Vierter Auftritt.

[8] Angelique. Toinette.


ANGELIQUE. Toinette!

TOINETTE. Was?

ANGELIQUE. Sieh mich einmal an!

TOINETTE. Nun ja, das tue ich.

ANGELIQUE. Toinette!

TOINETTE. Ja doch! Was denn, Toinette!

ANGELIQUE. Rätst du nicht, wovon ich sprechen will?

TOINETTE. Ich kann mir's schon denken; von unserm jungen Liebhaber; denn seit sechs Tagen ist von nichts anderm die Rede, und es fehlt Euch etwas, wenn Ihr nicht jeden Augenblick von ihm erzählen könnt.

ANGELIQUE. Wenn du das weißt, warum fängst du denn nicht gleich zuerst von ihm an? – Und warum ersparst du mir nicht die Mühe, dich auf diesen Diskurs zu bringen?

TOINETTE. Ihr laßt mir ja gar nicht die Zeit dazu, und sorgt schon dafür, daß man Euch nicht zuvorkommen kann.

ANGELIQUE. Ich gestehe dir, ich kann es nicht müde werden, von ihm zu sprechen, und sehne mich nach jedem Augenblick, wo ich dir mein Herz ausschütten kann. Sage mir aber, Toinette, tadelst du denn meine Neigung für ihn?

TOINETTE. Behüte!

ANGELIQUE. Habe ich unrecht, mich diesem süßen Gefühl hinzugeben?

TOINETTE. Wer sagt denn das?

ANGELIQUE. Oder verlangst du, daß ich für die zärtlichen Beteuerungen seiner feurigen Leidenschaft gleichgültig bleibe?

TOINETTE. Das wolle Gott nicht!

ANGELIQUE. Sag mir doch, findest du nicht auch in der wunderbaren Art, wie wir unsere Bekanntschaft gemacht haben, etwas Verhängnisvolles und einen Fingerzeig des Himmels?[8]

TOINETTE. Ja.

ANGELIQUE. Findest du nicht, daß die Art, wie er meine Verteidigung übernahm, ohne mich zu kennen, ein durchaus edles Herz beweist?

TOINETTE. Ja.

ANGELIQUE. Daß man nicht großmütiger handeln konnte?

TOINETTE. Gewiß!

ANGELIQUE. Und daß er sich dabei mit dem feinsten Anstand betrug?

TOINETTE. Jawohl!

ANGELIQUE. Findest du ihn nicht auch sehr hübsch gewachsen, Toinette?

TOINETTE. Versteht sich!

ANGELIQUE. Und von angenehmstem Äußern?

TOINETTE. Ohne Frage.

ANGELIQUE. Hat nicht alles, was er sagt und was er tut, einen gewissen Adel?

TOINETTE. Das ist sicher.

ANGELIQUE. Kann man sich leidenschaftlicher und liebevoller ausdrücken, als er in jedem seiner Worte?

TOINETTE. Unmöglich!

ANGELIQUE. Und gibt es wohl etwas Unerträglicheres, als den Zwang, in dem man mich hält, der jede Äußerung unserer gegenseitigen Zärtlichkeit verbietet?

TOINETTE. Ihr habt ganz recht.

ANGELIQUE. Aber, meine gute Toinette, glaubst du auch, daß er mich wirklich so liebt, wie er sagt?

TOINETTE. Ja seht, das sind Dinge, die man nicht immer verbürgen kann. Die Verstellung in der Liebe sieht mitunter der Wahrheit täuschend ähnlich; und ich habe Leute gekannt, die in diesem Punkt große Komödianten waren.

ANGELIQUE. Ach, Toinette, was sagst du da! Wie, wäre es denn möglich, daß, wenn er spricht, wie er's tut, er nicht die Wahrheit sagte?

TOINETTE. Ihr werdet jedenfalls darüber bald im klaren sein; und sein Entschluß, von dem er Euch gestern schrieb, um Eure Hand anhalten zu lassen, ist das sicherste Mittel, Euch zu überzeugen, ob er's aufrichtig meint oder nicht. Das wird der beste Beweis sein.

ANGELIQUE. Ach, Toinette, wenn der mich betrügt, so glaube ich in meinem ganzen Leben keinem Manne mehr!

TOINETTE. Da kommt Euer Vater wieder.


Quelle:
Molière: Der eingebildete Kranke. Leipzig 1945, S. 8-9.
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