An den Andern

[29] Ich hatte mich im Hochgebirg verstiegen.

Die Felsenwelt um mich, sie war wohl schön;

doch konnt ich keinen Ausgang mir ersiegen,

noch einen Aufgang nach den lichten Höhn.


Da traf ich Dich, in ärgster Not: den Andern!

Mit Dir vereint, gewann ich frischen Mut.

Von neuem hob ich an, mit Dir, zu wandern,

und siehe da: Das Schicksal war uns gut.


Wir fanden einen Pfad, der klar und einsam

empor sich zog, bis, wo ein Tempel stand.

Der Steig war steil, doch wagten wir's gemeinsam ...

Und heut noch helfen wir uns, Hand in Hand.


Mag sein, wir stehn an unsres Lebens Ende

noch unterm Ziel, – genug, der Weg ist klar!

Daß wir uns trafen, war die große Wende.

Aus zwei Verirrten ward ein wissend Paar.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 11, Basel 1971–1973, S. 29-30.
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