XXVI. Brief.

An das Fräulein v.S.

[268] Den 1 Nov.


Schönstes Fräulein,


Es ist eine besondere Ehre für mich, und ich nehme mir es zu einem besondern vorzüglichen Vergnügen an, daß ich die Erlaubniß habe, mich fast täglich in Dero angenehmen Gesellschaft zu befunden, und manche vergnügte Stunde dadurch zu geniessen. Doch bei alle dem Glück empfinde ich eine gewisse Unruhe, die mir einen Theil desselben wieder entzieht, und die allein daher[268] entstehet, weil mir bisher immer eine bequeme Gelegenheit gemangelt hat, Ihnen das zu sagen, was ich empfinde. Darf ich es wohl, ohne Ihren Zorn zu befürchten, wagen, Ihnen mein Herz zu entdecken, oder welches einerlei ist, ein Herz, das ich Ihnen schon längstens gewidmet habe, zu Dero Füssen zu legen? Uebersehen Sie einen Fehler, den ich vielleicht dadurch begehe, daß ich ohne viele Umschweife meine aufrichtige Neigung so zeitig gestehe, ehe ich noch hierzu durch meine Bemühungen, mich Ihrer schätzbaren Gewogenheit würdig zu machen, einigermaßen berechtiget bin. Schreiben Sie diesen Fehler ja nicht einem Mangel meiner unterthänigen Hochachtung gegen Sie zu: gönnen Sie mir vielmehr hierinnen eine kleine Nachsicht. Die Liebe ist für mich bisher ein ganz unbekanntes Feld gewesen, ich wage mich jetzo zum erstenmale hinein, und glaube, daß ich gegen viele Regeln dieser Kunst verstoße. Doch dieses geschiehet nicht, weil ich sie etwan gering schätze, ich würde sie alle aufs genaueste beobachten, wenn sie mir bekannt[269] wären. Die ich nur einigermaßen kenne, suche ich sehr genau zu befolgen. Es ist mir gesagt worden, daß man sich erstlich der Sprache der Augen bedienen müsse, ehe man Mund und Feder dürfe reden lassen. Ich habe dieses Gesetz getreu erfüllt. Meine Augen haben sich Stunden lang mit den Ihrigen besprochen; ich habe Ihnen mehr als einmal meine Empfindungen dadurch so deutlich entdeckt, als es diese Sprache zuläßt: Sie haben mir aber nie eine Antwort ertheilet, die von aller Zweideutigkeit wäre frei gewesen. Dieses hat mich berechtiget, zu der Feder meine Zuflucht zu nehmen, um Ihnen, wem die Sprache meiner Augen nicht wäre redend gnug gewesen, Ihnen durch die Feder das Geständniß deutlicher zu wiederholen, daß ich Sie anbete. Es stehet in Ihrer Hand, mich zu den glücklichsten Bewohner der Erden zu machen, wenn Sie meine Wünsche nicht ganz unerhört seyn lassen. Doch bin ich nicht zu unbescheiden, mich in Ihre Gewogenheit eindringen zu wollen, ehe ich Ihnen Beweise meiner Aufrichkeit[270] aufgestellet habe? Es ist mir genug, wenn ich nur von Ihnen die Erlaubniß erhalte, die Zahl Ihrer Verehrer vergrößern zu dürfen, alsdenn will ich sehen, ob ich andre in dem Eifer, Dero Gunst zu verdienen, übertreffen kann. Und wie sehr wünschte ich, daß diese durch eine unverletzliche Treue und Beständigkeit könnte erlangt werden: so dürfte ich an der Erfüllung meiner Hoffnung nicht einen Augenblick länger zweifeln. So begierig ich schon der Erklärung von Ihnen, über den Antrag meines Herzens, entgegen sehe: so sehr habe ich Ursache zu wünschen, daß ich diese nicht mündlich erhalte, damit meine Base, die Frau v.W. nichts davon erfahre. Der geringste Wink, den sie von meiner Absicht bekäme, würde mich des angenehmen Umganges mit Ihnen berauben, und den Zutritt zu Ihrem Hause, das durch Sie, vortrefliches Fräulein, für mich zu einem Louvre wird, auf einmal versperren. Ich weiß, daß das Fräulein von S. Ihr ganzes Vertrauen besitzt; allein sollte sie auch wohl verschwiegen genug seyn, daß Sie[271] ihr das Geheimniß, das für mich so wichtig ist, anvertrauen könnten? Doch ich will Ihrer bekannten Klugheit nichts vorschreiben. Sie kennen den Ueberbringer dieses Briefes, und wissen, daß er ein redlicher Mann ist, wollen Sie ihm ein paar Zeilen anvertrauen, die mein Schicksal bestimmen, so werden Sie dadurch unendlich verbinden

Dero

unterthänigen Diener

und Verehrer,

v. Ln.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 268-272.
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