit nun wir nicht / als unbarmhertzige Richtere / den Verleumdern ins Maul fallen / oder auch wohl gar von des maleficanten Befreundten bey der Durchlauchtigsten Signoria zu Venedig / als von welcher alle auctorität dieses hohen Gerichts dependiret / gleich hätten wir der Sachen zu viel gethan / verklage werden möchten; so wird / unserm wenigen Bedäncken nach / das beste seyn / daß wir dem Barbirer abschlägige Antwort ertheilen. Geben aber inzwischen dieses unser unvorgreifliches Gutachten E. Magnif. zu reifferer Consideration und fernerweitigem Erwägen.

PRAESES. Es darf die Sache keines fernern überlegens. Denn wir können uns besser nicht verwahren / als wenn wir dem gemeinen Lauffe derer Rechte nachgehen. Wenn es ein todter Leichnam wäre / der nichts fühlete / so könte manihn dem Barbirer wohl überlieffern. Aber einen lebendigen Menschen / der[49] sonst plötzlich seiner Qual durch den Hencker loß werden kan / in so langwürige Marter zu übergeben / läst sich nicht verantworten. Darum / Herr Secretarie, befehlet dem Diener draussen / daß er den Barbirer lasse herein kommen.

SECRETARIUS gehet ab / kommet wieder / und spricht. Jetzo gleich wird der Barbirer alhier erscheinen.

CHIRURGUS. Hocherleuchtete Herren / was an dieselbe ein unterdienstliches Brieflein abgehen zu lassen mich angefrischet / wird ihnen ausser Zweifel in gutem Andencken schweben. Demnach denn Ihrer sonderbahren bißher gegen mich getragenen hohen Gunst beliebet / mich an diese heilige Stelle zu erfordern / hab ich meiner Schuldigkeit zu seyn erachtet / mich gehorsamst einzufinden / der angezweifelten Zuversicht lebende / meine hochgeneigete Patronen werden durch ihre großgünstige resolution mich völlig erfreuen. Welches ich so dann mit hochdankbarem Gemüht erkennen / und nach meinem besten Vermögen zuerwiedern trachten werde.

PRAESES. Lieber Freund / gleich wie wir billich eure sonderbahre Wissenschafft und Erfahrenheit / nicht minder auch eure grosse Begierde / ein mehrers zuerkundigen / loben und commendiren; Also mögen wir euch nicht verhalten / daß wir / aus höchst erheblichen Vrsachen euch begehrter massen nicht willfahren können. Wornach ihr euch zu achten habet.[50]

CHIRURGUS. Mir will nicht gebühren / einer so hocherleuchteten Versamlung rationes zu untersuchen. Ob mich nun wohl diese hochgünstig ertheilte resolution nicht wenig betrübet und bestürtzet machet; iedoch erkenne ich mich schuldig darbey in unterdienstlichem Gehorsam zu adqviesciren / und meinen hochgeneigten Patronen aufzuwarten.


Darauf gehet er ab / Jene ingleichen.

Dann kommet wieder alleine derselbe Chirurgus, und spricht trutzig.


So muß ich doch noch zu meinem Zwekke gelangen / es geschehe recht- oder unrechtmässiger weise. Aber hiervon ist ietzo nicht viel zu sagen. Die Sache wird sich wol geben. Ich weiß schon / was ich thun will.


Gehet ab.


PHILOSOPHUS SECUNDUS. Wie werden doch manche Eltern so ungebührlich von ihren eigenen Kindern geängstiget und geqvälet! Aber wehe solchen Kindern / die ihren Eltern so groß Hertzeleyd zufügen! Ich habe mich / sonder Ruhm melden / in denen Historien ziemlich umgesehen / (weil ich den allzeit einem Kinde gleich geachtet / der / ob er schon studiret / doch in Historien nicht bewandert ist) kan mich aber nicht besinnen / daß es einigem Menschen wohl ergangen / der seine Eltern oder Praeceptores betrübet. Absalom blieb mit seinē krausen Haaren am Baume hangend / und wurde sein undanckbar- und leichtfertiges[51] Hertz mit dreyen Spiessen durchrennet. Nero, ob er wohl ein Keyser war / wurde durch seines Praeceptoris, Senecae, spectrum so lange und so hefftig geängstet / biß er zum Mörder an ihm selbst wurde / und mit Ach und Weh zum Teufel hinab fuhr. Wie es Ariophilo ergehen werde / wird sich mit der Zeit außweisen. Denn ist das nicht Sünde und Schande / daß er den alten Vater so hönisch hält / und den geringsten Gehorsam demselben nicht erweisen wollen? Vnd was wird er den Eltern noch ferner vor Hertzeleyd zufügen / nach dem er das Scham-hütlein einmahl abgezogen? Was vor Vnruhe causiret auch dem Menschlichen Hertzen die curiosität? Es ist leider heutiges Tages also beschaffen / daß der / so nichts neues erfindet / ob er gleich solidissimè studiret hat / nichts geachtet wird. Dahero kommen auch ietzo so viel monstrosae opiniones auff die Bahn / daß ich zweifele / ob so viel monstra in Africa gefunden werden. Ja man unterstehet sich gar die principia übern Hauffen zu werffen. Der Barbirer zu Padua will auch kein Vergnügen an dem / was die Medici und Physici de motu cordis lehren / haben / sondern was neues perexperientiam erfinden / ihm solcher gestalt einen grössern Nahmen zu machen. Mich bedüncket aber / es werde ihm übel bekommen.


Hier lassen sich die Moriones wieder sehen.


Quelle:
Johann Sebastian Mitternacht: Dramen. Tübingen 1972, S. 45-52.
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