XXIV. Brief.

Einschluß des vorigen.

An das Fräulein v.W.

[257] den 1 November.


Gnädiges Fräulein,


Sie mögen es nun billigen oder nicht, so wage ich es doch, Ihnen mein Herz zu entdecken. Einem Soldaten ist eine kleine Freiheit anständig, die ein andres ungestraft sich nicht heraus nehmen darf. Ich verehre Sie. Dieses haben Sie aus meinem Bezeigen gegen Dero vortrefliche Person bereits schließen können: ich fand aber nöthig, Ihnen dieses Geständnis auch einmal deutlicher zu thun. Mündlich würde es mir unendliche Mühe gekostet haben, ich bin in gewissen Fällen sehr zaghaft, wenn ich gleich ein Soldat bin, und ich fand auch hierzu keine günstige Gelegenheit; verschweigen[258] konnte ich es noch weniger, darüber hätte ich mich zu Tode gegrämet. Uebersehen Sie also eine Unternehmung, die an sich nicht strafbar ist, wenn sie sich auch nicht vollkommen rechtfertigen läßt. Ich ergreife die Feder, Ihnen die Empfindungen meines Herzens bekannt zu machen, und meine Zaghaftigkeit verließ mich den Augenblick bey diesem glücklichen Entschlusse. Ich habe zwei Werkzeuge, die ich nie anders als mit dem Vorsatze ergreife, zu siegen oder zu sterben, den Degen gegen die Feinde des Königs und meiner Ehre, und die Feder bei der Liebe. Diese ergreife ich jetzo zum ersten mal in der Absicht, und von ihnen hängt es ab, welches Schicksal ich zu erwarten habe. Der glückliche Tag, den ich, so oft er in Zukunft wieder kommt, als einen Festtag feiern werde, des glückliche Tag, an welchen ich das erste mal Sie zu sehen die Ehre hatte, machte mir alle die Vorzüge sichtbar, in welchen Sie zur Ehre des schönen Geschlechts prangen. Dieser erste Augenblick, der mich gegen Sie in Bewundrung setzte, entzog mir auch meine[259] bisher standhaft vertheidigte Freiheit, und dieser Verlust war mir so reizend, daß ich wünschte, sie nie wieder zu erhalten. Ich sahe diesen Wunsch auch sogleich erfüllt. Nach einer genauen Untersuchung fand ich, daß mein Herz schon an Sie verschenkt wär, ehe ich es selbst inne worden war. Ich kann Ihnen also mein Herz nicht antragen, Sie besitzen es schon und jetzo thue ich in der That nichts anders, als daß ich Ihnen diesen Besitz bekannt mache. Ob Ihnen mit einem so geringen Geschenke etwas gedient ist, mögen Sie selbst beurtheilen, so viel weiß ich, daß mein Herz mir nicht mehr zugehöret, und daß ich das, was ich einmal verschenkt habe, nie wieder pflege zurück zu nehmen. Wenn Sie es auch nicht als Ihr Eigenthum betrachten wollten; so würde es Ihnen doch bis in die Gruft zugehören. Sie sind die einzige Person in der Welt, aus dem schönen Geschlecht, die ich verehre, ich muß dieses Geständniß nochmals wiederholen. Machen Sie mich so glücklich, durch eine Zeile von ihrer schönen Hand mich zu unterrichten, ob[260] Sie Sich dadurch beleidiget finden, und ob ich bey der unverbrüchlichen Ergebenheit, die Ihnen mein Herz geschworen hat, dennoch so unglücklich bin Ihnen zu misfallen; oder ob ich mich mit der Hoffnung schmeicheln darf, durch meine unermüdeten Beeiferungen um Dero schätzbare Gewogenheit, mich derselben würdig zu machen. Schönste Amalia, o wie sehr entzückt mich dieser reizende Name, ich küsse ihn tausend mal! Schönstes Fräulein, Sie können nicht grausam seyn! Mein Schicksal sey indessen, welches es wolle, so werde ich es als eine Gnade von Ihnen ansehen, wenn Sie mein freimüthiges Geständniß als ein Geheimniß bewahren. Ich habe dem Gemahl von Dero Frau Schwester, dem Herrn v.F. den ich als meinen vertrautesten Freund betrachte, nicht das geringste davon entdecken wollen, bis ich erstlich von Ihren Gesinnungen unterrichtet wäre. Wenn ich es jemals sagen darf, daß ich Sie verehre, so gönnen Sie mir das Vergnügen, daß ich davon dem Hrn. v.F. sowohl als Dero Herrn Oncle und dessen[261] Fräulein Braut die erste Eröffnung thun darf. Befreien Sie mich bald von einer ängstlichen Ungewißheit, darinne ich mich befinde, und die mich zweifelhaft macht, ob ich im Genuß des vollkommensten Glücks leben, oder in kurzem ersterben werde als


Dero

unterthäniger Diener und Verehrer

v. Ln.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 257-262.
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