455. Der Tisch der Unterirdischen.

[305] Auf einem Berge in der Nähe von Kiel haftete ein besonderer Segen. Wenn der Bauer vom Morgen an gepflügt hatte und nun endlich Mittag da war, so brauchte er nicht nach Hause zu gehen um zu essen; denn um diese Stunde stand da ein Tisch vor ihm, sobald er sich umkehrte, gedeckt mit feinem Tafelgerät und beladen mit trefflichen Speisen. Das kam alles von den Unterirdischen. Lange Zeit ging es gut, und viele Leute haben von dem Tische mit gegessen; aber Vorwitz und Übermut machten der Herrlichkeit zuletzt ein Ende. Einst war auch ein Junge mit bei dem Essen; er wollte die unsichtbaren Wirte narren und nahm ihnen beim Aufstehen eine Gabel mit. Niemand hatte es gemerkt; aber als den andern Tag der Tisch wegblieb und die Bauern nach Hause gehen mußten, wo für sie nicht zugekocht war, da erschrak er und gestand sein Vergehen. Die Leute aber hießen ihn hingehen und die Gabel wieder zurückbringen. Das tat er denn auch, und wie er aufs Feld kam, da stieg der Tisch vor ihm auf mit allem Geräte, und es fehlte nur die Gabel. Er legte sie an ihren Platz, und sogleich versank der Tisch und ist seitdem nicht wieder gesehen. Seit der Zeit müssen auch dorthin die Bauern sich ihr Essen weither bringen lassen.


Volksbuch 1844, 91. So auch eine Schweizer Sage bei Grimm, Deutsche Sagen Nr. 298. Börner Orlagau S. 208. Vgl. Nr. 445, 2. 544.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 305.
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