Erinnerung an Wolfenschiessen

[11] Ihr Wege einer gedankenvollen Einsamkeit –

wie wandelt oft mein Fuß im Traum euch wieder!

Von neuem tönen einst empfangne Lieder,

und meine Seele wird von Liebe weit.


Es eilt der Bach durch abendfeuchte Wiesen,

die Uferbüsche regt ein herber Hauch,

die Berge glühn von goldnen Matten-Vliesen,

und drüber geistert veilchenroter Rauch.


Ich säume bis zur Nacht auf dunklem Stege,

des Tales volles Bild im Angesicht ...

Dann kehr' ich heim durch Hecken und Gehege

und grüße jedes Haus und jedes Licht.


Du warst mein Tal vor allen Erdentälern,

so wie dein Land mein liebster Aufenthalt.

Und nichts soll deinen Ruhm mir jemals schmälern,

du Tal von Wolfenschießen nid dem Wald.


(Für Efraim und Fedscha Frisch)

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 7, Basel 1971–1973, S. 11-12.
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