XLVI. Brief.

Der Herr v.S. an den Magister.

[340] Grandisonhall den 8 Octobr.


Hochgeehrtester Herr Magister,


Sie sind es, dem ich mehr als meinen leiblichen Aelter zu verdanken habe, nicht nur wegen ihres vortrefflichen Unterrichts, den ich vor diesem von Ihnen genossen habe; sondern auch hauptsächlich, daß sie sich die Mühe genommen, mich auf meinen Reisen zu begleiten. Sie haben mich auch für allerlei Versuchungen und Gefährlichkeiten durch diese Begleitung glücklich bewahret.[340] Sie sind mein weiser Mentor, ich bin Ihr Telemac. Ohne Ihren großmüthigen Schutz würde Engelland für mich die Zauberinsel der Calypso gewesen seyn. Sie empfangen hier für Ihre Bemühungen für mein Glück, da ich ietzo im Begriff stehe Brittanien zu verlassen, den verbindlichsten Dank. Hätten Sie mir nicht Gelegenheit gegeben, nach dem Herrn Grandison zu forschen, hätte ich nicht die Ehre gehabt, mit ihm bekannt zu werden: so würde ich den Endzweck meiner Reise größten Theils verfehlet haben, wenn das wunderbarste und sehenswürdigste von Engelland meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre. Diese meine Nachläßigkeit würde noch auf eine härtere Art seyn bestraft worden. Wenn nicht in dem Hause des Herrn Baronets immer von Ausübung der strengsten Tugend geprediget würde, und wenn ich nicht hätte befürchten müssen, das geringste Vergehen gegen solche, mit dem Verlust der schätzbaren Freundschaft dieses großen Mannes zu büssen: so würde ich mancher Versuchung nicht haben widerstehen können; wer[341] weiß, ob ich nicht dann und wann untergetaucht hätte, wie der leidige Vetter Eberhard. Er hat oft an mich gesetzt, um mich zu verführen; aber der Baronet hat mich für ihm gewarnet und mir so gute Lehren gegeben, daß es mir eben nicht schwer ankommt seinen Versuchungen zu widerstehen. Nicht mehr als ein einzigmal ist es ihm gelungen, mir das Seil überzuwerfen. Ich will Ihnen doch die Ausschweifung, wozu er mich verleitet hat, erzählen, und wegen eines Scrupels, der mich wegen dieser Vergehung sehr ängstiget, Ihr philosophisches Bedenken ausbitten. Es wird nun ungefehr ein Monat seyn, da ich von Grandisonhall nach London gereiset war, um das sehenswürdige dieser großen Stadt, die mir noch unbekannt waren in Augenschein zu nehmen. Einmal, da ich dem Herrn Reeves einen Besuch abstatten wollte, begegnete mir Herr Eberhard Grandison auf der großen Brücke über die Themse. Er nöthigte mich in seinen Wagen zu steigen und sagte mir, es hätte ihm geglückt heute seiner Frau zu entwischen, und[342] er wäre so froh darüber, als ein Volgel, der aus dem Bauer käme. Er bat mich, meinen Vorsatz den Herrn Reeves zu besuchen auf zu geben, und mit ihn nach Covengarden zu fahren, um auf einem Koffehause und etwas vom Kriege vorschwatzen zu lassen. Ich ließ mir diesen Vorschlag gefallen. So bald wir in den Saal traten, wurden alle Lombre- und Pharotische rege; es waren in einem Augenblicke mehr als ein Dutzend Brüder um meinen Begleiter herum, die ihn alle umarmten und eine Freude von sich spühren liessen, als wenn er von einer weiten Reise in sein Vaterland zurück gekommen wäre. Ich merkte bald, daß ich mich unter seinen Spielern befand, ich that deswegen so gleich einen Schwur bei mir, daß ich heute nicht spielen wollte. Ich brachte also eine von den Regeln in Uebung, die Sie mir einschärften, da ich noch bei Ihnen in die Schule ging: Wenn man Lust hat etwas zu thun, daraus etwas böses entstehen kann; so soll man auf der Stelle sich hoch und theuer verschwören, daß man es nicht thun will. Ich steckte meine[343] Hand in den Schubsack und hielt meine Börse feste, damit nicht einer von den gefälligen. Herrn, die mich alle umarmten, nachdem mein Gefehrte mich ihnen vorgestellet hatte, meine Taschen sondiren möchte. Man nöthigte uns beide unser Glück zu versuchen, zu meinem Vergnügen sagte Herr Grandison, wir würden uns nicht lange aufhalten, und er wäre heute zu phlegmatisch zum Spiele. Inzwischen sah er doch mit einem begierigen Auge bald nach dem Spieltische, bald nach mir, und schien auf einmal ganz niedergeschlagen zu seyn. Weil er nicht spielen wollte, so wollte auch Niemand mehr mit ihn reden. Ein paar mal gab er mit einer nachdenklichen Mine den Pointeurs einen guten Rath, den sie nicht verlangten, er versicherte sie, daß der Bube, der König u.s.w. diesmal unfehlbar gewinnen würde; allein er hatte den Verdruß, daß die Herren die Blätter so gleich zuruck nahmen, wenn er ein gutes Vertrauen dazu hatte. Dieses kränkte den guten Mann aufs ärgste. Endlich that er, was ich schon lange befürchtet[344] hatte, er zog mich auf die Seite und fragte mich, ob ich ihm zwanzig Guineen vorstrecken könnte. Ich würde wohl einsehen sagte er, daß seine Ehre Gefahr lief, wenn er nicht ein Blatt setzte und die Kerls gegen sich im Respect erhielt, er hätte nicht geglaubt diese Kompanie hier zu finden, deswegen hätte er sich auch nicht mit Gelde versehen, ich sollte diese Kleinigkeit in einer Stunde mit Danke wieder haben. Mir war bei diesen Antrage nicht wohl zu Muthe, weil er seine Lebensart nicht ändern will; so hat Sir Karl es dahin gebracht, daß er von seiner Frauen Vermögen nicht das geringste angreifen darf; sondern er bekommt von ihr nur alle Woche ein gewisses Taschengeld, das sie nach dem Verhältnis seiner Aufführung gegen sie, entweder erhöhet oder vermindert. Der geringste Widerspruch ist im Stande ihn auf eine oder mehrere Wochen seiner Renten zuberauben. Wer ihm also was borget, der muß sein Geld verlohren schätzen, wenn seine Frau nicht für gut befindet, seine Ehre zu retten und für ihn zu bezahlen. Sein Credit ist dadurch[345] so geschwächt, daß ihm Niemand einen Thaler borget; auch so gar seine Spieler wollen ihm kein Conto mehr geben.


Indessen glaubte ich alle Wohlanständigkeit zubeleidigen, wenn ich ihm diese Gefälligkeit versagte, ich zählte ihn die 20 Guineen zu. Er umarmte mich für diese Ritterzehrung einigemal, ich war bei diesen freundschaftlichen Versicherungen ganz kaltsinnig und zweifelte, ob ich mein Geld jemals wieder zu Gesichte bekommen würde: Er trat hierauf mit einer ernsthaften Mine zum Spieltische, holte fünf Guineen aus der Tasche und sezte sich da, ihm Jedermann mit Ehrerbietung Platz machte, auf dem ihm angebothnen Stuhl. Er fing an unter vielen wohlausgesonnen Flüchen sein Glück zu versuchen. Mir wurde in dieser Gesellschaft Zeit und Weile lang. Ich nahm mir vor zum Zeitvertreibe das Koffeehaus, welches ein ansehnliches Gebäude schien, etwas genauer zu besichtigen. Aber hören Sie, wie ich für diese Neugierde büßen mußte. Ich gehe durch[346] den Hof nach einem feinen Hintergebäude, ein wohlgekleideter Bediente kommet mir da von freien Stücken entgegen und führet mich ohnem ein Verlangen in ein wohlaufgepuztes Zimmer. Er vermuthete, sagte er, daß ich die Dame vom Hause sprechen wollte, ich sollte mich nur ein wenig gedulden, sie würde in einen Augenblicke da seyn. Ich sagte, es würde mir eine Ehre seyn, wenn ich der Madame aufwarten könnte. Ich vermuthetenachts; weniger, als daß ich in den bezauberten Pallast einer berühmten Conversations-Dame von London gerathen wäre. Es vergingen kaum zwei Minuten, so erschien ein Frauenzimmer von mehr als gemeiner Schönheit, eine Circe, die im Stande war, wie ich glaube, einen Joseph zu verführen, und ihn in einen zu allen Ausschweifungen geneigten Jüngling zu verwandeln. Sie sagte mir allerhand Höflichkeiten und ich konnte nichts thun, als Reverenze machen. Sie nahm meinen Besuch als etwas bekanntes an, ich hatte also nicht Ursache über eine Entschuldigung, wegen dieses Eindringens bei ihr, verlegen[347] zu seyn. Endlich entdeckte ich ihr doch durch was für einen Zufall ich hieher wäre gebracht worden, daß meine Absicht gewesen wäre, dieses Gebäude zu besehen, ohne mir einzubilden daß ich darinne eine so schöne Bewohnerin antreffen würde. Ich freuete mich, daß ich nach meiner Meinung etwas artiges vorgebracht hätte; allein die Dame übergieng dieses Kompliment mit einem kaltsinnigen Lächeln.


Nach einigen Minuten nahm ich Abschied, und der Bediente, der mich in das Haus gebracht hatte, führte mich wieder mit vieler Höflichkeit bis an die Thür. Hier aber veränderte er auf einmal seine Sprache, er packte mich ziemlich derb bei dem Beine an, da ich eben im Begriff war das Haus zu verlassen, und schlug die Thür vor mir zu. Sir sagte er, eilen sie nicht so geschwinde, hie bezahlt man erst seine Zeche ehe man fortgehet. Was, sagte ich, meine Zeche? Ich habe der Madame von Hause meine Aufwartung gemacht. Es ist doch hier kein[348] Gasthof? Und wenn es auch einer wäre, so habe ich ja nichts verlangt weder Wein noch Coffee, was soll ich denn bezahlen? Der böse Mensch schlug ein hönisch Gelächter auf: Sie müssen hier unfehlbar fremde seyn, daß Sie nicht wissen, welchen Gesetzen Sie Sich unterworfen haben, da Sie in dieses Haus getreten sind. Haben Sie nicht oben in dem Zimmer eine Tafel gesehen, darauf die Gesetze dieses Hauses geschrieben stehen? Ich beantwortete dieses mit nein. Er nöthigte mich hierauf mit Ungestüm wieder mit ihm hinauf in das Zimmer zu gehen, und wieß mir über der Thür desselben eine Tafel, die ich vorhero nicht bemerket hatte. So viel ich mich davon erinnere, war folgendes mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben:


1) Wer die Ehre haben will, die Madame zu sehen, bezahlt einen halben Guinee.


2) Das Vergnügen mit ihr zu sprechen, kostet einen Guinee.


3) Jeder witzige Gedanke den sie vorbringet, wird mit einem Guinee bezahlet.
[349]

4) Wein, Coffee, allerhand Erfrischlungen und Confituren bekommt man hier, um den doppelten Preiß.


5) Für die Erlaubniß die Madame das erste mal zu küssen, werden zwei Guineen erlegt, hernach genüßt man dieses Vergnügen unengeltlich.


So viel stund auf der ersten Seite, der Kerl fragte mich, ob er die Tafel umwenden sollte. Auf der andern Seite, sagte er, stehen stärkere Posten; ich verlangte aber nicht, diese zu sehen. Ich gab ihn einen und einen halben Guinee und wollte fortgehen; er war damit nicht zufrieden. Sie haben noch die dritte Post zu bezahlen, sagte er, hernach können Sie hingehen, wohin Sie wollen. Ich schwor, daß mir die Madame ihren Witz nicht gezeiget hätte, und glaubte, damit durch zu kommen; es half aber nichts. Sie sind noch ein sehr unerfahrner junger Herr, wenn Sie nicht wissen, daß alles witzig ist, was ein artig Frauenzimmer über ja und nein sagt. Ich hatte keine Lust mit dem Flegel zu disputiren;[350] ich hohlte noch eine Guinee aus meiner Tasche und begab mich voll Verdruß wieder zu den Spielen. Warlich! dachte ich, ein kleines Vergnügen für zwei Guineen und einen halben. Ich sahe diesen Verlust als eine gerechte Strafe meiner Verwegenheit an, daß ich mich durch den leidigen Eberhard hatte verführen lassen, einen Ort zu besuchen, der in allerlei Absicht der Jugend gefährlich war. Ich that auf der Stelle eine Gelübde, mich hinführo für aller bösen Gesellschaft zu hüten, und alle Gelegenheit zur Verführung zu meiden.

Da ich mich wieder dem Spieltische des Herrn Eberhards nahete, fand ich ihn in vollem Glücke, er hatte einen Haufen Geld vor sich, daß ich dafür erstaunte. Er war mit meinen zwanzig Guineen so glücklich, da man das Spiel aufgab, dreißig gewonnen zu haben. Heute wollen wir uns einmal lustig machen, ihr Herren, sagte er, ihr habt mich gewinnen lassen, ich will euch dafür tractiren. Es war schon des Abends um 10 Uhr da der[351] leidige Eberhard diesen Einfall hatte. Wir hatten auch schon alle etwas von kalter Küche gespeiset, was konnte er also der Gesellschaft zu gute thun, als daß er sie mit einem Glase Wein bewirthete? Die Spieltische wurden mit Bouteillen besäet, die Deckelgläser begegneten einander so oft, daß um die Zeit des zweiten Hahnengeschreies Jedermann einen derben Rausch hatte. Ich will nur meine Sünde offenherzig gestehen, ich hatte auch einen ziemlichen Hieb. Wir brachten die Nacht so zu. Bei Tages Anbruch ließ der Wirth, ohne unser Verlangen, Coffee auftragen, um seine Gäste zu ermuntern. Um 8 Uhr da sich die meisten heimlich weggenommen hatten, befahl Herr Eberhard, (ich will ihn nicht mehr Grandison nennen, er erniedriget diesen schönen Namen,) um 8 Uhr sage ich, befahl Herr Eberhard, einen Wagen kommen zu lassen. Der Wirth machte die Zeche. Der Sir suchte seine Börse; aber stellen Sie Sich sein Schrecken für, da er sie nicht fand. Sie war weg. Einer von den gefälligen Herren, die ihn so oft umarmten, hatte ihm[352] Gewinnst und Capital entführet. Der Wirth fieng an über die Bestürzung meines Verführers große Augen zu machen, er stitzte den Arm trotzig in die Seite, und sahe uns über die Achsel an. Seine Pechmütze, die er vorher bescheiden unter dem Arm trug, klebte den Augenblick auf dem Kopfe, und so viele Höflichkeiten der arme Erberhard ihm erwieß; so wenig konnten diese ihm doch für den Grobheiten dieses ungestümen Mannes schützen. Mit genauer Noth erhielt er es auf vieles Bitten, daß er gegen eine Handschrift weg kam, der Wirth wollte ihn durchaus zum Unterfande für seine Bezahlung bei sich behalten. Unter Weges war er so niedergeschlagen, als wenn er nach dem Tour hätte sollen gebracht werden. Er bereitete sich zu, wie er sagte, zu Hause ein heftiges Ungewitter auszuhalten. Einmal bat er mich inständig, ihm eine Lügen erdenken zu helfen, um dem Zorne seiner Frau auszupariren; ich hatte aber dazu weder Lust noch Geschicklichkeit. Bei meinem Quartiere verließ er mich, und versicherte unter hundert Schwüren daß er nicht lange[353] mein Schuldner bleiben wollte; er ist es aber noch immer. Sehen Sie, werthester Freund, wie leicht die Jugend kann verführet werden in dergleichen Ausschweifungen würde ich ganz oft gefallen seyn, wenn Sie mir nicht in Engelland den Tempel der Tugend, das Haus des vortreflichen Grandisons, zur sichern Zuflucht gegen alle Versuchungen gezeiget hätten. Ich höre nie auf deswegen gegen Sie dankbar zu seyn, und Sie werden meine Dankbegierde außerordentlich vermehren, wenn Sie mir einen Scrupel benehmen, der mich seit der Ausschweifung, wozu mich der leidige Eberhard verleitet hat, heftig ängstiget. ich habe eben den rühmlichen Entschluß gefasset, welchen mein Oncle so glücklich ausführet, Sir Carln nachzuahmen. Wer kann sich dieses Vergnügen versagen, der nicht pöbelhaft denket? Wollte Gott, daß alle Leute diesem großen Muster gleich zu kommen, sich bemüheten! So bald ich diesen Vorsatz gefasset hatte, stellte ich eine genaue Untersuchung meines Lebens an. Ich fand in dem zurückgelegten Theil desselben, dem Himmel[354] sey Dank, nichts, daß ich zu bereuen sonderlich Ursache gefunden hätte. Ich nahm mir vor, von nun an auf den Wegen unsers gemeinschaftlichen Vorbildes und unsers Gönners zu wandeln; allein, welche Abweichung! hätte ich doch nie den unglücklichen Eberhard mit Augen gesehen, wie viele Unruhe würde ich meinem Gemüthe dadurch ersparet haben! Hören Sie nur, wie ich mich selbst anklage. Sir Carl, sage ich zu mir selbsten, hat sich nie einen Rausch getrunken, ich habe mir einen Rausch getrunken: also werde ich nie so vollkommen seyn als mein Urbild. Untersuchen Sie diesen Schluß genau, theurester Freund, Sie haben es weiter in der Vernunftlehre gebracht als ich. Wie sehr wünsche ich, daß ich fasch geschlossen hätte! Ein kleiner Ehrgeiz, den ich bei mir empfinde, macht mich bei meinem Oncle und auf Sie eifersüchtig. Ich weiß, daß Sie es beide in der Nachahmung Sir Carls schon so weit gebracht haben, daß er selbst sein Vergnügen über einen so glücklichen Fortgang nicht verbergen kann, und ich sehe mich nun so weit unter Sie zurückgesetzt.[355] Verlangen Sie nicht, daß ich mich länger bei einer Sache aufhalte, die mich ganz tiefsinnig macht. Wenn Sie mir einen Gefallen erzeigen wollen; so bemühen Sie Sich, einen Fehler in meinem Schlusse aufzusuchen, und überzeugen Sie mich davon aufs eheste.


Sie glauben mir es ohne eine weitläuftige Versicherung auf mein Wort, ich bin davon überzeugt, daß ich den vollkommensten Antheil an Ihrem Ruhme nehme. Wie kann ich es also verschweigen, was man hier zu Ihren Vortheile spricht. Vor einigen Tagen hatte der Herr Baronet eine auserlesene Gesellschaft bei sich, sie wurden dadurch desto merkwürdiger, weil der berühmte Richardson sich darunter befand, der seinen Ruhm, den ihm schon eigne Schriften erworben, durch die Herausgabe der Geschichte des Herrn Grandisons auf den höchsten Gipfel gebracht hat. Man ist immer begierig, außerordentliche Leute von Person kennen zu lernen; ich würde mir ein Vergnügen daraus machen,[356] ihn nach dem Leben zu schildern, und von Fuß bis auf die Scheitel zu beschreiben, wenn er nicht diese Mühe mir zu erspahren die Gütigkeit gehabt hätte. Er versprach, mich mit seinem Portrait zu beschenken. Sobald ich dieses erhalte, will ich es meinem Oncle in seine Bildergallerie verehren, wo Sie es zu sehen bekommen werden. Man sieht es diesem Manne an, daß er einen edlen Ehrgeiz besitzt, unsterblich zu seyn. Es scheint, daß er alles würde unternommen haben, um diesen Zweck zu erreichen, und wenn es ihm mit der Feder nicht geglücket hätte; so hätte, wie es scheint, der Degen ihm ein Andenken stiften müssen. Er thut eben nicht stolz auf seinen Ruhm; aber mich dünkt, er läßt keine Gelegenheit vorbei, solchen immer zu erweitern. Die großen Leute sind vermuthlich wie die Reichen gesinnet, jemehr sie haben, je mehr sie sammlen wollen, das Plus vtra ist der Wahlspruch von beiden. Der Baronet wußte bei der Tafel die Unterredung so artig auf meinen Oncle und auf Sie, theurester Freund, zu lenken, daß es gar nicht schien, als wenn er eine Ehre[357] darinne suchte, es der Gesellschaft bekannt zu machen, daß er in Deutschland glückliche Nachahmer seines großen Charakters gefunden hätte. Er machte dem Herrn Richardson ein artig Compliment dadurch, das ihm allein die Ehre; zuschrieb, daß er der Welt nicht ganz unbekannt geblieben wäre. Doctor Bartlett erklärte hierauf die Meinung seines Gönners etwas deutlicher, und fieng an, durch Ihr und meines Oncles Beispiel, die Nutzbarkeit der Ausgabe der Geschichte des Herrn Grandisons zu beweisen. Mich dünkt, ich sahe Sie vor mir, da ich den ehrlichen Doktor so disputiren hörte. Sein Vortrag stimmt mit dem Ihrigen aufs genauste überein.


Obgleich Niemand unter der ganzen Gesellschaft daran zweifelte, daß Sir Carls Geschichte in mancherlei Absicht für die Welt nutzbar wäre: so häufte doch doch der Doctor dieses zu beweisen, Schluß auf Schluß, und ich wurde überzeuget, daß es allerdings Mühe kostet, Dinge zu beweisen, die keines Beweises[358] bedürfen. Dieser Ehrenmann war so eifrig, daß ihm der Schweiß immer über die Backen lief. Ich dachte mehr als einmal an Sie. Es würde mir viel Mühe kosten, wenn ich nachzählen sollte, wie viel mal Ihr und meines Oncles Name rühmlich genennet wurde; so viel ist gewiß, daß ich mir nichts geringes darauf zu gute that, da ich es der ganzen Gesellschaft offenbaren konnte, daß ich die Ehre Ihres Unterrichts genossen hätte, und ein Anverwandter von dem Herrn v.N. wäre. Herr Richardson machte mir hierbei eine tiefe Verbeugung. Er saß die übrige Zeit bei der Tafel beständig in Gedanken, und grübelte mit der Gabel auf dem Teller. Ich glaubte er sönne auf eine Anlage zu einer neuen Pamela. Beim Thee entdeckte ich endlich die Ursache seiner Tiefsinnigkeit. Er bat mich innständig, ihm die Briefe, die die vortreflichen Unternehmungen meines Herrn Oncles und seines klugen Freundes dem Herrn Grandison nachzueifern, enthielten, mitzutheilen. Ich besaß nicht Herzhaftigkeit genug, diesem berühmten Manne etwas[359] abzuschlagen; ehe ich also die Sache genau überlegen konnte, that ich das übereilte Versprechen, ihm diese Briefe auszuhändigen, wenn ich die Erlaubniß dazu von meinem Oncle erhalten hätte. Ich ärgerte mich abscheulich über mein voreiliges Versprechen, da ich Zeit gewann, diese Sache reiflicher zu überlegen. Herr Richardson schien über meine Gutwilligkeit außerordentlicher vergnügt; er legte sein aristotelisches Gesichte wieder ab, und gab sich das Ansehen eines muntern Hofmannes. Hieraus konnte ich leicht muthmaßen, daß er sich schon mit der angenehmen Hoffnung schmeichelte, seinen Ruhm durch die Bekanntmachung einer Sammlung von Briefen, die der Grandisonischen nichts nachgiebt, noch mehr zusteigern. Dieser Gedanke machte meinen Ehrgeiz rege. Ich bin mir selbst der nächste, dachte ich, Niemand würde etwas von einem Richardson wissen, wenn er sich nicht durch eigene Schriften bekannt und durch fremde berühmt gemacht hätte. Ich will mit einem Hiebe zwei Streiche thun. Einen Roman zu schreiben, das ist meine Sache[360] nicht, ich will die Geschichte meines Oncles ins Französischen übersetzen, ich will sie in Straßburg drucken lassen, und dadurch auf einmal bekannt und berühmt werden. Bitten Sie Ihren Principal, daß er mir zu diesem rühmlichen Vorhaben seine Erlaubnis ertheilet, wenn ich diese erhalte; so werde ich Engelland mit Vergnügen verlassen, und Straßburg als die holde Mutter meines zukünftigen Ruhms betrachten. Mein Brief wird länger, als ich im Anfang dachte. Ich würde hier schließen, wenn ich befürchtete, Sie zu ermüden; allein ich habe Ihnen noch ein Wort zu sagen, darüber Sie vielleicht nicht misvergnügt seyn werden.


Neulich bat mich der Doctor Bartlett nebst dem jungen Grandison und seinem Hofmeister zu sich, der Baronet und seine Gemahlin waren eben nach Schirleimanor verreißt. Seine Wohnung war aufs beste ausgeschmückt, jedermann war darinne geschäftig. Der Doctor ging mit gravitätischen Schritten in seiner mit Spitzen bebrämten[361] Thurmmütze Trepp auf, Trepp nieder, und hatte auf sein geschäftiges Gesinde ein wachsames Auge. Wir speißten in seiner Gaststube. Weil ich glaubte, daß er sich meinetwegen in solche Unkosten gesteckt hätte; so sann ich schon bei dem ersten Gerichte auf ein Entschuldigungscompliment, daß ich ihm wider Vermuthen so viele Ungelegenheit verursachen sollte; allein ich hatte nicht nöthig, dieses anzubringen. Bei dem ersten Becher Wein, der herum gegeben wurde, und der eben so wohl als die übrigen nebst dem Flaschen und Kelchgläsern mit Ephen und Blumenkränzen gezieret war, wurde ich meines Irrthums inne. Der Doctor nahm einen Becher in die Hand, und nachdem er sich von seinem Stuhle erhoben, hielt er diese Anrede an uns: Geliebtesten Freunde, Sie werden sich ohne Zweifel wundern, daß ich heute, da ich mir die Ehre Ihrer Gesellschaft erbethen habe, wider meine Gewohnheit verschwenderisch in Anschaffung der Speise und des Trankes gewesen scheine. Sie sehen diese Tafel mit so vielen Gerichten besetzt, daß solche hinreichend[362] seyn würden, alle Innwohner dieses ganzen Dorfes reichlich davon zu sättigen. Jener Schenktisch zeiget Ihnen einen Vorrath von Weinflaschen, welche von uns kaum in vier Wochen würden können ausgeleeret werden. Tadeln Sie mich nicht wegen einer scheinbaren Ueppigkeit, ehe sie das, was ich zu meiner Rechtfertigung sagen werde, vernommen haben. Der heutige Tag ist in dem neuen Calender mit einem so vortreffli-Namen bezeichnet, daß ich glaubte, ein Recht zu haben, mir denselben zu einem Festtage zu machen. Lampertus, was für ein nachdrückliches, was für ein schätzbares Wort ist dieses mir, das mich an einen gelehrten, an einen vollkommenen Freund erinnert. Der 17 September wird mir hinführo allemal ein Tag der Freude seyn, wie der Geburtstag meines Gönners und seiner vortrefflichen Gemahlin. Rechtfertigen Sie, hochansehnliche Gesellschaft, meinen Eifer, den Namenstag eines verdienstvollen Mannes, mit dem ich durch das Band der Freundschaft aufs engste verbunden bin, feierlich zu begehen. Es ist[363] nicht die Ehre, Sie bei mir zu bedienen, es ist das Vergnügen, einen Tag zu feiern, der mit meinem Freunde einerlei Namen führet, dadurch ich bin angetrieben worden, eine halbjährige Besoldung aufzuopfern, um durch diese äußerlichen Zeichen, welche Sie hier vor sich sehen und genüßen, meine Hochachtung gegen einen berühmten Ausländer an den Tag legen zu können. Lassen Sie uns von dem Guten, das wir hier haben, so viel zu uns nehmen, als zureichen wird, unsern Hunger und Durst zu stillen; alsdenn helfen Sie mir die übrigen Brocken den Armen, die sich vor meiner Thür versammlen werden, austheilen, daß sie dadurch ihr Herz laben und erquicken. Anjetzo aber vereinigen Sie ihren Wunsch mit dem meinigen: Es lebe der Herr Lampertus Wilibald! Wir stießen alle mit den Gläsern zusammen. Ich habe eben vergessen zu melden, daß einige von den Herren Vicinis des Doctors gegenwärtig waren. Die ganze Gesellschaft bestund aus zwölf Köpfen. Da ich meinen Hunger gestillet hatte, bekam ich Zeit, besonders da die Herren Pastores[364] einen armen Ketzer aus dem Alterthume mißhandelten, die artige Einrichtung des Doctors bei der Tafel wahrzunehmen. Im Anfange wunderte ich mich, daß die Tische, woran wir speißten, so gestellet waren, daß sie die Figur eines Winkelhakens bekamen, ohne daß es die Gelegenheit des Zimmers zu erfodern schien; nun aber sahe ich ein, daß wir an einer figurirten Tafel speißten, und daß diese ein lateinisches L vorstellte. Der Doctor hatte auch sogar von dem Conditor des Baronets ein artiges Desert verfertigen lassen; die Vorstellung davon ist mir entfallen. So viel weiß ich, daß ich etwas, das Ihrem Wappen ähnlich sahe, darauf entdeckte. Der Doctor sagte, es wäre dieses Wappen von einem Briefsiegel genommen, daher kam es auch, daß es nicht eben gar zu genau mit dem Original überein stimmte. Der Conditor hatte aus Unverstand die zwei Sphinxe in zwei gekrönte Löwen, und die Schlange, welche in ihren Schwanz beißt, dieses alte hierogliphische Bild der Aegypter in eine Bretzel verwandelt.[365] Da wir nach Tische den Thee getrunken hatten, mußte der Schulmeister anfangen zu läuten, dieses war das Signal, daß sich die Armen vor dem Hause des Doctors nun versammlen sollten. In wenig Minuten wimmelte der Pfarrhof von Leuten. Sie mußten sich auf Befehl des Doctors in drei Reihen stellen, und nachdem er sie Mann für Mann besehen hatte, mußten alle Gäste die Ausspendung der Wohlthaten des Doctors über sich nehmen. Es bekam jedes von diesen Armen ein Groschenbrod, welches mit einem lateinischen L gezeichnet war, ein Stück Braten und einen Becher Wein. Ihre Gesundheit wurde hier unter freiem Himmel über hundertmal von Gichtbrüchigen, Lahmen und Blinden getrunken. Ihr Name wurde also bei dieser Gelegenheit wieder vielen Leuten bekannt gemacht, und zwar auf eine solche Art, die im Stande ist, Ihr Andenken lange in Segen zu erhalten. Leben Sie wohl, berühmter Freund. Ich will hier geschwinde schließen, um Ihnen Zeit zu lassen, über so schöne Aussichten in Ansehung Ihres Ruhms sich zu vergnügen. Für dieses mal leben Sie wohl.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 340-366.
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