XXI. Brief.

D. Bartlett an den Magister Wilibald

[143] Grandisonhall, den 12 Sept.


Hochedler, Hochgelahrter Herr,

Hochgeehrtester Herr Magister,


Ich war schon durch den Herrn von S. zubereitet, Sie zu lieben und zu verehren: Ihr Brief aber hat mich ganz bezaubert. Großbrittannien hat zwar viele große Geister aus seinem Schose hervorgesendet: wenn ich aber gerecht urtheilen soll; so kann man den Herrn M. Lampert Wilibald unserm Neuton getrost an die Seite setzen. Ewig Schade, daß ein solcher Mann, wie Sie, kein Präsident einer großen gelehrten Gesellschaft seyn, und dem menschlichen Geschlecht durch seine Empfindungen den Weg zur Glückseligkeit aufschließen soll! Sie urtheilen von dem Unterricht eines jungen Edelmannes[144] mit einer unnachahmlichen Scharfsinnigkeit; und ich glaube, Sie wären im Stande, das Herz und den Verstand eines Cronprinzen zu bilden, und dennoch einen Aufseher der Lustbarkeiten am Hofe abzugeben, wie die Kunstfeuer anzuordnen. Ich bin nunmehro alt; allein ich habe dennoch die Oberaufsicht über den jungen Grandison, und sehe, daß er von seinem Lehrer gehörig unterrichtet wird. Vielmals aber lege ich selbst mit Hand an, und vornämlich in den höhern Wissenschaften; ja ich hoffe, daß der junge Herr ein würdiger Sohn Sir Carls werden werde. Sie werden leicht muthmasen, daß ich dabei ein geruhiges und höchst angenehmes Leben führe. Diese Ruhe ist mir nunmehro um desto schätzbarer; weil ich mich einen großen Theil meines Lebens außer meinen Vaterlande aufgehalten, und mit Jacob sagen kann: die Zeit meiner Wallfahrt ist 65. Jahr; wenig und böse ist die Zeit meines Lebens, und langet nicht von der Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt. Wie sollte ich mir nunmehro in meinem Alter eine neue[145] Unruhe über den Hals ziehen, ein Weib nehmen; und wissen Sie, schätzbarer Freund, ich habe niemals einen rechten Trieb zum Ehestande gehabt, und ein englischer Geistlicher, wenn er größere Würden erlangen will, thut wohl, wenn er ein Junggeselle bleibt. Tillotson war der erste Erzbischoff von Canterbury, welcher eine Frau hatte. Sein Beispiel aber findet mehrere Tadler als Nachahmer. Da Sie hingegen in einer ganz anderen Verfassung stehen, und außerdem einen heftigen Trieb zum Beiliegen empfinden, so heirathen Sie: um den Verweisen Pauli zu entgehen. Ihr Freund, der Herr v.S. hat mir ohnedem schon etwas von Ihrer liebe vertrauet, und wenn Sie die Schwürigkeiten heben können, so wird Sie Jungfer Hannchen zum glückseligsten Magister von Deutschland machen. Ihrem Gebet empfiehlet sich hiermit


Dero

gehorsamster Diener u. Verehrer

Bartlett.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 143-146.
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