XXVIII. Brief.

Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

[282] den 5 Novembr.


Das ungezogne Kopfweh! Will es sich denn noch immer nicht legen? Ich bin sehr böse, daß es Sie nun schon drei Tage quälet, und mich eben so lange des Vergnügens beraubet hat, von Ihnen ein Briefgen zu erhalten; oder wie ich hoffte, Sie selbst hier zu sehen. Wenn es doch nur wie der Schnuppen ansteckte, oder sich durch eine Sympathie fortpflanzen ließ; so sollte es gewiß den Urheber der verhaßten Briefe dergestalt ängstigen, daß er es verschwören wurde, seine Feder bei dergleichen ruchlosen Händeln jemals wieder anzusetzen. Ihre Unpäßlichkeit, denke ich, soll mit dem bösen Wetter Abschied nehmen, und morgen haben wir, nach dem Wetterglase und Bornseils untrüglichen Prophezeiungen, einen sehr[283] schönen Tag zu erwarten. Doch ich rede vom Wetter, gerade als wenn ich sonst nichts zu sagen wüßte. Ich habe mir vorgesetzt Ihnen diesmal etwas sehr wichtiges zu melden. Was dächten Sie wohl? Vorläufig kann ich Ihnen die Nachricht geben, daß ich in der Lotterie das Schicksal der mehresten gehabt, und nichts gewonnen habe. Nun werden Sie wohl errathen, daß meine Entdeckung unsere Händel betrifft, ich kann sie wohl so nennen; aber vielleicht bilden Sie Sich nicht ein, daß ich das ganze Geheimniß weiß. Ist das möglich! Auf mein Wort, was ich Ihnen sage! Hören Sie meinen Bericht hiervon.


Noch den Abend, da ich meinen letzten Brief geschrieben hatte, machte ich den Baron zu meinen Vertrauten; ich konnte es ihm unmöglich verschweigen. Nur verdroß mich, daß ich es von freien Stücken heraus sagen mußte, ohne daß er mir es ansehen wollte, daß ich was auf dem Herzen hatte. Doch ich setzte diesmal alles Ceremoniel bei[284] Seite. Da er mir nicht mit Ehrerbietung zuvor kommen und mich fragen wollte, warum ich ein so verdrüßlich Gesichte machte; so sagte ich es ihm recht deutlich, daß ich über einer gewissen Begebenheit, die mir heute zugestoßen, sehr empfindlich wäre. Nun schien es, als wenn er seine Unachtsamkeit wieder einbringen und mir alles auf einmal aus den Augen lesen wollte. Ich wies ihm die Briefe, und erzählte die Unterredung mit dem Verwalter, er erstaunte über meine Geschichte. Ich entdeckte ihm meine Gedanken von der Sache, er hörte mich an, ohne ihnen beizufallen, noch sie zu verwerfen. Er überdachte alle Umstände nochmals reiflich und mit solcher Aufmerksamkeit, daß ich glaubte, den Herrn Pitt vor mir zu sehen, wenn er Krieg und Frieden wägt. Er erklärte den Major gleichsam durch einen Machtspruch für unschuldig, endlich gefiel es ihm, auch seine Gründe dies falls anzuzeigen. Er glaubte, daß eine so niederträchtige Handlung dem Charakter des Herrn v. Ln. zuwider sey; er versicherte zugleich, daß er seine[285] Hand genau kennte, daß aber die Züge des Briefs davon sehr abwichen. Er war über diese Verwegenheit so unwillig, daß ich zu der Zeit nicht wünschte, daß er den Verfasser der Briefe entdecken möchte. Doch wie seine Hitze bald überhingehet; so fing er auch an, diese Sache von der scherzhaften Seite zu betrachten. Sie ist so verwickelt, sagte er, daß sie dem Knoten in einer Komödie nicht unähnlich scheinet. Es ist nichts ungewöhnliches, daß dieser durch eine Tracht Schläge aufgelöset wird, wenn sich die Acteurs nicht anders helfen können. Wir wollen dieses kräftige Mittel auch hier anwenden, und dem Ueberbringer der Briefe seine Mühe dadurch belohnen lassen, der kann sie dem wieder zustellen, der ihm die Briefe gegeben hat, vielleicht bringt der sie wieder an rechten Mann. Bei meiner Schwester und mir fand dieser Vorschlag keinen Beifall, der arme Bornseil wäre dabei am schlimmsten wegkommen; der Schluß fiel deswegen dahin aus, dem Verwalter einzuprägen, denjenigen genau zu betrachten, der[286] ihm ein verschloßnes Briefgen bringen würde, um eine Antwort von ihm abzuholen. Es wurden ihm auch noch andere Regeln auf mancherlei Fälle ertheilet. Nun seyn Sie aufmerksam, jetzt kommt die Entwickelung. Heute frühe wurde der Verwalter in die Stadt geschickt, er läßt sich da kaum auf dem Markte blicken; so ruft ihn ein Weib, die eine ganz bekannte Trödelfrau ist, zu sich, zeigt ihm ein versiegelt Billet, und fragt, ob er an sie etwas abzugeben hätte. Bornseil stellt sich erfreut darüber und beantwortet ihre Frage mit ja, sucht alle seine Taschen durch, endlich, da er nichts findet, thut er sehr bestürzt, und beklagt, daß er früh im Dunkeln einen unrechten Rock ergriffen habe; verspricht aber heimzureuten und ihr noch vor Abends einen Brief zu bringen. Der Baron hatte ihm diese Umstände wohl eingepräget. Er gerieth auf die Vermuthung, daß er leichtlich in der Stadt um die Briefe könnte befraget werden. Er kam mit dieser Nachricht zurück. Wir schickten hierauf den Jäger in die Stadt, welcher sich[287] allerlei Kleinigkeiten bei dieser Frau kaufen sollte, um bei dieser Gelegenheit von ihr auszukundschaften, von wem sie das Billet wohl habe; er kann aber nichts von ihr ausforschen. Unsere Bemühungen wären also beinahe fruchtlos gewesen, wenn nicht zum Glück bei seiner Anwesenheit ein Mann vor die Bude kommen wäre und gefragt hätte, ob der Brief da sey, den er mitnehmen sollte. Sie beantwortet dieses mit nein, und bestellt ihn nach einer Stunde wieder. Der Jäger schleicht diesem Manne nach, der ihm ohnedem nicht unbekannt ist, und bringt ihm im Gasthofe bei einer freien Zeche zu einem vollkommenen Geständniß, doch unter der Bedingung, keiner lebendigen Seele etwas davon zu entdecken, weil es ihm hart verbothen wäre, etwas davon zu sagen. Sehen Sie nur, wie listig der Urheber geheimen Correspondenz an uns sich verborgen hatte. Wenn er nicht durch einen Zufall wäre entdecket worden; so hätte man seine Verwegenheit nicht einmal ahnden können. Et hat sich, wie wir aus dem Erfolg sehen, für[288] unsere Rache sehr gefürchtet, und auf alle mögliche Art sich davor sicher zu stellen gesucht. Gegenwärtig beschäftigt sich mein Gemüth mit keiner andern Vorstellung, als mit der, diesen Frevel bestraft zu sehen, und ich bin so erfindungsreich, daß immer ein Anschlag den andern verdringt, meine Rache auszuführen. Der Baron hat versprochen, mir mit Rath und That an die Hand zu gehn; ich bin aber noch gar nicht mit mir einig, welches Mittel sich am füglichsten wird anwenden lassen, den Verwegenen zu züchtigen. Morgen besuche ich Sie, da wollen wir diese Sache gemeinschaftlich überdenken, wenn uns nicht überflüßige Personen in unsrer Gesellschaft daran verhindern. Doch ich plaudere sehr viel, und jage immer nicht, von wem sich der schlimme Streich herschreibt, und daran ist Ihnen vermutlich am meisten gelegen. Damit ich Ihnen morgen recht sehr willkommen bin; so habe ich mir vorgenommen, den Urheber, davon nicht anders als mündlich zu nennen. Ich lasse Sie in einer völligen Ungewißheit, um mir morgen[289] das Vergnügen zu verschaffen, Sie noch einmal herumrathen zu lassen: ich möchte doch sehen, wen Sie am meisten im Verdacht haben. Wenn Sie eine so unleidliche Neugierde besäßen, als unserm Geschlechte ordentlich zugeschrieben wird, die aber durchaus ein Fehler einzelner Personen ist, worunter ich gehöre; so würde ich mir es zur Sünde anrechnen, Sie so lange schmachten zu lassen. Sie sind aber gewiß hierbei ganz gleichgültig, und übersehen meinen kleinen Eigensinn. Mein Brief ist nun lang genug, Ihnen ihr Kopfweh zu vertreiben, oder es zu vermehren, deswegen will ich kein Wort mehr sagen, als daß ich bin


Ihre

aufrichtige Freundin

A.v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 282-290.
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Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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