XXII. Brief.

[246] Herr Bornseil,


Er ist ein ehrlicher Mann, das ist außer allem Zweifel, und wenn er es auch nicht wäre, so könnte er dennoch den Gefallen erweisen, darum ich ihn geziemend hierdurch ersuche. Ich weiß, daß er ehedem bei dem Herrn v.W. als Verwalter in Diensten gestanden hat, und ich habe ihn da wohl gekannt, er trug immer einen grünen Rock mit spitzigen silbernen Knöpfen und einen blauen Brustlatz. Ob er nun gleich nicht mehr in Wilmershausen wohnet; so hat er doch noch, wie ich höre, einen freien Zugang auf den Edelhof. Denn er ist nicht wie ein Schelm fortgejaget worden, sondern böse Leute haben ihm eines bei dem gnädigen Herrn versetzt, daß er sein Stückgen Brod verlohren hat. Jetzo hält er sich, sagt man, zu Schönthal auf, und der Herr Baron v.[247] F. giebt ihm seinen nothdürftigen Unterhalt, folglich hat er auch daselbst im Schlosse einen Zutritt. Ich kann mich dahero zu Niemand füglicher wenden als an ihn, um innliegende Briefe sicher an Ort und Stelle zu bringen. Ich hoffe, daß er französisch lesen kann, wo nicht, so gebe er nur den größten Brief an das Fräulein v.W. in Wilmershausen, und den kleinem an das Fräulein v.S. in Schönthal ab. Er wird wohl thun, wenn er sie selbsten bestellt, es ist mir an der richtigen Besorgung dieser Briefe sehr vieles gelegen. Wenn er diese Commißion wohl ausrichtet, kann er auf ein gutes Trankgeld Rechnung machen. Er hat nicht das geringste bei Bestellung der Briefe zu befürchten, vielmehr wird er beiden Fräuleins willkommen seyn, und vielleicht von ihnen eine Vergeltung seiner Mühe erhalten. Ich glaube, daß es nicht undienlich seyn wird, in ein und andern Stücken ihm einigen Unterricht zu ertheilen, damit dieser Auftrag der Absicht desto gemäßer vollbracht werde. Nehm er folgende fünf Regeln deswegen wohl in Acht:
[248]

1.) Wenn er einem Fräulein ihren Brief einhändiget, so lasse er sichs nicht merken, daß er auch an die andere einen zu bestellen hat.


2.) Darf kein Brief einer andern Person in die Hände fallen, als der, an welcher er gerichtet ist, dahero wird er am besten thun, wenn er das Sprichwort beobachtet: selber ist der Mann.


3.) Diesen Punkt merk er sich ja fein, soll er keinen Brief eher weggeben, bis er Gelegenheit findet, eine von den Fräuleins alleine zu sprechen. Wenn sie beide in Schönthal oder in Wilmershausen beisammen sind; oder wenn jemand anders gegenwärtig ist: so laß er sich von seiner Commißion ja nichts merken, sonst würde er um seinen Recompenz kommen, und ich wollte für ein und andere verdrüßlichen Folgen, die leichtlich für ihn daher entstehen könnten, nicht Bürge seyn.


4.) Wenn man etwann fragen sollte, wo und von wem er die Briefe erhalten: so kann[249] er nur sagen, es hätte jemand des Abends an sein Fenster gepocht und sie seiner Tochter hinein gegeben; sich aber sogleich wieder entfernt. Vermuthlich wird er sie auch wirklich auf diese oder eine ähnliche Art erhalten. Er kann noch dazu dichten, er hätte den Ueberbringer derselben nachlaufen wollen, um zu sehen, wer er wäre: da er aber unglücklicherweise über einen Stein gestolpert, so wäre jener entwicht. So viel er bei Mondenschein wahrnehmen können, wäre der Ueberbringer ein langer Mensch gewesen, der das Ansehen eines Jägero gehabt hätte, dieses und noch mehreres von diesem Schlag kann er nach Beschaffenheit der Umstände hinzu fügen, es ist ihm unverwehrt.


5.) Sollte er wieder Briefe von den Fräuleins an jemand zu bestellen kommen, so hüte er sich ja, daß er sie nicht der Person selbsten überbringt, an die solche gerichtet sind. Ich sage ihm dieses zu seinem eigenen Besten. Sobald er einen Brief empfängt, so stecke er solchen in seine Tasche, er darf[250] ihn so wenig von sich legen, als er gewohnt ist, seine Tobacksdose wegzulegen, damit er ihn gleich aushändigen kann, wenn er abgefodert wird. Diejenige Person, die dieses zu thun berechtiget ist, wird ihm einen versiegelten Zeddel geben, in welchen weiter nichts als das einzige Wort Barocco zu lesen ist; keine andere Seele aber darf die Briefe zu sehen bekommen, als diese. Damit er nun die obigen fünf Punkte wohl ins Gedächtnis faßt und genau beobachtet, will ich ihm ein Hülfsmittel bekannt machen, sie desto leichter zu behalten. Er hat an jeder Hand fünf Finger, nehm er also die fünf Finger seiner linken Hand, die rechte braucht er vermuthlich die Briefe zu übereichen, präge er sich bei jedem Finger einen Punkt ins Gedächtniß. Vermäße dieser Methode wird er so leicht nichts vergessen, und wenn er nur genau auf seine Finger Achtung giebt, seine Sache wohl ausrichten. Noch eins habe ich zu erinnern. Es dürfte vielleicht schwer Halten, das Fräulein v.W. alleine zu sprechen, sie muß immer um ihrer Frau Stiefmutter[251] seyn, ihr die Zeit zu kürzen, ich habe auch hier ein gutes Mittel ausfündig gemacht wie er sie besonders sprechen kann. Die Katze der Frau v.W. hat der Fräulein ihr Rothkehlgen gefressen, sie will gern ein anders haben, nehm er also das erste das beste und mache er ihr damit ein Geschenke. Er mag nun versichert seyn, daß es singt oder nicht, so lobe er den vortreflichen Gesang seines Vogels, und unter dem Vorwande, solchen selbst auf ihr Zimmer zu bringen, um ihm da die Flügel zu stutzen, wird er schon einen günstigen Augenblick ablauren, ihr das Briefgen unvermerkt zuzustecken. Ich hoffe nicht, daß er Schwürigkeiten machen wird, der Besorgung der Briefe auf sich zu nehmen. Ich gebe ihm mein Wort, daß ihm daher nicht die geringste Gefahr erwachsen kann, und will er sich dabei nicht beruhigen; so hat er ja wohl so viel Verstand in seinem kleinen Finger, um selbst zu urtheilen, daß man an junge Schönen keine Halsbrechenden Dinge zu schreiben pfleget, und daß der Briefträger also auch nichts zu befürchten hat. Was ich[252] oben gesagt habe, daß er um seines Besten willen bei Bestellung der Briefe alles wohl in Acht nehmen sollte, und wenn er durch seine Unachtsamkeit etwas versehen würde, daß dieses für ihn unangenehme Folgen haben könnte; so ist dieses nicht zu verstehen, als ob man ihn deswegen würde stöcken und pflöcken lassen: sondern er würde sich dadurch um eine sehr gute Belohnung und wohl gar um eine baldige Versorgung bringen. Vielleicht bin ich selbst nicht weit entfernt, wenn er seinem Auftrage Genüge leistet. Er ist eine kluge Mann und kann nun schon errathen, wie viel es geschlagen hat, indessen will ich mich nicht weiter verrathen. Mache er sich keine unnöthige Sorge deswegen, daß ich diesmal meinen Namen unter die gewöhnlichen Buchstaben verstecke.

N.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 246-253.
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