XXV. Brief.

Das Fräulein v.S. an das Fräulein Juliane v.W.

[262] Den 2 November.


Ich bitte Sie tausend mal um Vergebung, mein Schatz, ich habe Sie wider meinen Willen schrecklich beleidiget, oder glaube doch, daß Sie es leichtlich als eine Beleidigung ansehen könnten: ich habe einen Brief erbrochen, der Ihnen zugehöret.[262] Wenn ich aufgeräumt wäre, so schrieb ich ihren ganzen Brief ab, er passet eben so genau auf Sie als auf mich, und ich könnte Ihnen alles das wieder sagen, was Sie mir gesagt haben: aber ich bin so grimmig, daß ich Lust habe, mein Nachtzeug vom Kopfe zu reißen, oder meinem Mädchen zu klingeln, um ihr eine Ohrfeige zu geben, daß ich nur den Zorn auslasse und nicht krank darüber werde. Nehmen Sie erstlich ein rothes Pulver ein, für die Alteration, hernach lesen Sie den Einschluß meines Briefes. Lassen Sie uns eine Allianz schließen, um mit gesammter Hand unsern gemeinschaftlichen Feind zu bekriegen – So eine niederträchtige Gemüthsart hätte ich dem Major nicht zugetrauet, er verräth sehr viel Einfalt und thörigte Liebe dabei. Wie muß der arme Kerl doch von sich eingenommen seyn, daß er durch ein paar romanmäßige Liebesbriefe in einer Stunde zwei Eroberungen machen will! Ich habe Mitleiden mit ihm, daß er von der heutigen Lebensart so eine geringe Känntniß besitzt, und eine gemeine Höflichkeit[263] so vortheilhaft für sich ausleget, daß er sich die stolzen Gedanken einfallen läßt, wir wären beide für ihn eingenommen. Er muß auch ein sehr böses Herz besitzen. In einer Stunde von freien Stücken, und ohne daß man es verlangt, zweien Frauenzimmern eine ewige Treue schwören, das ist der Charakter eines Bösewichts. Er hat uns beide hintergehen wollen, und hat sich selbst hintergangen. Dieses würde auch geschehen seyn, wenn der Zufall seine boßhafte Absicht nicht offenbaret hätte. Ich hätte Ihnen gewiß das Geheimniß, wie er es nennet, entdeckt, und Sie würden mir auch nichts verschwiegen haben, und so wäre alles im kurzen an Tag kommen. Indessen beobachtet er doch eine gewisse Vorsichtigkeit in seinen Briefen, er will, um sein Spiel desto länger mit uns zu treiben, daß keine der andern von seinem thörigten Liebesantrage etwas sagen soll. So viel Verstand besaß er doch noch voraus zu sehen, daß seine Sache sehr übel stehen würde, sobald wir seine Bosheit entdeckten. Unstreitig ist es unser guter Sylphe[264] gewesen, der uns für einen untreuen Liebhaber hat bewahren wollen, und der ihm die Augen zuhielt oder verblendete, daß er einen so wichtigen Irrthum bei Ausfertigung seiner Briefe hat begehen können. Ich wollte aber, daß mein Sylphe mir einen wichtigern Dienst leistete, diesen verdenke ich ihm eben nicht sonderlich; ich wäre schon selbst so klug gewesen, diesem Fallstrick zu entgehen. Nun habe ich schon tausend Erfindungen im Kopfe, um uns wegen dieser unartigen Aufführung zu rächen. Es mag ein Fehler seyn oder nicht, so gestehe ich Ihnen daß ich nicht Großmuth genug besitze, eine solche Beleidigung mit einer weisen Kaltsinnigkeit zu ertragen, ich hoffe, Sie sind auch meiner Meinung. Lassen Sie uns aber, mein Kind, zuvor ein wenig wieder zu uns selbst kommen, jetzo sind unsre Leidenschaften zu sehr rege gemacht, als daß wir einen festen Enschluß fassen könnten. An keinem Briefe habe ich länger geschrieben als an diesem, alle Augenblicke werfe ich die Feder hin, Bald denke ich an die kühne Beleidigung des Majors und ärgere mich darüber,[265] daß ich heule; bald fällt mir wieder ein Mittel ein, Rache an ihm zu üben, und darüber vergnüge ich mich so sehr, daß ich anfange zu lachen. Diese Gedanken wechseln so geschwinde, daß ich oft zu gleicher Zeit lache und weine, alsdann laufe ich zum Spiegel, um zu sehen, was ich für eine wunderbare Figur mache, hernach setze ich mich wieder und schreibe ein paar Zeilen, und so geht es immer fort. Urtheilen Sie hieraus, wie sehr ich aufgebracht bin. Ich wollte Ihnen gerne ein paar von meinen Einfällen, wie wir uns rächen wollen, mittheilen: aber sie sind hierzu noch nicht reif genug. So viel kann ich Ihnen im Voraus sagen, daß es mir wenigstens nicht einfällt, nach dem Beispiele der Frau v.W. einen Ritter aufzusuchen, der unsere Sache ausführen soll, wir wollen schon andere Mittel finden, unsern Beleidiger eins anzubringen. Jetzo kann ich Ihnen keinen bessern Rath ertheilen als diesen, daß Sie Sich ja nichts merken lassen, daß Sie den Brief von dem Major erhalten haben, dadurch[266] könnte das Spiel leichtlich verdorben werden. Morgen werde ich Ihnen vielleicht bestimmter sagen können, was für eine Stellung wir gegen den verliebten Ritter annehmen wollen. Er hat bei mir den alten Bornseil zu seinem Liebesboten gebraucht, und ich zweifle nicht, daß dieser auch den Brief, den Sie mir zugeschickt haben, gebracht hat. Ich habe allerlei lustige Touren im Kopfe, die ich durch diesen einfältigen Mann spielen möchte, der sich in diesem Falle vollkommen wohl zu dem Major schickt: allein ich will mich über diesen Punkt nicht eher heraus lassen, bis sich meine Affecten wieder vollkommen besänftiget haben, und bis ich sie zur Strafe, daß sie mich jetzo beunruhigen, in meinen Strickbeutel, wie mein Oncle einmal sagte, zum Arrest gebracht habe. Ich finde keinen bessern Ausdruck, mein Mißvergnügen über Ihren unartigen Herrn Vettern zu erkennen zu geben, als wenn[267] ich sage, daß ich ihn eben so sehr verachte, als Sie hochgeschätzt werden von


Ihrer

aufrichtigen zärtlichen Freundin

A.v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 262-268.
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