[Ich will aus allem nehmen, was mich nährt]

[33] »Ich will aus allem nehmen, was mich nährt,

was übereinstimmt mit mir längst Vertrautem;

so wird mir manches stille Glück gewährt.


In Eurer Weisheit fand ich manch geheime

Bestätigung zu von mir selbst Geschautem

und brachte sie zu meiner Art in Reime.


Es gibt so vieles Schöne, Gute, Wahre;

wie bin ich dankbar, daß ich Mensch sein darf

und immer Neues solcher Art erfahre!«


Erfahre denn noch dies dazu: entfernt

bist du vom Ernst noch. Dein Gewissen warf

dir noch nicht vor, daß Weisheit sich nur – lernt.


Mit solchem Blumenpflücken, Kränzchenwinden –

was ist getan? sieh dir ins Angesicht

und prüfe, ach, solch allzu lau Empfinden.


Du fühlst der Weisheit Weg noch nicht als – Pflicht.

Und so: ob von Glühwürmchen oder Sternen

dir Licht zufließt – dir ist's das gleiche Licht.


Dir sind die echten Tiefen, wahren Fernen

noch stumm; sie, deren Siegel einzig bricht:

ein tiefdemütig lebenlanges – Lernen.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 11, Basel 1971–1973, S. 33-34.
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