XXVII. Brief.

Fräulein Amalie v.S. an das Fräulein v.W.

[272] Den 2 Nov.


Schon wieder ein Brief von Schönthal, werden Sie sagen, und das noch so spät, was hat das zu bedeuten? Eben nichts sonderliches, vielleicht aber auch[272] etwas, das nicht ganz unbeträchtlich ist. Es ist mir allemal sehr angenehm, wenn ich mich mit Ihnen unterreden kann, es sey nun mündlich oder schriftlich. Ich habe verschiedene Entdeckungen gemacht, die ich Ihnen doch in der Geschwindigkeit mittheilen muß, wenn sie auch gleich nicht so gar wichtig sind. Ich bin jetzo ganz ruhig, mein Affekt hat sich geleget. Da ich meinen Brief fortgeschickt hatte, trat ich wieder vor den Spiegel, und that mir allen möglichen Zwang an, um eine philosophische Mine zu machen. Wenn ich nur die äußere Seite einmal in meiner Gewalt habe, und so scheinen kann, wie ich scheinen will; so bringe ich es hernach bald dahin, daß ich auch in der That so seyn kann, wie ich seyn will. Ich bildete wir ein, daß mein Vorhaben ziemlich gelungen wäre, und warf nun einen philosophischen Blick auf den fatalen Brief. Ich nahm mir vor, ihn nochmals mit kaltem Blute zu lesen. Ehe ich mich aber recht daran wagte, fing ich an, um mein Blut nicht wieder in Wallung zu bringen, ihn von außen eine zeitlang zu betrachten.[273] Das Siegel zog zuerst meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Wappen war mir unbekannt. Es fielen mir schon vorher einige seltsame Gedanken ein, und ich weiß selbst nicht, wie ich auf den wunderbaren Zweifel gerieth, ob der Herrn v. Ln. auch der Verfasser von diesem Briefe wäre. Um mir alle Gelegenheit zu benehmen, ihn für unschuldig zu erkennen und ihm gegen mich selbst das Wort zu reden, schnitt ich das Siegel von dem Umschlag und ging damit zum Baron. Ich fragte, ob ihm dieses Wappen bekannt wäre, er sagte nein. Ich erkundigte mich, ob er des Herrn v. Ln. Wappen kennete, ich hätte von dem Fräulein v.W. einen Brief bekommen, der dieses Siegel gehabt hätte, und vermuthete, daß Sie es von dem Major entlehnt hätten, weil Sie bei Ihren Briefen sonst ein andres Siegel brauchten. Er versicherte, daß dieses des Herrn v. Ln. Wappen nicht wäre, und hätte auch nicht die geringste Aehnlichkeit damit, jenes wäre ihm sehr genau bekannt. Es befremdete mich dieses in etwas, ich dachte, wenn der Herr[274] v. Ln. kein Bedenken getragen hat, seinen Namen unter die Briefe zu sehen, warum sollte er sein Wappen verleugnen wollen? Doch ich sehe selbsten ein, das hieraus nichts zu machen war, es konnte zufälliger Weise geschehen seyn, daß er ein andres Siegel gebraucht hatte. Wenn man sich aber einmal etwas in den Kopf setzt, so hält es schwer, daß man sich von diesen Gedanken sogleich wieder loßmachen kann; wenn man auch wahrnimmt, daß sie keinen Grund haben. Ich wollte es nun einmal so haben, daß der Major die Briefe nicht geschrieben hätte, und diesen schwankenden Vorstellungen gab das fremde Siegel, so geringe dieser Umstand auch an sich war, eine ziemliche Festigkeit; wenigstens fiel doch mein Verdacht nicht mehr auf den Major alleine, ich theilte ihn schon unter mehrere aus. Nun war meine Neugier so rege gemacht, dieser Sache weiter nachzuforschen, daß geschäftige Generals nicht begieriger seyn können, die geheimsten Anschläge ihrer Feinde zu entdecken. Ich glaubte, Bornseil, der mir den Brief, der Ihnen zugehörte[275] überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier.[276] Um mich völlig zu überzeugen, daß er mir die Wahrheit gesagt hätte, brachte er mir einen Brief, in welchen die zwei an uns waren eingeschlossen gewesen. Sie finden das Original selbst in meinem Briefe. Ich las solchen mit großer Aufmerksamkeit; thun Sie es ja auch, und fand in jeder Zeile für den Major eine Vertheidigung. Wozu dienet die große Sorgfalt, dachte ich, um nicht entdeckt zu werden, die er ganz vergebens anwenden würde, da er sich in den Briefen an uns genennet hat? Es könnte seyn, daß es wegen der Frau v.W. geschehen wäre, damit Bornseil nichts ausschwatzen möchte, daß er von dem Major Briefe an uns zu bestellen hätte. Das ließe sich zwar einiger maßen hören: aber im Grunde ist es nichts. Da der Verfasser der Briefe sich schmeichelt, daß wir uns mit ihm in einen Briefwechsel einlassen würden; so konnte es geschehen, daß die Frau v.W. einen Brief auffing. Würde sie nicht, wenn sie den alten Verwalter in ihrem Hause oft hätte ein und ausgehen sehen, auf seine Verrichtungen[277] daselbst aufmerksam worden seyn, und ihn einmal darum befragt haben? der Major hatte uns ja nicht untersagt, die Addresse unserer Antwort an ihn zu machen, und auf die Art erfuhr ja auch Bornseil, wer der Verfasser der Briefe wäre. Hätte der Major dieses nicht voraus sehen und dabei bedenken sollen, daß ein so einfältiger Mann, durch ein gutes Wort von seiner vormaligen Gebietherin oder auch durch eine kleine Bestechung, gesetzt, daß sie auch nur in einem Kruge Bier bestünde, sich leichtlich würde auslocken lassen, was er in Wilmershausen zu verrichten habe? Würde er ihr nicht selbst einen Brief in die Hände geliefert haben? Ueberhaupt schickt sich Bornseil so schlecht zu einem Liebesboten, daß ich mir nicht einbilden kann, daß ihn der Major dazu sollte gewählet haben. Er würde eine sehr geringe Belesenheit in den Romanen verrathen, die er doch oft blicken läßt, wenn er nicht wüßte, daß ein getreuer Bedienter und ein verschmitztes Kammermädcher die geschicktesten Bothschafter in dergleichen Fällen sind, ohne[278] daß der dritte Mann dabei nöthig ist. Das bedenklichste bei dieser Sache scheint dieses, daß uns Bornseil aufbürden soll, die Briefe wären ihm von einem Unbekannten gegeben worden, den er wie des Herrn v. Ln. Jäger beschreiben muß, da sie ihm doch von einem Kerl sind zugesteckt worden, den er für einen reisenden Handwerkspurschen gehalten, und da er ihm die Briefe ausgehändiget, geglaubet hat, er reichte ihm seinen Reisepaß zum Fenster hinein. Alles dieses zusammen genommen, macht mir so wahrscheinlich, daß der Major an dieser Sache keinen Antheil hat, daß ich über diesen Punkt mit mir bereits ziemlich einig bin. Damit Sie mich nicht für partheiisch halten, will ich ihn aber doch noch nicht ganz frei sprechen. Unterdessen habe ich mir schon ein paar Histörgen zusammen gedichtet, um diese Begebenheit daraus zu erklären. Das eine ist dieses. Die Frau d.W. scheinet heimlich sehr unzufrieden, daß der Major sich vorgestern um uns so geschäftig erzeigte. Wir machten in der großen Gesellschaft eine besondere kleine[279] aus, und sie hat geglaubet, bei dem Major etwas mehr als Höflichkeit gegen uns wahrgenommen zu haben; wenigstens befürchtete sie so etwas in Zukunft. Sie wollte also ihre liebe Tochter für aller Versuchung bewahren, und das Feuer gleich in der Asche ersticken. Sie mischte mich mit in den Handel, um Ihnen von dem Herrn v. Ln. eine üble Meinung beizubringen. Ihre Erfindung war eben nicht eine von den besten, sie war auch eben nicht übel ausgesonnen. Vermuthlich trauete sie uns nicht zu, daß wir ihm einen Vorhalt thun würden, daß er uns beide boßhaft hätte hintergehen wollen: dadurch wäre der Betrug offenbar worden. Sie sahe ein, daß wir aus Klugheit schweigen und ihn nur mit einer heimlichen Verachtung strafen würden. Wenn wir unsern Verdruß wollten sichtbar werden lassen, dachte sie, wäre dieses nicht eben so viel, als ein Geständniß, daß jede von unvorhero seine Gunst gewünscht hätte? Ja ja, dieser Einfall sieht ihr vollkommen ähnlich.[280] Doch ich habe auch noch andere Gedanken. Sollte wohl mein Oncle oder sein weiser Rathgeber an dieser Erfindung Theil haben? Lampert ist arglistig genug zu einer solchen Unternehmung, um seinen Gönner einen in seinen Augen gefährlichen Rival wegzuschaffen. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß der Major den Herrn v.N. sehr eifersüchtig gemacht hat. Wer weiß, ob uns Lampert nicht umgauckelt, ich will einmal dieses Wort den Dichtern abborgen, es drückt seine Unternehmung sehr wohl aus, und die Frau v.W. unschuldig ist. Mein Oncle hat gewiß an diesem Streiche keinen andern Antheil, als daß er seine Einwilligung zu Ausführung desselben gegeben hat, und vielleicht die Ursache ist, daß er ist ausgelacht worden. Wiewohl, es fällt mir schwer zu glauben, daß er sich aus Kargfeld herschreibt. Nun sehe ich recht deutlich ein, daß die Verwechselung der Briefe nicht dem Zufall zuzuschreiben, sondern daß dieses mit Fleiß so geschehen ist. Um aber niemanden hierüber Unrecht zu thun; so lassen Sie uns jedermann[281] so lange im Verdacht haben, bis wir den Zusammenhang der Sache vollkommen kennen. Was ich Ihnen schon heute gesagt habe, das wiederhole ich hier nochmals: Lassen Sie Ihren Verdruß nicht sichtbar werden, damit die Boshaften nicht frohlocken, daß ihnen ihr Streich gelungen ist. Nur eine kleine Geduld! Wir werden die finstern Gesichter auch noch brauchen. Wenn wir nur erst unsere Feinde kennen, alsdenn wollen wir tapfer gegen sie zu Felde ziehen. Ich werde keine Mühe sparen, sie zu entdecken, und wenn ich darüber zu einer klugen Frau schicken sollte. Glauben Sie das nur ganz sicher


Ihrer

aufrichtigen Freundin

A.v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 272-282.
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