XXIX. Brief

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[290] Schönthal, den 12 Nov.


Geliebter Bruder,


Du verlangst, daß ich noch immer auf alles aufmerksam seyn soll, was zur Geschichte unsres Oncles gehöret, in ferne man ihn als Grandisons Jünger betrachten kann, ich bin auch noch immer geneigt, dein Verlangen zu erfüllen. Jetzo sehne ich mich recht nach neuen Auftritten, um die langen Winternächte desto gemächlicher hinzubringen, wenn ich einen Theil davon verschreibe, so wie ich den andern zu verschlafen gedenke. Wenn mir nur die geringste Gelegenheit gegeben wird, so bediene ich mich derselben mit Vergnügen, dir von den Begebenheiten in unserer Gegend Nachricht zu geben: aber eher setze ich auch keine Feder[291] an. Wenn ich weiter nichts sagen kann, als daß wir gesund sind, so schweige ich lieber: das kannst du auch von andern erfahren. Jetzo habe ich einmal wieder etwas erhascht, davon ich so viel zu schreiben gedenke, daß ich wenigstens ein halb Dutzend Federn stumpf machen werde; es betrifft unsern Oncle nur mittelbar und geht hauptsächlich den Herrn Lampert an. Der erste ist ganz ruhig, oder muß es vielmehr seyn, er verhält sich wieder paßive, wie Lampert spricht, das ist, er hat einen kleinen podagrischen Anfall; aber desto lebhafter ist der andere. Es ist, als wenn es diese beiden Leute mit einander abgeredt hätten, daß wenn der eine etwas seltsames geliefert hat: so tritt der andere auf, damit die Schaubühne nicht ledig bleibt. Ich bin gewohnt, nicht nur sehr lange Briefe wegen dieser Händel an dich zu schreiben, sondern ich theile dir auch alle diejenigen in Abschrift mit, die unter uns diesfalls gewechselt werden, und welcher ich nur habhaft werden kann. Gegenwärtig erhälst du ein Stück des Briefwechsels zwischen mir und[292] dem Fräulein v.W. Die ersten davon enthalten an sich eben nichts merkwürdiges, und ich war anfangs zweifelhaft, ob ich sie mit einschließen wollte; doch da ich sie nochmals las, schienen sie mir nicht ganz unbeträchtlich. Sie fassen den merkwürdigen Punkt der Wiederaussöhnung des Herrn v.N. mit der Frau v.W. in sich; sie enthalten auch einige Anekdoten, daraus man die dermaligen Gesinnungen der Personen, die unsere gewöhnliche Gesellschaft ausmachen, erkennen kann. In einem davon wird gedacht, daß der Major unsern Oncle eifersüchtig gemacht hat, und dieses kann als der Grund von der ganzen Geschichte, die ich zu beschreiben gedenke, angesehen werden. Da sich unser Oncle einmal eine Ursache zur Eifersucht in den Kopf gesetzet hatte; so zweifelte er nun, daß das Fräulein v.W. eine Henriette Byron seyn könnte, wenn sie einen andern Mann unserm Oncle in ihrem Herzen vorzöge. Vermuthlich hatte hierüber viele sorgsame Gedanken und Herr Lampert nach seiner gefälligen Art, machte sich anheischig,[293] geschickte Mittel ausfündig zu machen, solches zu verhüten. Er gerieth auf den boshaften Einfall, im Namen des Herrn v. Ln. an das Fräulein v.W. und an mich zu schreiben, uns einen verwünschten Liebesantrag zu thun und diese Briefe mit Fleiß zu verwechseln, um dadurch den Major bei uns beiden verächtlich zu machen. Ich bilde mir ein, daß ihm diese Erfindung einige schlaflose Nächte gemacht hat. Er richtete solche in der That ins Werk, und weil ich seitdem ein kleines altmodisches silbernes Dösgen bei ihm bemerket habe; so glaube ich, der Oncle hat ihn damit für seinen klugen Einfall beschenket. Wenn ich nicht aus verschiedenen Umständen gemuthmaßet hätte, daß diese Briefe erdichtet wären; so hätte ihm sein Vorhaben wenigstens eine Zeitlang gelingen können, ohne daß dadurch sein Gönner das gerinste würde gewonnen haben. Im Anfang fiel aller Verdacht auf die Frau v.W. und Fräulein Julgen hat mir gestanden, daß sie, nachdem ich sie auf diese Spur gebracht, so feste davon wäre überzeugt gewesen,[294] daß sie es nur für Scherz angenommen, da ich ihr gesagt hätte, diese Erfindung schriebe sich vielleicht aus Kargfeld her. Sie wollte dieses mir nicht einmal glauben, da ich zu ihr ging, um ihr den wahren Urheber davon zu nennen. Wie wir ihn entdeckt haben, solches wirst du aus meinem letzten Briefe an das Fräulein v.W. sehen. Ueberhaupt erinnere ich, daß du die Innlagen meines Briefes eher lesen mußt als ihn selbsten, damit dir nichts in meiner Erzählung unverständlich bleibt. So erbittert wir gegen die Frau v.W. gewesen wären, wenn wir unsern Verdacht gegen sie gegründet befunden hätten; so ruhig waren wir nun, da wir den wahren Urheber dieser Kabbale entdeckt hatten. Das Fräulein v.W. war so großmüthig ihm zu verzeihen, ich hingegen war darauf bedacht wenigstens auf eine lustige Art mich zu rächen. Der Baron rieth mir, gegen den Oncle und den kühnen Lampert meinen Unwillen zu verbergen. Er nahm es auf sich, wegen dieser Beleidigung uns vollkommene Genugthuung zu verschaffen.[295] Leute von dem Charakter eines Lamperts, verdienen in meinen Augen Mitleiden, wenn man ihre Vergehungen nach der Strenge bestraft. So boshaft ihre Unternehmungen auch oftmals scheinen; so gehören sie doch zu den unwissendlichen oder wenigstens zu den Schwachheitssünden. Ich bin überzeugt, daß Lampert gewiß nicht den Vorsatz gehabt hat, uns zu beleidigen, er sahe seine Erfindung als eine erlaubte List an, seinen Gönner von einem so großen Uebel als ein Nebenbuhler ist, zu befreien, und dadurch das Lob eines klugen und erfindungsreichen Mannes zu verdienen. Ich bin geneigt eine größere Beleidigung gleichgültiger zu ertragen, wenn sie mir zugefüget wird, ohne daß man dabei die Absicht hat, mich zu beleidigen, als eine geringere, womit diese Absicht verbunden ist. Der Baron hat eben diese Gesinnung. Es wurde dahero in unserm Rathe beschlossen, uns zu stellen, als wenn wir die Briefe gar nicht empfangen hätten, und wo möglich, diese Gedanken unserm Oncle und dem Magister Lampert selbst beizubringen.[296] Wenn wir diesem hätten merken lassen, daß seine verwegne Unternehmung entdeckt wäre; so hätten wir nothwendig sehr böse gegen ihn thun müssen, und wenigstens in Jahrsfrist hätte er uns nicht dürfen ins Gesichte kommen. Doch dadurch wäre der Baron am meisten gestraft, wenn er in Jahr und Tag keinen Spaß mit ihm treiben sollte. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit ihm eins anzubringen, und ihm jetzo nur allen Argwohn zu benehmen, daß wir hinter das Geheimniß kommen wären. Bornseil hatte der Unterhändlerin in H. versprochen, ihr den Brief, den er an sie abzugeben hätte, noch denselben Tag einzuhändigen, der Baron nahm sich die Mühe ihm einen in die Feder zu dictiren, den er den folgenden Tag der Frau bringen mußte, er wurde in Bornseils Namen abgefaßt. Weil er nicht allzulang ist, will ich ihn einrücken. Die Aufschrift war an Herrn N.N., welcher Peter Bornseilen einige Briefe hat einhändigen lassen.
[297]

Unbekannter guter Freund,


Nebst einem schönen Gruße melde ich dienstlich, daß ich seinen Brief an unsere gnädige Fräulein und den an die Fräulein p.W. wie auch den meinigen wohl erhalten habe, und wenn ich sonst kein Bedenken gehabt hätte; so würden sie auch richtig seyn an Ort und Stelle gebracht worden. Aber nehm er mirs nicht übel, ich muß ihm hierdurch melden, daß ich sie nicht bestellen kann, und wenn ich ein Kaiserthum damit verdienen sollte. Sie sind nicht mehr in meinen Händen. Es hat sie mir zwar niemand genommen, ich habe sie auch nicht verlohren, noch vielweniger bereits richtig bestellt: sondern ich habe mich auf eine sonderbare Manier davon losgemacht. Laß er sichs erzählen, was ich damit vorgenommen habe. Es befremdete mich nicht wenig, daß mir von einem unbekannten Kerl ein Brief zugestellet wurde, darinnen ich zwei andere an die Fräuleins fand, es macht mich ziemlich stutzig, daß sich der Verfasser in dem Briefe an mich[298] nicht genennet hatte. Ich dachte deswegen, ist dir wohl, so bleib davon, daß du nicht kriegest bösen Lohn. Es ist gewiß nicht umsonst geschehen, daß der Verfasser sich nicht genennet hat, das hat seine Ursachen. Wir leben jetzo in gar bedenklichen Zeiten. Briefe zu bestellen, ohne zu wissen, von wannen sie kommen, ist gar gefährlich, es kann einer heutiges Tages in Leib-und Lebensgefahr darügerathen. Was deines Amts nicht ist, laß deinen Fürwitz. Briefe gehören auf die Post; ich bin aber weder ein Postknecht noch ein Postmeister jemals gewesen, sondern meiner Profeßion nach bin ich ein Oeconomus, und wenn ich ihm als ein solcher einen Gefallen kann erweisen, will ich es gern thun; aber zu weiter versteh ich mich nichts. Durch andrer Leute Schaden bin ich klug gemacht. Andräs, der Großknecht auf hiesigem Edelhofe, hat sich neulich von dem Herrn Schulmeister auch einen Brief lassen aufschwatzen, solchen in der Stadt zu bestellen, da er aber damit aus Thor kommt, haben ihn die Soldaten visentiret, den Brief genommen, aufgebrochen[299] und gelesen. Nicht genug hieran, so haben sie den armen Andräs von Pilatus zu Herodes herum geführet, daß er bald ein paar Schuhe darüber zerrissen, und nur noch von Glück zu sagen gehabt, daß sie ihn nicht gar für einen Spijon angesehen. Darum dachte ich: mit solchen Dingen unbeworren! Ich hielt auch sogar gefährlich, die Briefe lange in meinem Hause zu haben. Wenn ich gewußt hätte, wer er wäre, so hätte ich sie ihm noch denselbigen Abend wiehergebracht. Die ganze Nacht hindurch ist mir kein Schlaf in die Augen kommen, und wenn sich nur was regte, so dachte ich, es geschähe Haussuchung, man wollte die Briefe holen, und mich in Ketten und Banden schmieden. Um nun der Marter loß zu werden, nahm ich sie frühe, so bald der Himmel grauete, band sie an ein paar große Steine, und trug sie, wie ein paar junge Katzen, ins Wasser. Ich hätte zwar den kürzesten Weg gehen und sie verbrennen können; aber ich sorgte, dieses möchte mir Verdruß bringen, ich habe gehört, daß der[300] Staupbesen darauf stehet, wenn man die Briefe an andere erbricht, und ein fremdes Siegel verletzt. Da es nun in diesem Falle nicht ohne Verletzung des Siegels abgegangen wäre; so warf ich sie lieber ins Wasser. Nehm er es nicht übel, daß ich so strenge mit den Briefen verfahren bin, es war mir so Angst dabei, daß wenn ich sie länger in meinem Hause behalten hätte, so wäre ich wohl endlich selbsten ins Wasser gesprungen. Ich habe ihm nun als ein ehrlicher Mann gesagt, wo die Briefe hingekommen sind, und kann einen Eid deswegen ablegen. Er kann ja leichtlich ein paar andere schreiben, und sie auch auf eine andere Weise als durch mich bestellen lassen, wenn es nöthig ist. Dieses hat ihm nachrichtlich melden wollen

P.B.


Mit diesem Briefe, den der Baron vollkommen nach Bornseils Schreibart eingerichtet hatte, wurde dieser nach H. geschickt, wo der benennten Frau solchen auch gegeben,[301] die ihn vermuthlich richtig bestellet hat. Nun dachten wir auf nichts anders, als den Magister Lampert seinen Frevel büßen zu lassen, wir machten einen Haufen Anschläge, es fanden sich aber bei jeden Schwürigkeiten. Von ungefehr both sich hierzu eine Gelegenheit dar, die so wunderbar als unerwartet kam. Doch ich will hier in meinem Briefe einen kleinen Abschnitt machen, damit wir beide, du beim Lesen, ich beim Schreiben, ein wenig ausruhen können.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 290-302.
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