2.

[164] Was die Minnesänger für die Poesie der Sprache gethan, geschah für die Prosa durch die Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Man könnte den genialen Dominicanermönch Johann Tauler den Minnesänger der Prosa nennen. Die Sprache des Waldes, der Liebe, der Träume, der Nachtigallen war mit Conrad von Würzburg in Deutschland verklungen, da erhob sich die Sprache der stillen Zelle, der Andacht, der mystischen Gottinnigkeit. Die christliche Mystik wurde der bewegende Inhalt, der nicht nur die Prosa zu einer höhern Kunst ausbildete, als es die deutsche Canzlei vermochte, sondern auch an der Sprache ganz neue und höchst bedeutsame Elemente entwickelte. Dies war das speculative Wesen der deutschen Sprache, das plötzlich in ihr zu schaffen anhub. Die irdische Schönheit[165] in den Minnesängern, die alle sinnliche Blüthe der Sprache hervorlockte, verging vor den trunkenen Augen der Mystiker in die Anschauung des Unsichtbaren, an das sich die hingebende Seele mit ihrer ganzen innern und äußern Existenz verlor. Für diese überirdischen Abstractionen, dieses Verlorensein der Gefühle in die unmittelbare Einheit mit Gott, mußte erst eine neue Diction geschaffen werden, denn für den Ausdruck des übersinnlichen Lebens, der Gedankenwelt, hatte die deutsche Sprache noch keine Töne, keine Wörter. Sie wurde zum ersten Mal in ihren metaphysischen Grundkeimen angerührt und entfaltete die wunderbarste Fähigkeit für den abstracten Gedanken. Diese Sprache der mystischen Anschauung wurde um so eigenthümlicher, da sie das Uebersinnliche, das sie auszudrücken hatte, doch wieder in das sinnliche Element der Poesie tauchte und die speculative Vorstellung am Ende nur in Bildern am vollständigsten anzudeuten wußte. Denn das Verhältniß zum Göttlichen, zu Christus, zur heiligen Jungfrau, hatte sich ebenfalls zu einem inbrünstigen Minneverhältniß gestaltet. Gott ist in der Sprache[166] der Mystiker der »minnigliche Grund,« in dessen Tiefe nicht nur mit dem Gemüth und der Abstraction hinabgestiegen wird, sondern aus dem auch die träumerische Verzückung alle Wunderblumen der Phantasie heraufsprießen und in allen Düften und Farben das Haupt des Schauenden umspielen läßt. So gestaltete sich die erste Prosa, die der Poesie ebenbürtig war, und doch auf einem ganz neuen und ihr eigenen Grunde ruhte. Das poetische Element dieser Prosa wurde zugleich die wirksamste Polemik gegen die scholastische Verstandesdürre des Jahrhunderts, und durch sie als Gegensatz hervorgerufen.

Das Haupt dieser Polemik war Tauler, der erste Philosoph in deutscher Rede. Er wurde um das Jahr 1294 in Cöln, nach Andern in Straßburg, geboren. Sein Leben ist dunkel, er scheint in Paris, wohin er noch als Dominicanermönch reiste, geistliche und gelehrte Studien in großer Ausdehnung gemacht zu haben. Nur sein Tod zu Straßburg am 17. Mai 1361 wird durch das sein Bildniß tragende Grabmal in jener Stadt verbürgt.1[167] Er war ein wundersames Bild der mystischen Begeisterung, die sich ganz auf die innere Welt des Menschen warf, und darin das Göttliche bis zur sinnlichen Gemeinschaft fixirte. Die dunkele Gewalt seiner Predigten zog das Volk in großen Schaaren zu ihm heran, doch begreift man nicht, wie seine metaphysischen Zerlegungen, seine neuplatonischen und cabbalistischen Sätze, einen volksthümlichen Anklang finden konnten, wenn man nicht annimmt, daß auch in der Gemeinde damals das angeregte innere Leben und die Richtung auf das Ueberirdische einen speculativen Sinn für Gedanke und Sprache erschlossen hatte. In seinen späteren Predigten stimmte Tauler freilich einen populaireren Ton an, und schien die feinere wissenschaftliche Argumentation aufgegeben zu haben. Tauler war ohne Zweifel ein großer Kenner des menschlichen Herzens, ein Meister in der Ausmalung der innersten Gemüthsbewegungen, und besaß eine hinreißende[168] Macht der Phantasie, der er selbst fast unterliegen mußte. Einmal verfiel er während des Predigens in ein anhaltendes Weinen, er konnte den Zusammenhang nicht wieder auffinden, mußte die Kanzel verlassen, und soll in diesem Zustande des Außersichseins zwei Jahre verblieben sein. Darauf scheint das Gerücht, daß er an Wahnsinn gelitten, zurückgeführt werden zu müssen. In Tauler finden sich die ersten Unterscheidungen des innern Lebens in die drei Grade der Reinigung, der Erleuchtung und der Vereinigung, und man kann in ihm den reinsten Typus dieser Mystik anerkennen, weil er meistentheils von den trüberen Elementen der Schwärmerei frei blieb, obwohl er sich auch nicht selten einem Uebermaaß süßlicher Spielereien in Gedanken und Ausdrücken hingab.

Tauler's Sprache charakterisirt ihn zunächst als den sinnreichen Wortbildner, der sich mit probuctiver Kühnheit für neue Gedanken neue Bezeichnungen schuf. So schwankend auch seine Grammatik im Einzelnen war, ein so festes und eigenthümliches Gepräge hatte ihr geistiges Wesen, das sich dem mystischen und abstracten Inhalt mit nicht geahnter[169] Fügsamkeit anschmiegte. Besonders waren es die Wörter mit den Endsylben keit und heit, die den mystischen Vorstellungen auf eine neue Art dienten und zu schöpferischen Zusammensetzungen benutzt wurden, in denen Tauler mit großartiger Energie waltete. Solche Ausdrücke wie Befindlichkeit d.h. das Existirende, Alles was sich vorfindet; Liebmüthigkeit, die Neigung gute Werke zu thun, ein Charakter der zu Liebeswerken geneigt ist; Empfänglichkeit, ein zuerst von Tauler gebildetes Wort, welcher sagte, unser Geist sei lauter Empfänglichkeit; Ungeschaffenheit, Alles, was nicht erschaffen ist; Unversüchligkeit, der Zustand, der noch keine Läuterung und Prüfung durch Versuchungen erfahren hat, Gutdunkenheit, Unwandelbarkeit, Wesentlichkeit, Danknemigkeit, Innerheit, Ingossenheit, Abgeschiedenheit, Verborgenheit, Willenlosigkeit, mueterlich Berhaftigkeit (von der Jungfrau Maria)2 und viele andere, entsprangen der[170] Diction des Tauler wie von selbst als neue Sprachsymbole. Diese geistige Wendung der Sprache wurde allerdings schon vorbereitet durch die Verbreitung der aristotelischen Philosophie in Deutschland, die schon im elften Jahrhundert von Hermannus Contractus, im zwölften von Otto von Freysingen durch einzelne Uebersetzungen aus dem Griechischen und Arabischen eingeführt worden, und zuerst etwas Subtiles und fein Nüancirtes in das Deutsche legte. Aber als productiver Sprachbildner aus dem Gemüth heraus trat zuerst Tauler in dieser Richtung auf. Der Ton, den er angeschlagen, fand bald den vielfältigsten Anklang, und in den Schriften der in seine Fußtapfen tretenden Mystiker, und der Jünger der ewigen Weisheit, förderte sich immer mehr, wenn auch nicht mit gleich reinem Gepräge, eine Sprache zu Tage, die ganz metaphysisch gedacht und gebaut war. Ein damaliger Schriftsteller beschwerte sich sogar wegen des Ueberhandnehmens[171] der termini metaphysicales im Deutschen.3

Die Sprache Taulers dünkte seinen Zeitgenossen so süß, daß sie ihn den Zuckerprediger nannten. Sie waren daher gewiß gewohnt, seine Rede in der heimischen Mundart von ihm zu vernehmen, und alle Zweifel, die darüber erhoben worden, ob die Sprache in Tauler's Predigten seine eigene und ursprünglich von ihm herrührende, dürfen uns in diesem Besitzthum nicht stören. Der Titel der ältesten Leipziger Quart-Ausgabe von 1498: »Sermon des großgelarten in gnaden erlauchten Doctoris Johannis Thauleri predigerr ordens, weisende auff den nehesten waren wegk, yn geiste tzu wandern durch vberschwebenden syn, unvoracht von geistes ynnigen vorwandelt in Deutsch manchen menschen zu selikeit«, weist allerdings deutlich darauf hin, daß ein doppelter Text der Taulerschen Predigten mußte vorhanden sein. Man muß jedoch annehmen, daß, nach der Sitte seiner Zeit,[172] die auch später noch bei den Theologen üblich war, Tauler seine Predigten zwar lateinisch aufschrieb, auf der Kanzel aber ohne Zweifel deutsch gehalten hat. Viele seiner Vorträge sind in dem deutschen Text, in dem sie verbreitet wurden, von seinen Zuhörern nachgeschrieben, wodurch sich auch die Abweichungen und Verschiedenartigkeiten mehrerer Texte erklären. Auch giebt es ins Niedersächsische übertragene Texte, die unglücklicher Weise einigen Herausgebern deutscher Mustersammlungen als wirkliche Proben der Tauler'schen Originalsprache gedient zu haben scheinen. Der Uebersetzer der lateinischen Concepte des Tauler hatte aber in dessen weitverbreiteten mündlichen Vorträgen den sichersten Anhalt, seine Sprache auch deutsch in originalgetreuer Form wiederzugeben. Daß Tauler allein es war, der den merkwürdigen Umschwung der Sprache im vierzehnten Jahrhundert hervorbrachte, erhellt aus allen übrigen ihm verwandten, und in seinem Geist und Ton abgefaßten Schriften dieser Zeit, worin sich beständig Hinweisungen auf ihn finden. Die schöne und verzückte Nonne zu Maria-Medingen, Maria Ebnerin, und[173] ihr in geistlicher Liebe zu ihr entbrannter Freund, Heinrich von Nördlingen, der ihr eine Schaale sandte, worin sie die süßen Thränen ihrer Andacht und Himmelsberauschung für ihn einsammeln mußte, sind hier als die bedeutendsten Wahlverwandten Taulers in seinem Jahrhundert zu nennen. Sowohl die Selbstbiographie, die diese begeisterte Klosterjungfrau hinterließ (herausgegeben von P. Sebastian Schlettstetter zu Schwäbisch Gemünd 1662), als der mystische Briefwechsel, den Heinrich von Nördlingen mit ihr geführt hat (abgedruckt in Heumanni opuscula, Nürnberg, 1747. S. 351–404.) reden eine der tauler'schen in jeder Hinsicht ähnliche Sprache, und waren die am bedeutsamsten mitwirkenden Elemente, aus denen die Sprachumbildung dieser Epoche hervorging. Nach ihnen kann noch Otto von Passau, der Lesemeister der Barfüßer zu Basel, angeführt werden, der, verstandesnüchterner als Tauler, aber doch in seinem Sinn und von ihm angeregt, das Buch »Die vier und czweinczig Alten oder der guldin Tron« im Jahre 1386 herausgab. Dieser güldene Thron ist das erste Denkmal einer schönen, gediegenen, didaktischen[174] Darstellung in Prosa, die zugleich einen durch Gelehrsamkeit compilirten Inhalt mit übersichtlicher Klarheit verarbeitet. Dem Verfasser ist die aristotelische Philosophie ebenfalls nicht fremd.

Die deutsche Sprache war damals im Zuge, sich eine philosophische Ausdrucksfähigkeit zu schaffen, die ihr theils in einer spätern Zeit wieder verloren ging, theils häufig an ihr bezweifelt wurde. Was Leibnitz in seinen Unvorgreifflichen Gedanken wünschte und vermißte, daß die logischen Kunstwörter völlig deutsch und ohne eine fremde Terminologie gegeben werden könnten, eine noch heutzutage unerreichte Anforderung, das schien sich schon im vierzehnten Jahr hundert in ganz einfacher Weise aus unserer Sprache zu ergeben und als erreichbar zu zeigen. Außerordentlich merkwürdig ist in dieser Beziehung die theosophische Abhandlung eines ungenannten Verfassers, der in dieser Zeit die verwickeltsten und abstractesten Begriffe, für die man sonst nur scholastische Formeln hatte, in einer unvermischten, ächt deutschen Auseinandersetzung und mit einer gewissen Eleganz der Darstellung klar zu[175] machen suchte.4 Eine Stelle daraus möge hier Platz finden: »Ich sage, daz etwaz sei in der Sel, daz so edel sei, daz sein Wesen sein vernvnftig Wurkhen sei; ich spriche, daz ditz seilich sei von Natur. Daz ist war, daz ein jeslech vernvnftlich Wesen muz seilich sein von Natur; darume heizet es dus, ein wurckende vernvnft. Vraget man nv, seit der Mensche hie inne seilich sei nach sinem höchsten Teil, warvmb er denne alzemal niht seilich sei? So antwortet man alsus darzv, vnd sprichet von einer andern Vernvnft, die heizet ein mvglich Vernvnft, die gemein ist dem Geist in der Weise, alz er zeit berurt in dem Leichname. Mohte nv .... daz die Vernvnft sich ainvaltich mochte keren sonder Mittel zu der wurckenden Vernvnft: so wer der Mensche hie alz seilich, als in dem ewigen Leben, wan daz ist Seilikeit des Menschen, daz er bekennet sin aigen Sein in der Weise der wurckenden[176] Vernvnft. Ditz ist hie niht mvglich der mvglichen Vernvnft, wan ez ist Mvglicheit ein lauter Niht, eller Dinch ze versten. Wan die Vernvnft daz werden mach svnder daz sie niht enist, dar vmb haizet sie ein mvglicher Vernvnft, wan dize ist.. dar vmme ... Ewicheit der Genaden vnd Glorien, ofend irs aigen Sins von dem Wesen der Mvglicheit, vnd mvge enphahen Vberformvnge der wurckenden Vernvnft.« – Bouterwek (Literaturgesch. IX. 487.) vermuthet, daß diese Abhandlung in ihrer Zeit nicht die einzige solcher Art geblieben sein möchte.

Diese Bestrebungen erscheinen zugleich als die bedeutendsten Vorarbeiten zur Entwickelung der neuhochdeutschen Prosa, die in Luther's Bibelübersetzung ihren Canon erhielt. Die besondere Vorliebe, welche Luther und Melanchthon für Tauler's Schriften hegten, ist bekannt. Luther vornehmlich hat den Dominicaner nicht nur oft gelobt und angeführt, sondern auch in seine eigenen Schriften manche Sprüche und Gedanken Tauler's aufgenommen. Die Wichtigkeit dieses Autors, welcher der Repräsentant einer ganzen Epoche ist,[177] veranlaßt uns zu einer ausführlicheren Probemittheilung seiner Sprache, die wir nach dem Text der oben angeführten ältesten Ausgabe seiner Predigten, auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindlich, geben und mit einigen Anmerkungen für die ungeübteren Leser begleiten.[178]

Das Joch Christi.

Eine Predigt von Johann Tauler.

Die ewig warheit vnßer lieber herre jesus christus hat gesprochen: mein joch das ist suße, vnd mein burde die ist leichte. Diser warheit widersprechen alle naturliche menschen also ferr, als sie die natur tregt, vnd sprechen, das gotes joch bitter sey vnd seine burde schwere. Vnd muß es doch war sein, wan es hat die warheit selber gesprochen! Wan ein Ding, daz do sere druckt, vnd das man schwerlich nach im tzeucht5, daz heist ein burden. Kinder, bey dem joch nympt man den inwendigen menschen und bey der burden den auswendigen menschen. Der inwendig edel mensch der[179] ist kommen auß dem edelen grunt der gotheit, vnd auch gebildet nach dem edelen lautern got, vnd do wieder eingeladen vnd gerufft, vnd wurt wyder eingetzogen, alßo daz er alles gutes magk teilhafftig werden; das der minniglich grunt6 hat von natur, das mag die sele erkriegen von gnaden. Nun, kinder, wie der ewig got in dem inwendigen grunt gegrunt hat7, vnd vorborgen vnd vordeckt leyt, welher mensch daz finden mochte vnd erkennen vnd beschawen, der were onn allen tzweifel selig. Vnd wie das ist8, daz der mensch seine inwendig gesicht der sele vorkeret vnd irre geet, doch hat sie ein ewiges locken vnd neigen dartzu, vnd kan kein rue finden noch haben, wan9 alle ding[180] mugen ym nit gnug sein in allen außern dingen, wan das tzeucht yn in das allerinnerst an10 seine wissen. Wan diß ist ein End.11 Als alle dingk rasten vnd ruen an yr eigen stat, als der stein auff der erden vnd das fewer in der lufft, also thut die liebe andechtige sele yn got, yrem heil. Wem ist nu diß joch suße vnd leicht, vnd diß tzihen und diß trahen? – niemandt sicherlich, dan den menschen, die yr gemuthe haben gekeret inwendig in den lauteren grunt gotes von allen creaturen! Kinder, die sele ist recht ein mittel zwischen tzeit vnd ewigkeit. Keret sie sich tzu der tzeit, so vorgist sie on tzweifel der ewigkeit, vnd werden yr dann alle dingk ferre,12 die got tzu gehoren. Also tzu gleicher weiße alle dingk, die man ferre sicht, die scheinen dem menschen klein, vnd was do nahe ist, das scheinet groß. Wan es hat wenigk mittels,[181] als die lauter sonne; wie nun die sonne tzu sechtzigk male grosser sei, dan das gantz ertreich, der aber ein beckenn nympt mit wasser tzu sommerzeit, so sie hoch an dez himel stehet, vnd legt dareinne einen kleinen spigel, dorynne erscheinet die grosse sonne mit einander, vnd scheinet darinne, kaume als ein kleiner bode13; vnd wie klein das mittel ist, das do tzwyschen dez kleinen spiegel vnd der grossen sonne keme, daz neme dez spigel das bilde der grossen sonne tzuhandt.14 Also tzu gleycher weiße ist es vmb den lautern menschen, der das mittel gelegt hat. Es sey was es sey, ader wie klein das ymmer gesein mag, das der mensch in dem grunt der warheit nit kan noch mag gesehen,15 on allen tzweyffel, das mittel,[182] wie kleine es ist, das benympt im daz, daz sich daz groß gut, das do got ist, in dez spiegel seiner sele nicht erbilden kann noch magk. Ja wie edel vnd wie lauter bilde ymmer sein, die machen allesampt mittel dez vnvorbildten bildes, daz do ist got selber.16 Nu, lieben kinder, wisset, in welcher sele sich der ewige gütige got erspiegeln sal, die muß bloß sein vnd lauter, vnd gefreyet von allen bilden. Vnd wo sich ein einig bild yn dyßem spiegel weiset vnd tzeiget, do wirt die sele des waren bildes vermittelt,17 das do got lauter ist. Nun alle die menschen, die diser bloßheit in yn nicht warnemen, das sich diser verborgen grunt in yn nit entdecken vnd entbilden mag, inwendig der vornufft der sele, dise menschen sein alle kuchendirne18 vnd kuchenknechte, vnd denselben menschen ist das joch bitter. Vnd wer nye darin gesach,19[183] noch des grundes nie geschmeckt, das ist ein offnes tzeichen, spricht Origenes, das er des – ewiglichen nimer geschmecken noch enbeissen sal. Nun wisset, kinder, welcher mensch tzum minsten ym tage eyns nit einkeret in seinen grundt nach seinem vormugen, der lebet nit on tzweyffel als ein rechter warer christenlicher mensch. Aber, kinder, die menschen, die den grunt reumen20 vnd sich ym mussigen vnd die bilde ablegen, das sich die sonne in yrem inwendigen grunde der sele ergiessen magk, denselben menschen ist das joch gotes suße vnd vber alle suße. Vnschmecklich vnd bitter vnd widertzeme ist yn alles das, das gote nicht lauter ist, in yn selbs vnd in allen creaturen. Ja in der warheit, alles, das sie ye geschmeckten oder empfunden haben, den sein alle dise werck ein bitter galle. Wan wo diser edeler grunt geschmeckt wird, der tzeucht ßo sere den edelen menschen, er[184] tzeucht das marck auß den beinen vnd das blut auß den oddern. Vnd wist, wo sich diß bilde yn der warheit hat gebildet, do vorleschen alle bilde yn scheidelicher weiße.21 Nun, kinder, wurumb hindern den menschen die ding, domit er vmbgheet in der tzeit? Daz ist: das du mit den dingen bist vorbildt mit eigenschafft. Werestu des bildes vnd der eygenschafft ledig vnd frey vnd vnbekommert, wysse yn der warheit, hettestu ein konigreich, es schadet dir tzumal nichts. Kinder, seyt on eigenschafft vnd bildeloß vnd ledig vnd frey vnd onbekommert mit allen creaturen, vnd hab, mit verlaub, wes du bedarffts mit eyner notdorfft, die gemischt sey mit demutikeyt yn gotlicher forcht, so gann dir der ewig got wol deiner notdorfft; on tzweifel, hastu seine nicht, ßo getraw dem herren, er sal vnd muß dich wol vorsorgen, vnd sold es durch vnvornufftige creatur gescheen; er vorlest der seinen nicht, als wenig als er die ewykeit lest. Kinder, man findt von einez altuater[185] geschrieben, der was als bildloß vnd ledig vnd frey vnd vnbekommert mit allen creaturen, das ym mit nichte kein bilde bleib in seinez gemute. Nu fuget es sich, daz ein mensch kam, klopffet an seine gemach. Do kam er hervor. Do heischt im der mensch etwas, das er ym auß seinem gemach brengen solt. Do dyßer heilig altuater wider in seine gemach kam, alsbald do was diß bilde hinwegk, das er tzumall darumb nicht entwest, warumb yn dyßer mensch gebeten hatte. Dyßer mensch klopffet aber an, do kam der aluater, vnd sprach: Sune, ghee selber hereyn vnd nym, wes du bedarffest, wan deine bilde kan ich so lange nicht behalden, das ich wysse, was du wollest, alßo ist meyn gemudt bloß aller bilde vnd ledig vnd frey. Kinder, in disen bildlosen menschen, do scheinet die gotliche sonne yn on vnderloß, vnd werden ßo adelichen getzogen auß ynn selber vnd auß allen dingen, vnd haben yren willen geben gefangen dem gotlichen willen yn allen dingen, vnd dartzu lauter vnd bloß sich selber, in allen creaturen, in lieb vnd in leid, yn thun vnd in lassen. Kinder, dise menschen sein ßo gar vorstrickt ynn dem freien gotlichen willen,[186] vnd werden so wunniglich getzogen ynn das joch gotes, das sie dodurch vergessen liebes vnd leides vnd aller dinge, vnd darumb so scheinen in alle dingk klein vnd wenig, wan sie sich in got vorgangen haben. Aber die ewigenn dingk scheinen yn naher vnd groß, wan sie in yn alletzeit inwendig gegenwertig sein von yres adels wegen der tugende. Hirumb ßo vorgessen sie inn der sußen liebe gotes alles leidens, ab man sie liebe oder hasse. Des haben sie steten fride mit allen creaturen, mit feinden ader mit freunden. Disen menschen ist alletzeit suße das joch unsers lieben herren, in lieb vnd yn leid steen sie vnbekommert mit allen creaturen. – –

Fußnoten

1 Vor Spener's Ausgabe von Tauler's Predigten, (Frankf. a.M. und Leipzig 1720. 4) findet es sich abgebildet.


2 Vgl. Petersen über die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache, S. 123 flgd. S. auch F.F. Beck, Disputatio de Jo. Tauleri dictione vernacula ac mystica (Argentor. 1786. 4) und Bouterwek, Geschichte der deutschen Poesie, Thl. I. 489 flgd.


3 Vgl. Petersen a.a.O. S. 126.


4 Diese Abhandlung ist in Docen's Miscellaneen zur Geschichte der deutschen Literatur, Bd. I. S. 140. abgedruckt. Man vergleiche jedoch, was Gervinus in seiner Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, Thl. II. S. 146, darüber bemerkt.


5 Das man schwer nach sich zieht.


6 Spätere Ausgaben lesen got, was ohne Zweifel nichts als eine erläuternde Paraphrase des mystischen Ausdrucks minniglich grunt ist, weshalb wir der ächten, durch unsere Ausgabe gebotenen Lesart den Vorzug ließen.


7 sich gegründet, sich einen Grund erschaffen hat.


8 S.v.a. obschon.


9 Hier in der Bedeutung von weil, denn, doch kann diese Partikel, die sehr verschiedene Bezeichnungen annimmt, oft auch durch sondern in Nachsätzen übersetzt werden, wie an dieser Stelle gleich das nächste Mal. –


10 an, ane, mittelhochdeutsche Präposition: ohne. –


11 S.v.a. Denn dies ist das Ende aller Dinge.


12 fern, von ihr abgewandt.


13 Boden, d.h. als kleines Grundbild. –


14 Es nähme dem Spiegel alsbald das Bild der großen Sonne hinweg. tzuhandt (auch zehant geschrieben) bedeutet: alsbald, und ist in diesem Sinne von: zur Hand sein, abgeleitet.–


15 D.h. etwas Aeußerliches, das der Mensch nicht aus dem innern Grunde der Wahrheit in sich aufgenommen, und welches daher als ein fremdes Medium (Mittel) den Spiegel seiner Seele trübt. –


16 D.h. wie edel und lauter auch die in unserer Seele aufsteigenden Bilder immer sein mögen, so treten sie doch alle in den Weg (machen mittel) dem unerschaffenen Bilde in uns, welches Gott selber ist. –


17 D.h. durch ein Mittel (Medium) getrübt.


18 Küchendirnen. –


19 D.h. nie angeschaut hat – von der mystischen Anschauung zu verstehen. –


20 reumen, auch raumen, bedeutet in der mystischen Sprache so viel als reinigen, säubern. –


21 D.h. Da verlöschen alle Bilder von schädlicher Art. –


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 187.
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