XX. Brief.

Der Magister Wilibald an den Doctor Bartlett.

[133] Kargfeld, den 16. August.


Hochgeehrtester Herr Doctor,

Vornehmer Gönner,


Wundern Sie Sich nicht, daß ein Unbekannter, aus einem entfernten Lande, das von den geheiligten[133] Gränzen der Britten durch einen Arm des großen Weltmeeres abgesondert ist, sich die Erlaubnis erbittet, Ihre wichtigen Geschäfte durch ein kleines Handschreiben zu unterbrechen. Der Ruhm eines Carl Grandison und mit dem seinigen der Ihrige, hat sich eben sowohl in meinem Vaterlande; als in den übrigen Theilen der gesirteren Welt ausgebreitet. Das Licht, worinne ich Sie bei Durchblätterung der Geschichte des großen Mannes erblickte, hat mich, gleich einem irrenden Wandrer, auf die Spur eines glücklichen Weges geleitet, und ich werde mich bemühen ihn zu verfolgen, bis das Stundenglaß meines Lebens ausgelaufen ist. Möchte ich doch so glücklich seyn, ihre Freundschaft zu verdienen! Vielleicht kann ich auf solche einen eben so gerechten Anspruch machen, als der Pater Marescotti, der doch ein eifriger Papist, und noch dazu ein Ordensmann ist, unsere Grundsätze stimmen viel genauer mit einander, als mit den seinigen überein.[134]

Der Posten, welcher Ihnen von dem Herrn Baronet anvertrauen ist, hat eine genaue Verwandschaft mit denn, welchen ich seit geraumer Zeit in dem Hause meines gnädigen Patrons verwalte, und wie ich hoffe, noch lange verwalten werde, daß ich es nicht habe Umgang nehmen können, mit Ihnen die Maasregeln zu verabreden, wornach wir in unsern wichtigen Aemtern handeln wollen, um in allen Stücken desto einförmiger zu seyn. Mein Patron hat nur insonderheit anbefohlen, Sie zu ersuchen, Ihre Geheimnisse ratione der Unterweisung der Kinder, mir mitzutheilen. Ich denke, es siehet hier kein Brod- und Handwerksneid im Wege, der Sie etwann zurück haltend gegen mich machen könnte. Wir wollen einmal die Propositionem indefinitam affirmantem: Figulus figulum odit, in propositionem particulariter negantem convertiren: Quidam figulus figulum non odit. Ich will Ihnen doch meinen modum, circa puerorum institutionem procedendi, kürzlich entwerfen. Vielleicht kommt er Ihnen etwann auf irgend eine Weise zu statten.[135]

Ob mein Gönner gleich noch unverheirathet ist; so hat es Ihm doch niemals an Kindern gefehlet, er hat deren drei von seinem Bruder, der zeitig starb, erzogen. Nunmehro hat er Lust, sich selbst zu verheirathen und Kinder zu zeugen. Ich soll mich deswegen im Voraus anschicken, diese nach Sir Carls und Ihrem Geschmacke zu erziehen.

Es gehet nun in das zwanzigste Jahr, daß ich den Pulverem Scholasticum einschlucke, bei dieser langwierigen Praxi habe ich gefunden, daß es nöthig ist, daß ein Docent, in Gegenwart seiner Untergebenen, eine Amtsmine annehmen müsse, die Furcht und Gehorsam zu erwecken fähig ist. Wenn ich nach der Mithologie ein Bild eines klugen Hofmeisters entwerfen sollte; so würde ich solches von dem Jupiter, Könige der Götter, entlehnen. Wie dieser oft, in düstre Wolken eingehüllt, bald mit seinen Donnerkeilen um sich wirft; bald einen gewaltigen Platzregen auf die durstige Erde fallen läßt, um sie zu Hervorbringung guter Früchte geschickt zu machen; bald[136] durch Sturm und Wirbelwinde, die faulen und ansteckenden Dünste vertreibt: so muß auch ein weiser Mentor, bald durch den Thon seiner donnernden Stimme, dem Muthwillen der Untergebenen zu steuren suchen; will dieses nicht helfen, wohlan! so bläue er ihnen den Rücken, und lasse einen Platzregen seines Backels nach dem andern darauf fallen. Was gilt es, für solchen Stürmen werden Bosheit, Faulheit, Muthwille und das ganze Heer jugendlicher Thorheiten zitternd fliehen, und mithin dem Fleiße nebst allen Tugenden Platz machen. Sehen Sie, Herr Doctor, das ist meine Art mit Untergebenen umzugehen. Ich kann, ohne mich zu rühmen, versichern, daß ich solchergestalt, manchen braven Mann gezogen habe, der Herr Baron von S.. ist davon ein lebendiger Zeuge. Jedoch ich merke, daß Sie auch wissen wollen, was für Lectiones ich mit meinen Discipeln tractire, ich halte mich verbunden Ihnen auch hierinne zu willfahren.

Ehe ich noch die Geschichte Ihres Gönners kannte, begnügte ich mich, meinen Untergebenen[137] das beizubringen, was andere meines gleichen der hochadlichen Jugend lehrten. Lesen und schreiben, ein Bisgen Christentum und das Einmaleins war alles, was ich docirte; so bald ich aber dieses Buch mit Verstande gelesen hatte, entwarf ich ein ganz neues Informationssistem. Vor allen Dingen merkte ich mir die Stellen aus der Geschichte, wo ausdrücklich einer Wissenschaft oder einer Geschicklichkeit, die der große Mann besitzt, gedacht wurde; hernach überlegte ich, was für Wissenschaften, mit den ausdrücklich benenneten, verwandt wären, und ohne welche jene nicht gründlich könnten erlernet werden. Durch Hülfe einer gesunden Vernunftlehre brachte ich folgendes Verzeichnis zu Stande. Haben Sie die Gewogenheit, Herr Doctor, es mit Fleiße durchzugehen, Anmerkungen, wo Sie es für nöthig erachten, hinzuzuthun, auch wo ich etwan sollte geirret haben, welches ich nicht glaube, meinen Aufsatz zu verbessern, ich bin in statu docilitatis.

Verzeichnis derjenigen Wissenschaften und Geschicklichkeiten Herrn Carl Grandison[138] Baronets, zur Nachahmung junger von Adel, aufgezeichnet von einem Verehrer des großen Mannes.

Sir Carl Grandison besitzt:

1) Eine feine Stärke in den Grundsätzen der Religion, einfolglich auch in der Polemik, Kirchenhistorie, Kasuistik und andern damit verknüpften Wissenschaften.

2) Verstehet er sich wohl aus die Rechte seines Vaterlandes: Diese gründen sich ursprünglich auf das natürliche Recht; das natürliche Recht gehört in die Weltweisheit; alle Wissenschaften der Weltweisheit sind miteinander verbunden: folglich ist er ein Logicus, Physicus, Metaphysicus, ein Moralist, und s.w.

3) Ist er ein großer Oeconom. Die Oeconomie ist ein Theil der Philosophie, folglich läßt sich sowohl hieraus, als aus dem vorhergehenden Satze deutlich schließen, daß er ein guter Philosoph ist.

Anmerkung. Eben dieses läßt sich auch aus allen Handlungen seines Lebens ganz natürlich herleiten.[139]

4) Er hat eine Hausapotheke, daraus folgt daß er ein Medicus ist, mithin verstehet er sich auf die Anatomie, Therapie, Pathologie, Chirurgie, Botanic, u.s.w.

5) Sir Carl spricht außer seiner Muttersprache Französisch und Italienisch, mit diesen sind die Spanische und Portugiesische verwandt, folglich verstehe er auch diese. Er ist in Deutschland gewesen, ergo kann er Deutsch, vermuthlich auch Holländisch, Dänisch, Schwedisch, u.s.w.

6) Er hat eine vortrefliche Bibliothek. Eine Bibliothek kann nicht vortreflich seyn, wenn nicht lateinische, griechische, hebräische, lyrische und arabische Bücher darinnen sind. Da es nun bei Sir Carln unmöglich heißen kann: Salvete libri sine magistro; so folgt, daß er Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Arabisch, vermuthlich auch, Türkisch, Ungrisch, Rußisch, u.s.w. verstehet. Ergo ist er auch ein guter Grammaticus und Criticus.[140]

7) Er hat verschiedene Veränderungen an seinen Schlössern vornehmen lassen, er ist ein guter Baumeister, ergo auch ein guter Mathematicus.

8) Er ist viel gereiset, folglich verstehet er die Geographie und Historie.

9) Er denket vortreflich und erhaben, ergo ist er ein Redner und Poet.

10) Er ist ein Liebhaber der Antiquitäten, mithin auch der Inscriptionen, der alten Münzen, Bildsäulen, u.s.w.

11) Die Heraldic verstehet er meisterlich, folglich auch die Genealogie und Chronologie.

12) Er ist reich, und hat seinen Pachtern oft die Rechnung selbst abgenommen; ergo ist er ein vortreflicher Rechenmeister.

13) Er tanzt zur Bewunderung der Zuschauer; sitzt vortreflich zu Pferde; ficht zum Erstaunen, ergo ist er ein Tanzmeister, Bereuter und Fechtmeister.

14) Er singt wie ein Castrat und spielt wie der selige Händel das Clavier und die Orgel;[141] er ist also auch ein Musicant. Unfehlbar kann er auch vortreflich trenschiren, zeichnen, zierlich schreiben, drechseln, schnitzen u.s.w.

Urtheilen Sie, Herr Doctor, ob ich nicht ex ungueleonem erkannt und abgemessen habe.

Noch einen Punkt, theurester Kirchenlehrer, ehe ich schließe. Ich wage es, eine kühne Frage an Sie ergehen zu lassen, darf ich mir versprechen, daß ich Vergebung von Ihnen erhalte? Sie sind die Gütigkeit selbsten, meine Offenherzigkeit soll mich Ihrer Verzeihung würdig machen.

Ich empfinde bei mir einen Trieb zum ehelichen Leben, und ich bin Willens nach meiner Freimüthigkeit, Ihnen das Geständnis zu thun, daß mich eine junge Schöne, die einzige Tochter des hochadlichen Herrn Pastor Wendelins allhier gefesselt hat. Ich habe bereits oben gesagt, daß Sie das Vorbild aller meiner Handlungen sind, würden Sie mir wohl Hoffnung machen, sich noch in den Ehestand zu begeben? Sie scheinen noch ein rüstiger Mann zu seyn. Thun Sie es immer. Sir Carl ist ein Freund des Ehestandes, und[142] Sie haben, wie es scheinet, gnugsames Auskommen, eine Frau zu ernähren. Kein Theil der Nachahmung Ihrer verdienstvollen Person würde mir angenehmer und leichter vorkommen als dieser. Sollten Sie aber, wider Vermuthen nicht geneigt seyn, ehelich zu werden; so erzeigen Sie mir wenigstens die Gewogenheit und Ehre, in diesem Stücke der Abweichung von Ihnen, Dero Dispensation mir zu ertheilen. Ich erwarte mit Verlangen Ihre Entscheidung, um die Präliminarartickel meiner künftigen Ehe zu unterzeichnen; oder das ganze Werk vor der Hand abzubrechen. Unter der Wiederholung einer nicht gemeinen Hochachtung gegen Sie, mein werthester Herr Doctor, und das ganze Haus der Grandisonen nennet sich


Dero

demüthiger Verehrer

L. Wilibald.

Der W.W. Doctor:

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 133-143.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon