Dritte Scene.

[3] Major. Jenny.


JENNY ihrem Vater entgegen. Guten Morgen, Papa!

MAJOR. Morgen mein Kind! Mürrisch. Hat der Mensch hier wieder eingeheizt! Unerträgliche Hitze!

JENNY. Findest Du, Papa?

MAJOR. Oeffne das Fenster ein wenig.

JENNY. Papa, die Zugluft wird dir nicht bekommen!

MAJOR. Widersprich mir nicht immer, Jenny – Du weißt, daß ich das nicht leiden kann!

JENNY schnell zum Fenster, es öffnend. O bitte, Papa! Bei Seite. Er ist heut nicht schlechter Laune, also –

MAJOR. Niemand hier gewesen? – Zeitung noch nicht da? –

JENNY. Ich weiß nicht, Papa – aber die Zeitungen liegen hier. Geht an den Tisch, nimmt den Brief aus dem Busen und schiebt ihn in die Zeitung. Bei Seite. Ich riskire es; wenn ich ihn länger bei mir behielte, könnte er hier brennen. Laut. Soll ich Dir eine Pfeife holen, Papa?

MAJOR. Danke! Setzt sich an die Zeitungen.

JENNY setzt sich an den Tisch links und nimmt eine Arbeit. Jetzt sehe ich gar nicht hin! Wendet halb den Rücken.

MAJOR lesend, in kurzen Pausen. Rother Adlerorden 4. Klasse – im Beisein des Major v. Alvensleben. Dreht die Zeitung hurtig um. Erst die Course,[3] das ist zu heutzutage die Hauptsache. – Freiwillige Anleihe – Staatsschuldscheine – Hm – Bedenklich! Oeffnet die Zeitung; der Brief fällt heraus. Was – ein Brief? Mürrisch. Wer hat den Brief hier versteckt.

JENNY krampfhaft arbeitend. Ich weiß nicht, Papa!

MAJOR. Unsinn – Briefe sollen immer oben liegen. – Bricht ihn auf. Hab' es schon oft gesagt! Den Brief überfliegend. – wagen darf – Liebe – kühner Schritt – Hand Ihrer Fräulein Tochter – Läßt die Arme mit dem Brief fallen und sieht seine Tochter an. Nach kurzer Pause. Jenny!

JENNY immer heftig fort arbeitend, ohne sich umzusehen. Papa!

MAJOR. Sei doch so gut und komme einmal zu mir her.

JENNY ängstlich, bei Seite. Ach, mein Gott, jetzt wird er freundlich! Geht zu ihm.

MAJOR. Es hat Jemand um Dich angehalten, Jenny.

JENNY verwundert. So, Papa?

MAJOR. Der Assessor Stein!

JENNY wie oben. Ach – Papa! –

MAJOR. Unsinn – So Papa – ach Papa! – Was soll ich ihm antworten?

JENNY. Ach Papa –

MAJOR. Schon wieder! – Hast Du ihn denn lieb?

JENNY herausplatzend, sehr feurig. Ach ja, Papa! Will ihn umarmen.

MAJOR ruhig. Da haben wir's – ich habe die Geschichte kommen sehen.

JENNY schmeichelnd an die Schulter des Majors. Mein guter Herzenspapa, nicht wahr, Du erfüllst –

MAJOR. Pst! – Pst! – Habe Dich um weiter nichts gefragt. Zeigt auf eine Stelle der Zeitung hin. Lies mal hier.

JENNY. Das, Papa?[4]

MAJOR. Ja wohl, hier. – Nun?

JENNY. Staatsschuldscheine 80, freiwillige Anleihe 98.

MAJOR. He – weißt Du, was das heißt? Das heißt: die Actien des Friedens sind gefallen und wir werden wahrscheinlich Krieg bekommen.

JENNY. Aber Väterchen, das ist doch kein Grund, daß ich nicht heirathen soll? – Arthur ist Assessor.

MAJOR. Sehr richtig, aber auch Landwehrlieutenant. – Geht der Tanz los, muß er mit, und ich werde ruinirt in Briefporto, kann nebenbei in Thränen schwimmen.

JENNY. Liebes Vaterchen, ich will ganz gewiß recht verständig sein, – ich will nicht öfter schreiben, als einmal –

MAJOR einfallend. Täglich! – Pst! ich kenne das! Seine Tochter abwehrend. Na, es ist nun gut.

JENNY. Liebes Papachen!

MAJOR halb weich. Pst! Laß mich jetzt – werde mir die Sache überlegen. Vor allen Dingen muß ich mit dem jungen Herrn selber sprechen!

JENNY. Ach ja, Du Goldpapa!

MAJOR. Pst! sage ich. – Setze Dir nichts in den Kopf, Mädel – Aufstehend. Ich habe für meinen Theil gegen den Assessor nichts – aber Krieg oder Frieden von Europa werden diesmal für Dich den Ausschlag geben. Morgen, mein Kind! Rechts ab.


Quelle:
Gustav von Moser: Krieg oder Frieden? Berlin [o.J.], S. 3-5.
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