XXX. Brief.

Fortsetzung des vorigen.

[302] Den 13 und 14 Nov.


Es war am Diensttage, da wir Nachricht erhielten, daß einige Esquadrons von der schweren Englischen Cavallerie in unsere Gegend einrücken würden, Sie trafen Mittwoch Abends ein, wir bekamen also Gäste. Zwei Officiers ritten gerade in[302] den Edelhof, der eine war Rittmeister und der andere Cornet. Sie schienen im Anfang ein paar steife Männer zu seyn, der Rittmeister sonderlich hatte eine so nachdenkliche Mine, als wenn er glaubte, daß er an dem glücklichen Feldzuge dieses Jahres keinen geringen Antheil hätte. Wer sollte denken, daß dieser Mann bestimmt gewesen wäre, zwei beleidigte Frauenzimmer zu rächen! Der Baron redete sie französisch an, Sie antwortete kurz und gebrochen. Ich nahm mir vor, nicht lange in ihrer Gesellschaft zu bleiben, doch bei Tische fanden wir an dem Rittmeister einen ganz andern Mann, er wurde aufgeräumt und redete uns plötzlich in unsrer Muttersprache an. Der Baron war eben im Begriff, ihm seine Verwunderung darüber zu entdecken, da er ihm zuvor kam und anfing, sein Leben zu erzählen. Er hat einige mal das Glück gehabt, den König nach Deutschland zu begleiten, und hat sich ausserdem ziemlich lange aufgehalten. Nachmittage stattete der Herr v. Ln. einen Besuch bei uns ab. Der Rittmeister war sein vertrauter[303] Freund. Sie hatten einander lange nicht gesehen, und unterhielten sich eine Zeitlang von den Begebenheiten, die unterdessen dem einen sowohl als dem andern zugestoßen waren. Die Gespräche wurden hierauf, da diese beiden einander nichts mehr zu sagen hatten, so mannigfaltig, daß man fast zu gleicher Zeit vom Kriege, von der Verschiedenheit der Sitten der Deutschen und der Engländer, und von Romänen sprach. Das Capitel von den letztern war das längste. Der Major machte dem Rittmeister ein Compliment dadurch, daß er seinen Landsleuten ihr gehöriges Lob gab, daß sie uns mit verschiedenen artigen Romans beschenket hätten. Die vornehmsten wurden genennt und beurtheilet. Beiläufig wurde auch unserer übermäßigen Verehrer des Grandisons gedacht. Der Rittmeister war hierbei aufmerksam, und nach dem Geschmacke der Britten vergnügte er sich ungemein an dem sonderbaren, das diese Leute von sich blicken ließen. Der Major erzählte ihm mehr davon, als uns Anfangs leib war. Um das[304] Gespräch in etwas zu verändern, gedachte der Baron, daß einer von Grandisons Jüngern zwei Frauenzimmer sehr beleidiget hätte, die deswegen auf Rache bedacht wären, und fragte mich zugleich, warum ich so roth würde, ob ich dadurch meine Rachbegierde verrathen wollte? Hierüber wurde ich in der That roth, diesen abgenutzten Spaß, die Männer auf Kosten des Frauenzimmers einmal lachen zu lassen, wendete der Baron dismal, seiner Gesellschaft zu Ehren, in dieser Absicht an. Ich wollte ihm wieder eins versetzen; doch ehe er mich zum Worte kommen lies, wendete er sich zum Major und sagte, er hätte schon in unserer Gegend einmal die gute Sache des Frauenzimmers mit Ruhme vertheidiget, worzu er sich entschlüssen wollte, wenn er hierzu nochmals aufgefodert würde? Der Herr von Ln. machte seinen besten Reverenz, er wollte gleich seinen Abschied fordern, sagte er, und aufhören, das Vaterland vertheidigen zu helfen, wenn er die Ehre haben sollte, für die Schönen zu fechten. Die Unterredung wurde über diesem[305] Punkt ziemlich munter, der Engelsmann wollte all einem solchen Glück gleichfalls Antheil haben, und sie zankten sich hierüber lange. Da der Rittmeister hörte, daß eine Fräulein Base des Majors mit im Spiel wäre, wollte er sich endlich mit ihm dahin vergleichen, daß sich dieser seiner Fräulein Base annehmen sollte; er hingegen wollte meine Parthie nehmen. Sie waren beide nun nur begierig, den Beleidiger sowohl, als die Beleidigung zu erfahren, jenen nennte der Baron, und diese, sagte er, bestünde darinne, daß Lampert, um eine Wette von unserm Oncle zu gewinnen, welcher behauptet hätte, die Freundschaft zwischen mir und dem Fräulein v.W. wäre unzertrennlich, sich unterstanden hätte, einen Zwist unter uns erregen zu wollen. Alle stimmten damit überein, daß dieser Frevel müßte bestraft werden. Der Baron hatte sogleich eine seltsame Erfindung parat, diesen Vorsatz auszuführen, die von allen belacht wurde; die aber einen so allgemeinen Beyfall erhielt, daß sie der Rittmeister, der dabey hauptsächlich[306] mit eingeflochten war, durchaus in Erfüllung bringen wollte. Es kostete nicht viel Mühe, den Baron dahin zu bringen, seinem Gaste dieses Vergnügen zu verschaffen. Die Herren brachten also den übrigen Theil des Tages damit zu, einander in allem vollkommen zu unterrichten, was den folgenden Tag ihre Lust vollkommen machen könnte. Ich schlich mich weg, um Fräulein Julgen Nachricht zu geben, was der Baron dem Major vorgeschwatzt hatte, damit wir einerlei Sprache führten, wenn der Herr v. Ln. etwas gegen ist davon gedächte. Des folgenden Tages fand sich dieser sehr zeitig bei uns ein, hierauf wurde folgendes Billet nach Kargfeld geschickt:


An Herrn Lampert,


Vernehmen Sie aus meinem Munde die seltsamste Geschichte, mein werther Herr Magister, die sich seit ihrer Promotion zugetragen hat. Ich habe seit vier und zwanzig Stunden einen Mann unter meinem Dache, den wir beide aus der Geschichte Sir[307] Grandisons kennen – Wen meinen Sie wohl? Ich will ihre Seele nicht lang im Zweifel lassen. Sind sie begierig den Hauptmann Salmonet von Person kennen zu lernen; so kommen sie eiligst nach Schönthal, er hat ein großes Verlangen Sie zu sehen, der Major Ohara hat in einigen Briefen sehr vortheilhaft von Ihnen geurtheilet. Lassen Sie noch zur Zeit ihrem Gönner nichts erfahren von dem, was ich ihnen jetzo fub rosa gesagt habe, damit er nicht in die Versuchung fällt, Sie zu begleiten. Es ist heute eine sehr feuchte Luft und ihm zuträglich, daß er sich warm hält, damit ihm das Podagra nicht in Leib schlägt. Kommen Sie bald, Sie werden mit Verlangen erwartet von


Ihrem

geneigten Freunde.

v.F.


Entzückt über diese unerwartete Botschaft, macht sich Lampert nach Empfang dieses[308] Briefgens sogleich reisefertig. Es war so veranstaltet worden, daß er auf diesem kleinen Wege bereits einige Anfechtungen haben sollte. Einige Reuter mußten ihn überfallen und für einen französischen Feldprediger ansehen. Er hat durchaus ein Kriegsgefangener werden sollen. Man hat ihm gesagt, er müßte mit nach Wilmershaußen in das Staabsquartier folgen. Endlich erhält er auf vieles Bitten so viel, daß er einer abgelößten Feldpost ein Wahrzeichen mit an uns nach Schönthal geben darf, damit wir seine Befreiung desto schleuniger auswirken möchten. In der Angst wählte er hierzu seine Sammtmütze, und er hätte nichts kenntlichers wählen können. Der Cüraßier hatte sie auf seinen blanken Pallasch gesteckt, da er in Schönthal einritte, und wem Lampert nicht bald darauf selbst nachkommen wäre, so ahndete mir schon, daß das Gerüchte in der Gemeinde entstehen würde, er wäre niedergemacht worden. Doch der Rittmeister befahl, daß man ihn ungehindert sollte paßiren lassen, und schalt den Reuter daß er die[309] Zierde des Hauptes eines deutschen Magisters so sehr mißhandelt hätte. Lampert erschien hierauf noch ganz betäubt von Schrecken. Der Rittmeister nahm sein steifes Wesen wieder an, die Rolle, die ihm der Major aufgetragen hatte, schien sehr gut mit ihm zu passen. Nach den ersten Komplimenten, die auf Seiten des Magisters mit einer furchtsamen Ehrerbietung gegen den Rittmeister begleitet waren, zog er einen Brief aus der Tasche. Sie haben mir zwar filentium imponirt, gnädiger Herr, sagte er zum Baron, ich habe meinem Gönner nichts von der beglückten Ankunft des Herrn Rittmeister Salmonets entdecken sollen: nehmen Sie es aber nicht ungnädig, ich hielt mich in meinem Gewissen verbunden, ihm einen Wink davon zu geben. Ich habe mir einmal eine Regel gemacht, kein Geheimniß zu besitzen das ich ihm nicht entdecken sollte, ich darf solche nicht überschreiten. Mein Patron bedauert, daß er nicht im Stande ist dem Herrn Rittmeister persönlich seine Aufwartung zu machen, er empfiehlt sich ihm in diesem[310] Schreiben. Er übergab es dem Officier, welcher es erbrach und laß. Ich will es hier einrücken, es veranlaßte eine wichtige Unterredung


Hochgeehrter Herr Rittmeister,


Wenn Sie deutsch verstehen, so ist es gut; wo nicht, so lassen Sie diesen Brief durch Ueberbringern desselben in eine Sprache übersetzen, in welche sie wollen. Ich erfreue mich sehr, daß ein Mann, von dem ich in der Geschichte Sir Carl Grandisons, meines vielgeehrten Herrn Gevatters, so viel gelesen habe, sich in hiesiger Gegend befindet. Ich möchte Sie gern von Person kennen lernen, und würde nicht ermangelt haben, Ihnen in Schönthal aufzuwarten, wenn ich nicht das Bette hüten müßte. Gönnen Sie mir Ihren Besuch, wenn Sie Ihren Posten verlassen können, Sie werden mir sehr willkommen seyn. Inzwischen da man nicht weiß, wie bald Sie etwan Ordre zum Aufbruch erhalten, und mir viel dran gelegen ist Ihr Portrait zu besitzen, weil Sie doch auch[311] mit in die Geschichte Sir Carls gehören; so thun Sie mir doch den Gefallen, und lassen Sie Sich bei Ihrem jetzigen Aufenthalt in Schönthal auf meine Kosten abkonterfeien. Ich habe nur vorgenommen, alle in dieser Geschichte vorkommende Personen abmahlen zu lassen, um meine Bildergalerie damit auszuschmücken, ich habe diesfalls auch bereits nach England geschrieben. Wenn Sie meine Bitte erfüllen, so erzeigen Sie mir dadurch den größten Gefallen von der Welt, und wenn ich im Stande bin, Ihnen Gegengefälligkeiten zu erzeigen; so werde ich mir ein Vergnügen daraus machen. Ich verharre mit aller Hochachtung


Dero

ergebenster Diener

v.N.


Ja ja, sagte der Rittmeister, das ist der Mann, den mir der Major Ohara beschrieben hat. Hören sie einmal, was Aemilie Sir Beauchamps Gemahl von ihm spricht.[312] Lesen. Sie diesen Brief selbst, Herr, sagte er zum Magister, wenn Sie englisch verstehen; doch ich will ihnen lieber die Uebersetzung davon machen. Er schlug das erste Blatt um, und stellte sich, als wenn er auf der andern Seite das fänd, was er suchte. Er las folgendes?


Wagen sie es ja nicht wieder, Sir Carln nachzuahmen, sie müssen wissen, sagte er, daß mich Lady Beauchamp mit diesem Briefe beehret hat. Es ist sehr wohl gethan, daß sie diesen Vorsatz aufgegeben haben, da sie an der glücklichen Ausführung desselben so sehr zweifeln. Dieses würde ihr Gemüth nur in einer beständigen Unruhe unterhalten haben. Mein Herr gestehet selbsten, daß er in vieler Unternehmung nicht vollkommen glücklich gewesen ist, das sage ich zu ihrem Troste. Wenn man nicht so gut ist als man seyn soll, so ist es gnug, wenn man sich bestrebt, so gut zu seyn, als man seyn kann. Kein Britte hat bis jetzo Sir Carln erreichet, vielweniger ein Irrländer. Diese Ehre ist einem Ausländer[313] vorbehalten gewesen. Sie kennen den Mann aus den Briefen des Gemahls meiner Mutter. Der Herr v.N., was für ein ehrwürdiger Name, der dem Namen Grandison gleich kommt! Alle Wetten, die in England sind angestellet worden, daß Sir Carl unnachähmlich wäre, gehen nunmehro verlohren. Zwei Capitalisten in Londen werden dadurch banquerott. Wir bewundern alle den großen Deutschen und Sir Carl ist über ihn vergnügt. Sie wissen, wie oft Herr Richardson mich in der Geschichte meines Vormundes heulen läßt: jetzo vergieße ich in der That mehrere Thränen, als mir jemals sind angedichtet worden, lauter Freudenthränen, daß Sir Carl der Gegenstand einer allgemeinen Bewunderung worden ist, und daß man ihn so glücklich nachahmet.


Wir haben Ursache einander Glück zu wünschen, sagte der Baron, daß wir so vielen Antheil an einem Manne haben, den man in Brittannien eben so hoch schätzt; so sehr man sein Urbild in Deutschland bewundert.[314] Bald bekomme ich selbst Lust, die Secte der Anhänger des Herrn Grandisons zu vergrössern, bis jetzo bin ich noch immer neutral gewesen. Was meinen Sie, Herr Rittmeister, trauen Sie mir wohl zu, daß ich es in der Nachahmung des Baronets weiter bringen sollte als Sie? Wenn ich die Ehre bedenke, die mir daher erwachsen würde, so möchte ich es fast wagen – Aber die Schwürigkeiten, die man dabei zu übersteigen findet – –


Salmonet. (Ich will ihm nur diesen Namen geben, weil er doch seine Person vorstellte.) Ja, die canalljösen Schwürigkeiten! Ich habe auch einmal Grandisons spielen wollen, aber bei meiner Treue! Ich hielt es nicht länger als vier Wochen aus, und weiß am besten, welchen Zwang ich mir dabey angethan habe. Wenn es länger gedauret hätte; so wäre ich über den Possen crepirt. Spiegeln sie sich an meinem Exempel.

Der Baron. Ich erkenne es, bei uns ist es nun zu spät, daß wir erst anfangen[315] wollten, uns in eine neue Form zu gießen, und wenn man uns beide zusammen schmelzt; so würde doch kein Mercur aus uns.

Lampert. Es ist andem, non ex quovis ligno fit Mercurius. Indessen wenn man den edelmüthigen Entschluß gefaßt hat, eine große Unternehmung auszuführen; so muß man sich keine Hinderniß davon abschrecken lassen. Man muß an die Worte des Dichters gedenken: quo bene coepisti, hic pede semper eas. Ich rufe die Sentenz täglich einmal beim Frühstück meinem Gönner zu, gleich jenem Edelknaben, der seinen Monarchen auch täglich an einen gewissen Denkspruch erinnern mußte, und dieses macht meinen Gönner so beherzt, daß er alles, was sich seinem edlen Vorhaben entgegen setzt, glücklich überwindet.

Salmonet. Grandison wäre der Mann nicht, der er wirklich ist, wenn er den Doctor Bartlett nicht auf der Seite gehabt hätte; und ihr Gönner würde auch wohl eine schlechte Figur machen, wenn sie ihn nicht unterstützten.

[316] Lampert. Sie erzeigen mir viel Ehre, mein Herr Rittmeister; aber ich versichere, daß ich weiter nichts als eine caussa occasionalis bin, daß mein Patron dem großen Britten glücklich nachfolget.

Salmonet. Sie sind ein sehr bescheidener Mann; mein Herr, und sie verdienen meine Hochachtung, daß sie das Lob, das ihnen mit Rechte zugehöret, auf eine so gute und gelehrte Art von sich ablehnen. Aber helfen sie mir doch aus dem Traume, was hat es denn mit der Bildergalerie ihres Herrn für eine Bewandniß? Mich dünkt, sie ist der Bildergalerie Sir Carls sehr unähnlich, dort befinden sich nur die Ahnen desselben, und hier will ihr Gönner die Portraits aller der Personen, die in der Geschichte seines Freundes genennet werden, aufstellen.

Lampert. Mein Gönner hat dabei verschiedene rühmliche Absichten. Er hält sich für einen aus der Familie Sir Carls, und also glaubt er ein Recht zu haben, alle verwandten desselben als die Seinigen zu betrachten.[317] Da es nicht wahrscheinlich ist, daß er die Englischen Freunde jemals von Person wird kennen lernen; so will er sich doch wenigstens aus dem Gemählde einen Begriff von ihnen machen. Ferner hat er hat er sich vorgenommen, seinen hochadelichen Sitz zu einer Schule der Tugend und Weisheit zu machen. Diese Bildergalerie wird also den beste Hörsaal derselben abgeben. Man wird Gelegenheit haben, wenn man den Lehrlingen diese Portraits zeiget, auch zugleich den moralischen Charakter der Personen, die dadurch vorgestellt werden, zu entwerfen. Die Tugend wird ihr gehöriges Lob, das Laster seinen Tadel finden.

Salmonet. Der Herr v.N. wird mein Portrait also nicht bekommen. Es ist mir bekannt, daß ihr Herren eben nicht die besten Begriffe von mir habt. Ich glaube, ihr wäret im Stande, mich neben den schelmischen Juden Merceda zu stellen, und jeder, der vorüber ginge, müßte einen Fluch über uns aussprechen. Nein, das wäre mir[318] ungelegen! Ich will lieber unbekannt bleiben, als auf eine solche Art berühmt werden.

Lampert. Sie haben nichts zu fürchten. Es scheinet, daß ihnen Sir Carl Pardon gegeben, und die Beleidigungen, die er von ihnen und dem Herrn Major Ohara erhielt, vergessen hat. Es ist also auch unsere Schuldigkeit, daß wir alles mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. So bald sie angefangen haben, den Herrn Grandison zu verehren; so bald sind sie aus den Thoren des Lasters zu den Fahnen der Tugend übergangen. Wenn jetzo Herr Richardson die Geschichte des Herrn Grandisons fortsetzen sollte, so würde er sie vermuthlich in einem ganz andern Lichte erscheinen lassen.

Salmonet. Denken sie nicht an den verhaßten Richardson. Er hat mich vor der ganzen Welt beschimpft, und ich hätte ihn gewiß längstens den Hals gebrochen, am sich Sir Carl seiner nicht annähme. Haben sie denn alles geglaubt, was er von dem[319] Major und mir bei den Händeln zu St. James quarre geschrieben hat?

Lampert. Ich hab im geringsten nicht daran gezweifelt, da Sir Carl den ganzen Vorgang der Sache selbsten an den Doctor Bartlett berichtet.

Salmonet. Es ist wahr, Sir Carl hat mit aller Aufrichtigkeit alle Händel beschrieben, ich habe den Brief im Original gesehen; Sir Richardson aber hat geglaubt, daß die getreue Mittheilung desselben seinem Helden nicht gar zu vortheilhaft seyn dürfte, deswegen hat er sich die Erlaubniß genommen, viele Stellen darinne zu verbessern. Er hat aber die Sache, wie jedermann, der nur Menschenverstand hat, leichtlich einsiehet, dergestalt übertrieben, daß seine Erzählung alle Wahrscheinlichkeit verliehet. Sir Carl macht sich selbst oft darüber lustig: er weiß am besten, wie wir ihn damals in die Enge getrieben hatten.

Lampert. Sollte aber Sir Carl darein gewilliget haben, daß man die Welt so[320] hinterginge und ihr Unwahrheiten und Erdichtungen von ihm aufbürden dürfte?

Salmonet. Der Baronet hat hierzu freilich seine Einwilligung nicht gegeben, er hat alles hinter seinem Rücken gethan. Was sollte er aber machen, da es einmal geschehen war? Er mußte es dabey bewenden lassen.

Der Hr. v. L. Sie hätten in der That diesen Schimpf nicht sollen auf sich sitzen lassen. In Deutschland würde kein Officier mit ihnen getrunken haben, bis sie ihre Sache ausgemacht hätten. Wenn ich an ihrer Stelle wäre; so vertheidigte ich mich wenigstens in Schriften, und suchte meine Ehre vor der Welt zu retten. Ich denke, es ist noch immer Zeit.

Salmonet. Bis jetzo habe ich es auf Bitten des Majors unterlassen, dieser glaubte, Sir Carl würde ungehalten darüber wer, den, sie wissen wohl, daß er Ursache hat ihn zum Freunde zu behalten. Der Baronet[321] und Beauchamp sind ein Herz und eine Seele, dieser letztere, der jetzo Aemiliens Vermögen in Händen hat, würde der Gemahlin des Majors den Augenblick die freiwilligen Renten einziehen, wenn ihm Sir Carl nur einen Wink gäbe. Der Major würde also sehr übel dran seyn, wenn er dem Herrn Grandison auf sich unwillig machen wollte. Inzwischen ist sich jeder selbst der Nächste. Die Freundschaft des Baronets ist mir angenehm: aber ich will solche doch lieber vermissen als die Achtung der ganzen Welt. Da die Geschichte des Herrn Grandisons in Deutschland ein so großes Ansehen erlangt hat, und ich für die deutsche Nation sehr viele Achtung habe: so kann ich es unmöglich zugeben, daß man mir unverdienter Weise meine Ehre entzieht. Ich will mich rechtfertigen. Ich will die aufrichtige Relation der Händel mit Sir Carln aufsetzen und drucken lassen. Ich will mich gegen unverschämten Herrn Richardson vertheidigen. Weisen sie mir nur einen Gelehrten zu, der die Sache gut einfädelt: ich bin der deutschen[322] Sprache nicht so mächtig, daß ich mich getrauete, diesen Aufsatz selbsten zu verfertigen.

v. Ln. Einen Gelehrten dürfen sie nicht weit suchen, wenn der Herr Magister Wilibald in der Gesellschaft ist. Er wird sich ein Vergnügen daraus machen, eine Caussa occasionalis zu seyn, ihren Ruhm, der in den Augen der Deutschen Schiffbruch gelitten hat, wieder herzustellen, und er wird, wie ich hoffe, ihre Ehre so tapfer vertheidigen, daß man sie in Zukunft für den herzhaftesten Irrländer halten wird.

Lampert. Ich verbitte diese Ehre gar sehr. Ich werde warlich gegen den Herrn Richardson nie eine Feder ansetzen, das ist geschworen! Gesetzt, aber noch nicht eingestanden, er hätte einiges in den Briefen des Herrn Grandisons an den Doctor Bartlett geändert; so würde ich doch nicht im Stande seyn, das Publicum davon zu überzeugen.[323] v. Ln. Ich sollte meinen, dieses würde sich leicht thun lassen, wenigstens ist es wahrscheinlicher, daß zwei so tapfere Männer, als der Herr Major Ohara und der Herr Rittmeister Salmonet sind, den Herrn Grandison entwaffnet haben, als daß er beide durch seine Fechterstreiche um Hut und Degen bringt. Diese Stelle halte ich für die schwerste in dem Grandison, die einer Aufklärung wohl würdig ist.

Salmonet. Ich werde nicht mit Bitten bei ihnen nachlassen, mein Herr, bis sie sich entschlüßen, mir meinen guten Namen wieder zu verschaffen. Ich will ihnen unter der Mahlzeit den ganzen Verlauf der Sache der Wahrheit gemäß erzählen, bringen sie es hernach zu Pappier, damit ich diese Schutzschrift in die nächste Druckerei schicken und hernach in ganz Deutschland bekannt machen kann. Sie sollen zur Belohnung die Ehre haben, ihren Namen davor setzen zu dürfen.[324]

Lampert entschuldigte sich mit einem Haufen Complimenten, und glaubte damit durchzukommen, daß er vorgab, er würde sich das größte Gewissen machen, seinen Eid zu brechen, den er gethan hätte, nie eine Feder gegen den Herrn Richardson anzusetzen: Der Rittmeister aber drang so heftig in ihn, daß ihm ganz Angst dabei wurde. Bei der Mahlzeit erzählte der Rittmeister ein seines Mährgen, das schon den Tag zuvor war ausgedacht worden, von seiner Schlägerei mit dem Herrn Grandison, und sprach davon für sich so vortheilhaft, daß dem guten Lampert kein Bissen schmeckte. Er wünschte diesmal hundert Meilen von Schönthal und dem martialischen Britten zu seyn dem er nicht, wie er wollte, zu widerlegen sich getrauete. Es war auch in der That gefährlich, diesem Kriegsmanne viel zu widersprechen, der, wenn man ihm nicht alles glauben wollte, die Stirn in tausend Falten legte, und gräßlich schwur, daß alles wahr wäre, was er sagte. Unterdessen nennte er den Magister immer seinen besten Freund, und erwies ihm[325] allerlei Liebkosungen. Beim Koffee wurde der Spaß vollkommen, wo nicht gar übertrieben. Lampert wollte es durchaus nicht unternehmen, den Herrn Salmonet gegen die Erzählung des Herrn Richardsons zu vertheidigen.


Wollen Sie nicht meiner Bitte Platz geben, mein Herr, sagte der Officier; so werde ich, wenn sie sich ferner weigern, nach Kriegsgebrauch mit ihnen verfahren müssen. Corporals, rief er zum Fenster hinunter, haltet ein Dutzend Sättel bereit. Nehmen Sie es nicht ungütig, mein Herr, es thut mir leid, daß ich ihre Schultern mit zwölf Sätteln muß beschweren lassen, wenn Sie meine Ehre gegen die feindseligen Angriffe des Herrn Richardsons nicht vertheidigen wollen. Sie werden sich gefallen lassen, diese Last so lange zu tragen, bis sie sich meinem Absichten gemäß erklären. Auf diese Art habe ich in meinem Vaterlande die Hartnäckigkeit von mehr als hundert Quäckern überwunden, und sie in zwo Stunden glücklich[326] bekehrt. Ich hoffe nicht, daß sie mich in die Nothwendigkeit versetzen werden, ihnen diese kleine Unbequemlichkeit so lange aufzubürden. Versuchen sie es nur so lange es ihnen gefällt. Sobald sie meine Bitte Statt finden lassen; so bald werde ich das Vergnügen haben sie von dieser kleinen Beschwerung zu befreien.


Verlangen sie nicht Unmöglichkeiten von mir, sagte Lampert in einem tragischen Tone, und beleidigen sie nicht das Gastrecht, das bei den Alten heilig war. Ich bin als ein Freund zu ihnen kommen, warum begegnen sie mir als einem Feinde? Sie werden an mir nie einen Vertheidiger, wohl aber einen Ankläger bei der ganzen ehrwürdigen Familie der Grandisonen finden, wenn sie fortfahren, einen Mann zu beleidigen, für den die weisesten der Britten selbst eine Achtung bezeigen, und dessen Bemühungen um die Gelehrsamkeit sie bereits belohnet haben.


[327] Salmonet. Glauben sie nicht, ehrwürdiger Freund, daß ich sie beleidigen will, entfernt von mir sei eine so tadelhafte Absicht! Ich werde sie vielmehr selbst unter der Last der Sättel hoch schätzen. Ich thue nichts, als was die größten Helden der alten und neuern Zeiten vor mir gethan haben, ich verfahre mit ihnen nach raison de guerre. Ein General, der ein Volk in seiner Gewalt hat, läßt sich von solchem alle Unterstützung und Hülfe zu Erhaltung seines Endzwecks, das ist, zu Beförderung seiner Progressen reichen, die er nur aufbringen kann. Er ist berechtiget mit militärischer Execution diese Hülfleistung zu erzwingen, ohne daß er deswegen ein Feind ist, er kann (bei alledem) sogar ein Freund und Bundsgenosse seyn. Was thue ich anders? Sie sind in meiner Gewalt, ich verlange eine kleine Gefälligkeit von ihnen, die sie mir auch leicht erweisen können, sie verweigern mir solche: ich bediene mich also meiner Macht, die mir die Kriegsgesetze erlauben, meinen Endzweck zu erreichen. Ich bin aber keinesweges ihr Feind,[328] Feind, nein, wir sind die besten Freunde, hier haben sie meine Hand. Ich bin äusserst gerühret, daß ich mich genöthiget sehe, ihnen auf eine unangenehme Art zu begenen. Sie werden mich außerordentlich verbinden, wenn sie mich von der Nothwendigkeit befreien, meinem Vortheil der Heiligkeit des Gastrechts vorzuziehen.

Lampert zum Major. Sie bringen alles Unglück über mich, Herr Major! Hätten sie nicht den Vorschlag gethan, daß ich die Ehre des Herrn Rittmeisters gegen die Wahrheit verfechten sollte: so sähe ich mich jetzo nicht in so viele Verdrüßlichkeiten verwickelt. Nun verlasse ich mich auch auf ihren Vorspruch.

Der Major, zuckt die Achseln.

Salmonet. Hier gilt kein Vorspruch, entschließen sie sich, aut, aut. Er stieg auf vom Stuhle.

Lampert. Hören sie, Herr von Salmonet, nur ein Wort!

[329] Salmonet. Was denn?

Lampert. Gönnen sie mir doch wenigstens nur eine kleine Bedenkzeit, um bei einer Sache voll solcher Wichtigkeit eine feste Entschließung zu fassen. Erlauben sie, daß ich einen kleinen Abtritt nehme.

Salmonet. Richten sie alles nach ihren Gefallen ein, bester Freund, ich verstatte ihnen diesen Zeitraum gar gerne, die Sache zu überlegen, bringen sie nur eine mir gefällige Entschlüßung zurück.

Lampert ging hierauf in das Nebenzimmer, wir hörten kurz hernach seine Stimme. Der Baron winkte uns, daß wir stille seyn sollten, er nahm seine Schreibtafel und lehnte sich an die Thür. Hier ist es, was er von dem Selbstgespräche des Magisters aufgeschrieben hat, man konnte nicht alles vernehmen.

Nein! Jedermann würde mich verachten – Welcher Unterschied unter den Menschen! Grandison der Menschenfreund. Ehre genug seinetwegen ein Märtyrer zu seyn![330] Wer kann wider Gewalt und Unrecht – –! Aber gleichwohl – keine Einwürfe! Ein Abschaum von bösen Menschen kann dich nicht beschimpfen. Getrost Lamperte! Jetzt ist es Zeit, dir ein Verdienst zu machen –, Wohlan, zeige deinen Muth, wie spricht der Dichter:


Justum ettenacem propositi virum,

Non militum ardor, prava jubentium,

Non vultus (cape tibi hoc!)

Non vultus iustantis tyranni,

Mente quatit solida.


Aber freilich vor der übelunterrichteten Welt –. Ei kein aber! In Jahr und Tag ist alles vergessen–. Aber Hannchen wird mir umkehren. Ein schwerer Punkt- in der That, Hic haeret aqua! doch nein, nichts ist im Stande – –

Weiter konnte man nichts verstehen, es trat in dem Augenblick ein Küraßier von dem Ansehen eines Bramarbas in das Zimmer, der einen Paß examiniren ließ, und[331] durch das Geräusch seiner Stiefeln uns um den letzten Theil dieses Selbstgespräches brachte. Der Magister kam einige Augenblicke hernach sehr bestürzt zurück; er glaubte, der Küraßier wäre seinetwegen da, um gegen ihn Gewalt zu gebrauchen. Dieses machte eine plötzliche Aenderung in seinem festen Entschluß. Wozu dienen alle diese Weitläufigkeiten, sagte er, da ich bereit bin, ihre Absichten zu erfüllen. Der Rittmeister umarmte ihn, und der Küraßier nahm seinen Abmarsch. Lampert setzte sich in einem Winkel des Zimmers, und nach einer Stunde überreichte er die verfertigte Schutzschrift, die vollkommen nach dem Willen des Officiers eingerichtet war. Der Major rieth ihm, diesen Aufsatz in die öffentlichen Zeitungen einrücken zu lassen, weil dieses der leichteste Weg wäre, solchen allenthalben bekannt zu machen. Lampert bat den Rittmeister sehr angelegentlich, ihn zu beurlauben und ihn mit einem Passe zu versehen, damit wenn er unterweges einer Patruille wieder in die Hände fiele, man ihn nicht für eine verdächtige[332] Person halten möchte. Der Rittmeister versicherte, daß er nichts zu befürchten hatte, weil er aber doch darauf bestund; so gab er ihm einen Reitknecht zur Bedeckung mit. Er mußte versprechen des folgenden Tages wieder zu kommen, aber er hat sein Wort nicht gehalten. Am Freitage wollte der Rittmeister unser Oncle besuchen.; er wurde aber durch die Ordre zum Aufbruch daran verhindert. Jetzo ist es in unserer Gegend wieder ganz ruhig. Der Magister hat sich, wie der Baron erzählet, der gestern in Kargfeld gewesen ist, zwei Tage und drei Nächte in einem großen Schlagfasse auf dem Boden aufgehalten, und vorgeben lassen, er wäre in Angelegenheiten seines Gönners verreist, damit er dem Herrn Salmonet nicht wieder unter das Gesichte kommen möchte. Unser Oncle ist sehr böse auf ihn, daß er dem Rittmeister Gehorsam geleistet, und eine Schmähschrift gegen den Herrn Grandison, wie er es nennt, aufgesetzt hat. Ich will das Original davon meinem Briefe mit beifügen, du wirst leicht einsehen, welchen[333] Zwang der Magister bei Verfertigung dieses Aufsatzes sich hat anthun müssen. Fräulein Julgen ist mit dieser heimlichen Rache gegen den boshaften Lampert nicht sowohl zufrieden als ich. Sie ist ein liebes frommes Kind, die keine Beleidigung rächen, sondern nur verzeihen will. Meine sechs Federn sind nun eben stumpf, ich will also mein Paquet geschwinde zusammen packen. Wenn es dir in Straßburg nicht so wohl gefällt als in Londen; so verschaffe uns bald das Vergnügen, dich in Schönthal zu sehen, um von mir die mündliche Versicherung zu erhalten, daß ich nie aufhören werde zu seyn


Deine

A.v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 302-334.
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Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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