Sechster Auftritt.

[49] Die Vorigen ohne Bombardon. Chor von Bauern und Bäuerinnen.

Nr. 6. Chor und Ensemble.


CHOR DER MÄNNER UND FRAUEN.

:|: O seht die kummervolle Miene,

Das lichte Auge rotgeweint!

Ja, wir bedauern dich, Christine,

Man raubt den Bruder dir, den Freund. :|:

CHOR DER MÄNNER galant.

Was wünschen Sie, Mamsell Christine?[49]

Sie wissen ja, wie gern ich diene,

Sie wissen, daß ich Sie verehre

Und Ihnen ganz allein gehöre.

Was wünschen Sie, Mamsell Christine?

Sie wissen ja, wie gern ich diene,

Ich hab' es stets so treu gemeint,

Ich bin Ihr Diener, ja :|: ich bin Ihr Freund! :|:

CHRISTINE.

Das hab' ich oft von euch vernommen,

Ihr habt stets Freundlichkeit geübt –

Nun endlich ist die Zeit gekommen,

Beweise denn mir, wer mich liebt!

THERESE, COLAS, CHOR.

Was hat sie vor? – was sie da spricht –

Beweisen? – Ich begreif' es nicht! –

GONTRAN ungesehen.

Fort will ich und vermag es nicht,

Du holdes Engelsangesicht.

CHOR DER MÄNNER.

Was wünschen Sie, Mamsell Christine usw.

CHRISTINE.

Den Bruder, der uns Schutz und Wehr,

Ruft sein unselig Los ins Feld.

Wohlan! vernehmt mich denn, ich schwöre,

Daß ich als Gattin dem gehöre,

Der als Ersatz für ihn sich stellt!


Glockenläuten.


COLAS.

Halt ein! Dich trifft zu spät die Reue!

Ich duld' es nicht – nein, nein, nein, nein.

GONTRAN.

O Bild der Zärtlichkeit und Treue!

THERESE.

Du opferst dich – was fällt dir ein!

CHRISTINE.

Das Ave soll mein Zeuge sein!


Sie nimmt das Kreuz vom Halse.


Dies goldne Kreuz, der Mutter teures Pfand,

Mög er als Zeichen meines Schwurs bewahren,

Wer mir es bringt, von heute in zwei Jahren,

:|: Dem reich' ich am Altare Herz und Hand! :|:

[50] GONTRAN.

Des Himmels Ruf hör' ich erklingen!


Er verschwindet.


CHOR.

Hört, hört!

Sie schwört.

COLAS.

Du darfst mir nicht solch Opfer bringen!

CHOR.

:|: Ist keiner, der das Pfand begehrt? :|:


Sich gegenseitig fragend.


CHRISTINE.

Ein Opfer? Nein!

Nur eine Probe soll es sein,

Ob wer mir Liebe schwor und Treu,

Auch würdig dieses Preises sei!

Dies goldne Kreuz usw.

Die Glocke schweigt. Pause.


CHOR DER FRAUEN unter sich.

:|: Nein, nein, nein, nein,

Das darf nicht sein! :|:

Mein Sohn, mein Vetter, mein Bruder, mein Pate –

Ein jeder stehe für sich ein,

:|: Nein, nein, nein, nein, :|:

Das darf nicht sein!


Sie eilen zu den Männern.


CHRISTINE.

Sie schweigen alle – Gott der Gnade!

Soll denn mein Flehn vergebens sein?

ALLGEMEINER CHOR.

Solche Probe – meiner Treu –

Ist uns heutzutage neu.

In romant'schen Rittertagen

Hat sich so was zugetragen,

:|: Aber heute :|:

Viel gescheiter sind die Leute!

Nein, die Kugeln sind gar heiß,

Und in Rußland liegt viel Eis!

:|: Möchte sehen, :|:

:|: Wer das goldne Kreuz gewinne. :|:


Mit ironischer Freundlichkeit unter Verbeugungen.


:|: Gute Nacht, :|: Mamsell Christine!

Chor geht ab nach rechts.
[51]


Quelle:
Ignaz Brüll: Das goldene Kreuz, nach dem Französischen von H.S. von Mosenthal, Leipzig [o. J.], S. 49-52.
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