I. Brief.

Lampert Wilibald an den Herrn v.F.

Kargfeld, den 16 Nov.


Es hat mir gestern das Fräulein v.S. unversichert, daß Eu. Hochwohlgebohrn. Gnaden heute an den Herrn v.S. ein Schreiben würden abgehen lassen, und ich glaube dadurch eine erwünschte Gelegenheit zu finden, inneliegenden Brief sicher nach England zu bringen; da der junge Herr sich anheischig gemacht, von Straßburg aus den Briefwechsel mit den Brittischen Freunden zu unterhalten. Sie werden also für meinen Gönner die Gewogenheit und für mich die Gnade haben, dieses Schreiben mit einzuschließen; auch beigelegtes Zeugniß[3] zu Rettung meiner Unschuld mit Dero hohen Namen zu bekräftigen. Ich habe nicht Umgang nehmen können, die bekannte Affaire mit dem verwünschten Salmonet, welcher in Wahrheit ein rechter Satan ist, an den Herrn Grandison einzuberichten, damit dieser Verwegene für seine Bosheit gezüchtiget werde, und meine Unschuld in puncto der Schmähschrift, welche ich gegen den Herrn Baronet aufzusetzen bin gezwungen worden, an den Tag komme.


Es ist zwar andem, daß meine Hand ist gemißbraucht worden, aber mein Herz ist unschuldig, und dahero hoffe ich, daß dieser großmüthige Mann desto geneigter seyn wird, mir zu verzeihen, je weniger mein Betragen in dieser gefährlichen Sache nach reiflicher Erwägung der antecedentium, concomitantium et confequentium mir zur Last geleget werden kann. Hat man, nach dem Urtheile vieler Gelehrten, den Menschen von dem Schriftsteller zu unterscheiden, dergestalt,[4] daß die Fehler des einen, dem andern nicht zugerechnet werden; so kann ich mit mehrerem Rechte verlangen, daß man einen Unterschied unter dem Magister und dem Menschen mache. Hat der letztere aus menschlicher Schwachheit, oder genauer zu reden, aus Klugheit ein größeres Uebel, das seiner Ehre eben so sehr als seinen Schultern drohete, abzuwenden, ein kleineres angerichtet, so hat der Magister nichts damit zu schaffen. Urtheilen sie hieraus, ob mein Herr Principal nicht zu weit gehet, wenn er einen ehrvergessenen Mammelucken aus mir machen will, weil ich nach den Regeln der Klugheit einmal anders gehandelt als gedacht habe. Ich hoffe aus England, wohin ich appelliret habe, ein günstiger Urtheil zu erhalten als von meinem Patron, welcher so sehr für die Ehre seines Herrn Gevatters eingenommen ist, daß er mich aus der Zahl der rühmlichen Nachfolger dieses großen Mannes gänzlich ausschließen will, ungeachtet ich nach allen Regeln der Beredsamkeit ihn[5] zu überzeugen gesucht habe, daß ich vorzüglich darunter gehöre. Es ist andem, daß ich an dem unglücklichen Tage, der mich auf einige Stunden zum Sclaven eines Tirannen machte, mich nicht als einen muthigen Achill, aber doch gewissermaßen als einen verschlagenen Ulyß gezeiget habe. Temporibus caute est inserviendum. Wenn ich den ganzen Vorgang der Sache ohne Vorurtheil erwäge, so glaube ich mehreres Lob als Tadel zu verdienen.


Es würde mir indessen zu einer ungemeinen Beruhigung gereichen, wenn Eu. Gnaden sich hierüber expectoriren wollten, ob ich in der Standhaftigkeit den Herrn Grandison zu vertheidigen hätte fortfahren sollen, oder ob ich weislicher gehandelt habe, daß ich der Gewalt nachgegeben. Würden sie die Sache zu meinem Vortheil entscheiden, so hätte ich Hoffnung, wieder an die Tafel meines Patrons aufgenommen zu werden, jetzo werde ich wie ein Aussätziger geachtet;[6] mein Herr will weder mit mir essen noch trinken, so lange er in den Gedanken stehet, ich hätte der Ehre seines Freundes durch mein Verfahren, einigen Eintrag, gethan. Jedoch vermuthlich will er nur dadurch meine philosophische Standhaftigkeit prüfen, und ich werde mich bemühen, zu zeigen, daß ich nicht nur in theoria, sondern auch in praxi eben so wohl ein Philosoph bin, als von


Eu. Gnaden

ein unterthänigster Diener

M.L.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 3-7.
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