XXX. Brief.

Herr von N. an den Herrn von W. in Wilmershausen.

[208] N. hall, den 12 Sept.


Lieber Herr Vetter,


Du hast vielleicht schon Lunde gerochen, und meine Liebe gegen deine älteste Fräulein Tochter gemerkt: ich muß mich nunmehro über diese wichtige Sache deutlicher erklären, und hierdurch offenbar gestehen, daß ich Fräulein Julgen schon längstens in mein Herz geschlossen habe. Ich war zwar Willens, niemals an eine Frau zu denken; dieser Gedanke aber hat nicht länger, als bis auf die Bekanntschaft mit Sir Carln[208] gedauert. Da ich nun diesem wunderbaren Manne in allem nachfolgen muß, wenn ich anders so glücklich, als er, werden will: so gehört nichts, als eine schöne Henriette zu meiner Vollkommenheit. Es ist also billig, daß ich mich an Dich und an Deine Frau Gemahlin zuerst wende, und Eure liebe Fräulein Tochter von Eurer Hand erwarte. Da man wider meine Person, welche, ohne Ruhm zu melden, nicht unangenehm ist, eben so wenig, als wider mein jährlich Einkommenen, welches nach englischen Gelde reine 500. Pf. einträgt, nichts einwenden wird: so hoffe ich von euch beiden, keine abschlägliche Antwort zu erhalten. Ich weiß zwar, daß sich Julgen ein wenig zieren wird, (das muß sie thun, wenn sie der vortreflichen Henriette ähnlich seyn will,) so hebe Du indessen dem guten Kinde allen Zweifel. Essen und Trinken schmeckt mir noch ganz wohl, und zuweilen fresse ich mehr als zwei Bären; munter und stark bin ich auch: wenn Ihr also Fräulein Julgen, in der Vergleichung mit mir, für zu jung haltet; so betrügt Ihr euch. Ich steh meinen[209] Mann, und bin noch eben so rüstig, als Sir Carl immer seyn kann. Was brauch ich aber so viel für mich anzuführen? Julgen scheint mir nicht ungeneigt zu seyn; und wenn ich alle ihre Reden, zumal bey dem Feuerwerke, recht genau überlege: so ist das kleine Närrchen wohl gar schon verliebt in mich. Ich gäb mein bestes Pferd darum, wenns wahr wär. Denn Henriette Byron liebte Sir Carln lange zuvor, ehe er ihr noch eine Erklärung thun konnte. Meine Freunde werde ich durch eine solche Heirat auch verbinden: denn sie haben zeithero alle meine Anstalten gelobt; und je ähnlicher ich dem Engländern werde, desto mehr gefalle ich ihnen. Die Hochzeit soll als denn bei Euch seyn in Willmermanor – alles nach Grandisons seiner Art – recht prächtig. Wir fahren miteinander in Kutschen nach der Kirche, wir viere in einer, wie leichtlich zu errathen. Aber wieder zur Hauptsache! Nehmt nur das liebe Mädgen vor, und thut ihr einen Antrag: Als denn bestimmt einen Tag zum Verlöbnisse – – die Zeit der Copulation aber soll meiner[210] Juliane ganz und gar überlassen werden. Ich wollte zwar gerne, daß mich der Magister traute; es wird aber wohl nicht angehen, weil er noch kein Pfarrer ist. Ich bin der glücklichste Mann, und zur glücklichsten Frau soll Julgen gemacht werden von


Deinem

aufrichtigen Freund und

gehorsamster Diener

v.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 208-211.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.