Avertissement

An das Publicum.

[334] Es ist nicht ohne die äußerste Befremdung zu vernehmen gewesen, was maßen der Herausgeber der Geschichte Herrn Carl Grandisons, sich die ungeziehmende Freiheit genommen hat, einige Briefe in besagter Geschichte nach seinem Gutdünken zu verändern und zu verfälschen, dergestalt und also, daß er sich nicht entblödet hat, aus solchen einige wichtige Umstände ganz und gar wegzulassen, oder zu verdrehen; nicht minder seine eigenen Erdichtungen und Hirngespinnste an deren Stelle zu setzen, und sie für die reine Wahrheit zu verkaufen. Da nun durch solche arglistige Griffe sowohl das Publicum auf eine schändliche Art ist hintergangen, als auch verschiedene Personen durch diese ungetreue Erzählung an ihrer Ehre und guten Namen heftig sind gekränket[335] worden: so hat man nicht Umgang nehmen wollen, eine abgenöthigte Ehrenrettung, der, von dem Herrn Herausgeber so feindselig angegriffenen Personen, öffentlich an das Licht zu stellen, und dadurch ein unparteiisches Publicum von der Wahrheit der Sache genau zu informiren, die fabelhaften Erdichtungen in ihrer Blöße darzustellen, und ihre Urheber für seine Verwegenheit dadurch einigermaßen büßen zu lassen.


Nie ist wohl die Wahrheit mehr gesparet worden, als bei Erzählung des Duells zwischen Herrn Carl Grandison Baronet an einem, und S.T. Herrn Major Ohara und dem Herrn Hauptmann Salmonet am andern Theile. Ob man gleich genugsam überzeugt ist, daß jedem vernünftigen Leser sogleich bei Erblickung dieser Relation, welche im 3ten Theile der Grandisonischen Geschichte und daselbst im XIII. Briefe aufgezeichnet zu ersehen ist, die handgreiflichsten Unwahrscheinlichkeiten, damit am besagten Orte einige Blätter angefüllet sind, nothwendig in[336] die Augen leuchten müssen, und man also die ganze Sache dem vernünftigen Urtheile des billigen Lesers hätte überlassen können: so hat man doch um der schwachen Brüder willen, die des judicii discretionis sich nicht sonderlich rühmen können, und aus Liebe zur Wahrheit, einige Umstände dieser Erzählung in etwas beleuchten wollen, um solche von den vorsetzlichen Erdichtungen des Verfassers zu säubern, und Licht und Finsterniß, das ist, Wahrheit und Lügen in diesem Chaos von einander abzusondern. Es ist demnach


1.) Ueberhaupt eine strafbare Verwegenheit, wenn dieser ganze Brief, so wie er in bemeldter Geschichte dem Publico vor Augen liegt, dem Herrn Carl Grandison angedichtet wird. Wahr ist es, daß Sir Carl den ganzen Verlauf des Rencontres mit dem Herrn Major Ohara und dem damaligen Titularhauptmann, jetzigen wirklichen Rittmeister in Königl. Großbrittannischen Diensten, Herrn von Salmonet, an Se. Hochwürden, Herrn D. Bartlett, aufrichtig und[337] mit der Wahrheit übereinstimmend berichtet hat. Es ist dieser Brief aber von dem Herrn Herausgeber entweder ganz und gar unterschlagen, oder durch viele erdichtete Zusätze so verunstaltet worden, daß ihn Sir Carl gar nicht mehr für den seinigen erkennt, wie er dieses selbst gegen viele glaubwürdige Personen, die allenfalls alle mit Namen angeführet werden könnten, gestanden hat. So ist auch


2.) Grundfalsch, wenn der Verfasser dieses untergeschobenen Briefes Sir Carln muthmaßen läßt, die beiden Herren wären gemeine Kerls und keine Officiers, die von der Frau Jervois nur wären herausgeputzet worden, da doch mehr belobter Herr Hauptmann Salmonet jetzo in Deutschland unter den englischen Truppen mit vielem Ruhme ein Geschwader Reuter commandiret, und sich vorgenommen hat, die Feinde seines Königes und des Vaterlandes zu überwinden, oder zu sterben. Es konnte auch Sir Carln ganz und gar nicht einfallen, an dem guten[338] Herkommen dieser beiden Herren zu zweifeln, da der Herr Major gleich nach den ersten steifen Complimenten, die beide Theile einander machten, sein Geschlechtregister nebst allen Documenten seines guten irrländischen Adels, welches zusammen im Druck einen ziemlichen Quartanten ausmachen dürfte, dem Baronet in einer Schnupftobacksdose darreichte, von welcher doch der Verfasser ein ganz andres Mährgen erzählet. Man hat nicht Ursache über dieses compendiöse Behältniß eines so weitläuftigen Werkes in Verwunderung zu gerathen, da man ja ungezweifelt weiß, daß in dem Alterthume eine Abschrift der ganzen Ilias des Homers, auf Pergament geschrieben, in einer Nuß ist aufbehalten worden. Was aber das Geschlecht des Herrn Salmonets anlangt, so glaubt man, daß jeder von der Vortrefflichkeit desselben genugsam werde urtheilen können, wenn man sagt, daß der Herr Großvater oftbenannten Herrn Rittmeisters unter Cromwells Heere eine ansehnliche Charge hatte, wenn dieser predigte, so versahe jener[339] die Stelle eines Feldcantors. Aus dem Verhältnisse eines Pastoris und Cantoris mit der Gemeinde, kann man das Verhältniß zwischen dem Protector Cromwell, dem Anherrn des Herrn Salmonets und andern Gliedern des Brittischen Staats vollkommen bestimmen. Gleichwie ein Pastor in keinem Dorfe und dessen Filialen der vornehmste Mann ist, und nach ihm dem Cantori der zweite Platz gehöret: also war auch Cromwell ein Beherrscher dreier Völker; und Herr Eduard Salmonet war nach ihm der größte im Reich. Ferner und zum


3.) Kann man auch unangemerkt hier nicht vorbeilassen, daß der Verfasser oftangezogenen untergeschobenen Briefs einen offenbaren Widerspruch begehet, wenn er erstlich den Herrn Grandison diese beiden Herren für gemeine Kerls halten, und ihn doch kurz hierauf den Degen gegen beide ziehen läßt. Man könnte zwar sagen, es wäre dieses eine Nothwehre gewesen: Sed quod negatur. Warum ließ er es denn[340] so weit kommen? Warum braviert er die Herren so lange, bis sie endlich böse werden und vom Leder ziehen? Wenn er sie für keine Cavaliers hielt, so konnte er ja gleich bei dem ersten Wortwechsel seinem Bedienten klingeln, um diese Männer, nach dem Ausdruck des Verfassers, mit der Verachtung, welche sie verdienten, nach ihrem Wagen bringen zu lassen, ohne sich vorhero erst mit ihnen zu schlagen, und ihnen Cavaliers-Satisfaction zu geben. Man merkt es hier gar zu deutlich, daß sich der Verfasser selbst vergessen hat, die Unwahrheit guckt unter seiner Erzählung allenthalben hervor. Möchte man ihm dahero nicht mit Recht zurufen: Mendacem opportet esse memorem? Nicht weniger ist es


4.) Eine lächerliche Erdichtung, wenn Herr Richardson seinen Helden seine zwei Gegner mit einer ganz unglaublichen und einer Zauberei ähnlichen Geschicklichkeit entwaffnen, und als ein paar Kartenmänner zu Boden strecken läßt. Er begnügt sich[341] nicht an einem Siege, den er seinem Helden so leicht in die Hände spielt: Sir Carl muß sich auch die Mühe nehmen, beide Männer, einen nach dem andern, aus dem Zimmer zu bringen. Wie er das angefangen hat, wird nicht gemeldet, es wäre dieses auch vergeblich gewesen, denn die umständlichste Beschreibung dieses Vorganges würde jedem vernünftigen Leser doch unbegreiflich geblieben seyn. Wenn man nicht Sir Carln für einen Zauberer halten will, der mit bannen und feste machen umgehen kann: so wird man gestehen müssen, daß dieser Auftritt dem Roman so ähnlich siehet, als ein Tropfen Wasser dem andern. Risum teneatis amici! Noch eins! Warum ruft denn Sir Carl noch zuletzt, da die beiden Herrn schon entwaffnet waren, ein halb Dutzend handfeste Kerls zu Hülfe? Waren die beiden Herren so gedultig als sie beschrieben werden; so waren die Bediente unnütze, sie hätten schon selbst ihren Wagen gesucht, da sie bei Sir Carln nichts mehr zu thun hatten. War aber die Gegenwart der Bedienten[342] nöthig; so ist dieses ein untrügliches Zeichen, daß Sir Carl mit ihnen alleine nicht fertig werden konnte. Wer findet hier nicht abermal einen Widerspruch!


Um dem erlauchten Publico nur einiger maßen einen richtigen Begriff von dieser Affaire zu machen: so ist zu wissen, daß Sir Carl den plötzlichen Ausbrüchen des Zorns, denen er von seiner ersten Jugend an unterworfen gewesen, nicht widerstehen konnte, da er in dem unerwarteten Besuche, mehrgedachter beider Herren Officiers, und der Gemahlin des Herrn Majors, etwas beleidigendes fand. Große Männer haben gemeiniglich auch große Fehler, ein Wort gab das andere; und Officiers, die Muth besitzen, lassen sich, wie man weiß, nicht gerne beleidigen. Sie waren also genöthiget, ihre Ehre mit dem Degen zu vertheidigen. Sir Carl hatte nur einen kleinen Pariser an der Seite, seine Herren Gegner aber ihre Commandodegen. Es wäre ihnen mithin ein leichtes gewesen, dem Baronet, der sich[343] bei dem Kamin mit einigen Stühlen verschanzet hatte, eins anzubringen, daß er genug gehabt hätte. Allein, da er offenbar übermannet war, und mit seinen Gegnern nicht einmal gleiche Waffen hatte: so war der Herr Major so großmüthig, ihn ordentlich nach Kriegsgebrauch in seinem Bollwerke aufzufordern. Man begehrte, er sollte das Gewehr strecken, und sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Weil er nun dieses zu thun sich weigerte: so machte man Mine, ihn hinter seiner Verschanzung anzugreifen. In diesem Augenblicke aber drang ein Haufe bewaffneter Bedienten in das Zimmer, ihren Herrn zu entsetzen, der eben im Begriff war, Chamade zu schlagen. Man bekam mit einem Haufen Feinden zu kämpfen, die allerlei ungewöhnliche Waffen, als Ofengabeln, Aexte, Feuerschaufeln und dergleichen führten. Hier war nichts anders zu thun, als sich mit Ehren durchzuschlagen. Beide Herren thaten ihr Bestes, der Major Ohara machte sich Platz bis an die Thür des Zimmers, doch hier hatte sich[344] ein verwegener Kopf hinpostiret, der seine Kohlenzange, gleichwie ein Krebs seine Scheere sowohl zu regieren wußte, daß er damit das Ohr des Majors ergriff und ihn dergestalt zwickte, daß er sich ergeben mußte, nachdem er sowohl als der Herr Salmonet durch einige Gabelstiche war verwundet worden. Die Ueberwinder trugen beide Herren im Triumph und mit einem großen Jubelgeschrei in ihren Wagen. So wie nun alle diese Umstände Herr; Richardson mit großer Sorgfalt verschwiegen, und seine romanmäßigen Erdichtungen an deren Stelle gesetzet hat: so schüttet er


5) Seinen Gift und Galle noch zu guter Letzt über diese Herren aus, nachdem er sie mit vielen unwahrscheinlichen Umständen in ihren Wagen gebracht hat. Weil der ganze Handel ziemlich tragisch war, und er doch gern ein Lustspiel daraus machen wollte: so müssen die beiden Herren, mit denen er bereits so übel umgesprungen, daß es einem jammert, um dem Leser etwas zu lachen zu[345] geben, einander nicht anders als ein paar Böcke stutzen. Er läßt ihre Köpfe einander in der Kutschthür begegnen, und sie müssen sich so derbe Kopfnüsse versetzen, daß man die Maalzeichen davon unfehlbar noch an der Stirn des Herrn Rittmeisters entdecken würde, wenn die Sache Grund hätte. Man kann also auch dieser Erdichtung mit allem Rechte widersprechen, und im Gegentheil weiß man vielmehr, aus ganz sichern Nachrichten, daß beide Herren mit einer großmüthigen Standhaftigkeit ihr Schicksal ertragen haben, und nicht einmal den Affront, den sie von den Bedienten des Baronets erlitten, zu rächen suchten; ja sie waren so edelmüthig, daß sie ihre Hüte und Degen von Sir Carls Bedienten wollten einlösen lassen, welche Siegeszeichen er ihnen aber unentgeltlich überschickte.


Dieses ist die authentische Relation, des ganzen Vorganges dieser berüchtigten Sache, die in Europa hin und wieder vieles Aufsehen gemacht hat. Man hofft die[346] gegenseitigen Erdichtungen genugsam widerlegt zu haben, dergestalt, daß ein unpartheiisches Publicum nunmehro keinen Anstand nehmen wird, solche als falsch und ungegründet zu verwerfen, und im Gegentheil die geschmälerte Ehre des Herrn Majors Ohara und Herrn Hauptmann Salmonets wieder herzustellen, und alle ungleiche Urtheile auf den Verfasser obenangezogenen Briefs zurückfallen zu lassen. Wobei man sich schlüßlich zur Gewogenheit eines Publici bestens empfiehlt.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762.
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