Erster Auftritt.

[5] Valere. Elise.


VALERE. Wie, meine teure Elise, ich sehe Euch nachdenklich und sorgenvoll, nachdem Ihr eben die Großmut hattet, mich Eurer Treue zu versichern? Muß ich Euch – ach! – mitten in meiner Freude seufzen sehn? Ist's Euch leid, mich glücklich gemacht zu haben? Und bereut Ihr das Versprechen, zu dem meine Leidenschaft Euch überredet hat?

ELISE. Nein, Valere, ich kann nichts bereuen, was ich für Euch getan habe; ich fühle mich durch eine zu sanfte Gewalt dazu hingezogen und kann nicht einmal wünschen, daß dies alles nicht geschehn wäre. Aber wenn ich Euch die Wahrheit gestehn soll, unser bisheriger Erfolg beunruhigt mich, und ich fürchte zuweilen, ich liebe Euch mehr, als ich sollte.

VALERE. Aber, geliebte Elise, was könnt Ihr von Eurer Güte gegen mich besorgen?

ELISE. Ach, hunderterlei: den Zorn meines Vaters, die Vorwürfe der Familie, das Urteil der Welt: mehr aber als dies alles, Valere, die Wandelbarkeit Eures Herzens und die schnöde Kälte, mit der ihr Männer so oft die zu warmen Äußerungen einer unschuldigen Neigung vergeltet.

VALERE. Um alles in der Welt, tut mir nicht das Unrecht an, mich nach andern zu beurteilen. Traut mir alles mögliche zu, teure Elise, nur nicht, daß ich meine Pflicht gegen Euch vergessen könnte. Dazu liebe ich Euch zu sehr, und meine Liebe wird nur mit meinem Leben erlöschen.

ELISE. Ach, Valere, das sagt jeder. Alle Männer gleichen sich in ihren Reden, und nur ihre Taten unterscheiden sie.[5]

VALERE. Wenn wir denn nur an unsern Taten erkannt werden, so wartet wenigstens, bis Ihr mein Herz nach meinem Tun beurteilen könnt, und laßt Eure ungerechte Furcht, die nur auf einer melancholischen Voraussicht beruht, mir nicht Verbrechen andichten, die meiner Seele fern liegen. Erspart mir, ich bitte Euch, die tödlichen Dolchstiche eines kränkenden Verdachts und gönnt mir Zeit, Euch durch tausend und aber tausend Beweise von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen.

ELISE. Wie leicht läßt man sich überreden, wenn man liebt! Ja, Valere, ich halte Euch für unfähig, mich zu betrügen; ich glaube, daß Ihr mich wirklich liebt und mir treu bleiben werdet; ich will nicht länger zweifeln und meinen Kummer auf die Furcht vor dem Tadel beschränken, der mich treffen wird.

VALERE. Was aber habt Ihr zu fürchten?

ELISE. Nichts, Valere, wenn die ganze Welt Euch mit meinen Augen ansähe; und ich finde in Eurem Wesen die beste Berechtigung für mich, zu handeln, wie ich's tue. Meine Herzenswahl wird gerechtfertigt durch Euer Verdienst und stützt sich überdem auf eine Dankbarkeit, zu der der Himmel selbst mich gegen Euch verpflichtet hat. Jede Stunde denke ich an die entsetzliche Gefahr, in der wir uns zuerst einander begegneten; an die bewundernswürdige Großmut, mit der Ihr Euer Leben wagtet, um das meinige den tobenden Wellen zu entreißen; an die zärtliche Sorgfalt, die Ihr mir erwiest, nachdem Ihr mich aus den Fluten gerettet, und an die fortdauernd dargebrachte Huldigung Eurer Liebe, die weder Zeit noch Schwierigkeiten erschüttern konnten und die Euch dazu gebracht hat, Eltern und Heimat zu verlassen und hier zu verweilen. Seid Ihr doch, um mich sehn zu können, so weit gegangen, einen Dienst im Hause meines Vaters anzunehmen! Das alles mußte einen unwiderstehlichen Eindruck auf mich machen und ist in meinen Augen mehr als hinreichend, um das Versprechen zu rechtfertigen, das ich gestern eingegangen bin; aber es genügt vielleicht nicht für die übrige Welt, und ich bin nicht sicher, ob diese meine Gesinnungen billigen wird.

VALERE. Von allem, was Ihr eben angeführt habt, ist es nur meine Liebe, durch die ich hoffe, etwas bei Euch zu[6] gelten; und was Eure sonstigen Zweifel betrifft, sorgt leider Euer Vater selbst am besten dafür, Euch vor der ganzen Welt zu rechtfertigen; denn sein übertriebener Geiz und die Strenge, mit der er seine Kinder behandelt, könnten noch ganz andre Dinge entschuldigen. Verzeiht mir, geliebte Elise, wenn ich so vor seiner Tochter spreche; Ihr wißt, man kann ihn in dieser Beziehung nicht loben. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, meine Eltern wiederzufinden, und wenn mir das gelingt, wird es nicht schwer sein, ihn für uns zu gewinnen. Ich erwarte mit Ungeduld Nachrichten von ihnen und will, wenn diese nicht bald eintreffen, mich selbst aufmachen, um sie mir zu holen.

ELISE. Ach, Valere, ich bitte Euch, verlaßt mich nicht und denkt nur darauf, Euch bei meinem Vater in Gunst zu erhalten.

VALERE. Ihr seht ja, wie mir's bisher gelungen ist und durch welche geschickte Nachgiebigkeit ich es durchgesetzt habe, in seinen Dienst zu kommen; wie ich unter der Maske gleicher Neigungen und Gesinnungen es dahin gebracht habe, ihm zu gefallen, und welche Rolle ich täglich spiele, um mir seine Gewogenheit zu sichern. Ich habe auch schon die überraschendsten Fortschritte in seiner Gunst gemacht und überzeuge mich, daß es kein besseres Mittel gibt, sich bei den Menschen beliebt zu machen, als mit ihren eignen Ansichten vor ihnen schön zu tun, ihre Grundsätze zu verteidigen, ihren Fehlern zu huldigen und alles zu bewundern, was sie tun. Man braucht nicht zu fürchten, diese Geschmeidigkeit könnte ihnen übertrieben erscheinen; die Art, wie man sie zum besten hat, mag noch so augenscheinlich sein – selbst die Klügsten sind einem Schmeichler gegenüber die Allerverblendetsten, und es gibt nichts so Widersinniges und Abgeschmacktes, das sie nicht verschlucken, wenn man es mit Lob zu würzen versteht. Freilich kommt die Ehrlichkeit ein wenig zu kurz bei dem Handwerk, das ich jetzt treibe; aber wenn man die Leute braucht, so muß man sich schon nach ihnen richten; und da man sie nur auf diese Weise gewinnen kann, sind nicht die Schmeichler die Schuldigen, sondern sie selbst, die geschmeichelt sein wollen.

ELISE. Warum bemüht Ihr Euch aber nicht auch um den[7] Beistand meines Bruders für den Fall, daß Frau Claude unser Geheimnis verraten sollte?

VALERE. Das läßt sich nicht vereinigen; Vater und Sohn sind in ihrer Gesinnung so gründlich verschieden, daß es mir unmöglich scheint, sich mit beiden gut zu stehn. Ihr aber, teure Elise, tut das Eurige bei Eurem Bruder und benutzt seine Freundschaft für Euch, um ihn in unser Interesse zu ziehn. Er kommt, und ich entferne mich. Der Augenblick ist günstig; sprecht mit ihm und entdeckt ihm von unserm Verhältnis, soviel Euch ratsam scheint.

ELISE. Ich weiß noch nicht, ob ich den Mut haben werde, mich ihm anzuvertrauen.


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 5-8.
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