Alverde an den Pater Zyrill.

1208.

[274] Wer kann die Worte einer Sterbenden, die letzten Worte einer Heiligen bezweifeln? Zyrill,[274] ihr habt den Brief der verewigten Kaiserinn, dessen Abschrift ich Euch auf Vergunst mittheilte, gelesen; wir müssen nach demselben Wittelsbachs Unschuld glauben, obgleich unser Verstand bey der Möglichkeit derselben still steht; und welches sind die Folgen von dieser Entdeckung? – Also wären die Bande zwischen ihm und Elisen noch unzerrissen? also müßte sie allen Hindernissen zum Trotz die Seinige bleiben? – Meinem Urtheil nach wär dem also, auch war es ohne Zweifel die Meynung der sterbenden Kaiserinn dieses zu bewürken. –

Niemand sieht dieses deutlicher ein als Elise, deren Herz noch immer für den Pfalzgrafen spricht, dessen Unschuld sie aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz mit voller Ueberzeugung glaubt. Ach, daß diese Ueberzeugung zu spät kommen müßte, daß sie jetzt nur darum, mit voller Stärke eintritt, um die gequälte Prinzessinn noch unglücklicher zu machen!

Elise ist seit gestern vermählte Prinzeßinn von Kastilien; absichtlich hielt man mich von ihr zurück, bis die Einseegnung, welche in aller Stille vor sich ging, geschehen war; man wußte, daß ich nicht dafür war, daß die Stelle der Gräfinn von Toulouse durch eine andere von meinen Freundinnen ersetzt würde, ich[275] kannte die kastilischen Herrlichkeiten zu gut, um Einer meiner Geliebten dieses Loos zu gönnen, ich wußte, daß dasjenige, was man an der unglücklichen Alix tadelte, was ihr wahrscheinlich den Tod brachte, sich auch bey Elisen fand; ihr versteht mich Zyrillo, ihr habt mit uns in verschiedenen Stücken einen Glauben, und ich kann mich also hierüber deutlicher gegen Euch erklären, als ich gegen einen andern Eures Standes thun würde.

Niemand wußte das, worauf ich ziele so gut, als Beatrix, und doch ließ sie sich von den Bischöfen verblenden, ihre Schwester zu einer Verbindung zu bereden, die ihr Glück nicht machen kann! Doch dies ist ihr Charakter! – O Beatrix! wie vortreflich würdest du seyn, würden deine Vollkommenheiten nicht durch so viel Leichtsinn, Leichtgläubigkeit, und übereiltes Wesen befleckt!

Einen neuen Beweis ihrer Voreiligkeit, legte sie bey dem Auftritte ab, von welchem ich Euch jetzt unmittelbar unterhalte. Nach zweytägigem vergeblichen Streben, vor die nunmehrige Prinzeßinn von Kastilien gelassen zu werden, erhielt ich endlich Zutritt. Elise kam eben vom Altar. Mir vergingen die Sinnen über den Schritt, den sie gethan hatte, ungeachtet mir der Inhalt von dem Briefe der Kaiserinn,[276] die der ganzen Sache ein noch bedenklicheres Ansehn giebt, noch nicht bekannt war! – Ich hatte indessen Besonnenheit genug mich zu fassen, und nicht mit der Trauerpost, welche mir auf dem Herzen lag, unzeitig heraus zu brechen. Die Prinzeßinn Beatrix hatte man schon mit dem Tode ihrer vortreflichen Mutter bekannt gemacht, und sie hatte Mittel gewußt, ihrer Schwester die Schreckenszeitung, die sie beyde zu völligen Waisen machte, mit ziemlich guter Art beyzubringen. Irenens Tod war es eben, worauf man die Beschleunigung des kastilischen Bundes gebaut hatte, Elise hatte niemand mehr, an dessen Einwilligung sie appelliren, mit dessen Nein sie sich schützen konnte, sie war sich selbst überlassen, und der Gedanke, von niemand mehr abzuhängen, führte die Vorstellung von Hülflosigkeit so natürlich herbey, machte die Ausschlagung einer königlichen Heyrath zu so offenbarer Thorheit, daß Elise Ja sagte, aus Bewegungsgründen Ja sagte, die wohl noch nie bey einer so edlen Seele, wie die ihrige, entschieden haben. – Doch, nein, ich thue dieser unvergleichlichen Person Unrecht, nicht Rücksicht auf zeitlichen Vortheil, nur das Andenken an die letzten Worte ihres Vaters, konnte sie zu dem bestimmen, was sie that; Sie hielt dieselben nach dem Absterben ihrer Mutter, für[277] das Einzige, an was sie sich nun zu binden hatte.

Ganz in Thränen gebadet, warf sich jetzt die Neuvermählte in meine Arme. Keine Glückwünsche, Alverde, zu dem was jetzt geschehen ist! rief sie, jetzt kein anderes Gespräch als von meiner Mutter! – O wo bist du in diesen für mich so schrecklichen, so wichtigen Tagen gewesen? wie sehr habe ich meine Trösterinn, meine Rathgeberinn vermißt! – Warst du vielleicht gar bey dem Sterbebette jener verklärten Heiligen? – Hat sie nicht vor dem Scheiden noch unserer gedacht? hat sie nicht für ihre Elise gebetet? Hat sie nichts an ihre Töchter hinterlassen?

Urtheile, Zyrill, was ich bey dieser Aufforderung fühlte. Schon war ich im Begriff, ihr Irenens Schreiben zu überreichen, doch bessere Ueberlegung hielt mich zurück; es war Pflicht, jetzt die Zagende zu trösten, anstatt durch irgend etwas ihre Gefühle noch mehr zu erwecken. Der Brief der Kaiserinn kam aus meinen Händen zuerst vor die Augen der Prinzeßinn Beatrix; fester und muthiger als ihre Schwester, brauchte sie wenige Schonung, auch konnte man von ihr erwarten, sie würde Elisen den Inhalt der traurigen Zeilen nicht ohne Prüfung, und erst gerade zu der Zeit mittheilen, da es ihr die wenigste Gefahr drohte. –[278]

Wie konnte ich diese weise Vorsicht von Beatrix erwarten? Elise las das, was man ihre Jahre lang hätte vorenthalten sollen, noch am nehmlichen Abende, und ward dadurch gerade in den Zustand gesetzt, den ihr Euch vorstellen könnt. – Sie fiel in ein hitziges Fieber, sie raste, wie ich höre, in ihren Paroxismen fürchterlich von Philipps Ermordung, Irenens Tode und des Wittelsbachers Unschuld. – Ich, die man, weil man mich noch wegen der Gräfinn von Toulouse haßt, sehr freygebig die Ursacherin dieses Unglücks nennt, werde wie eine halb Gefangene gehalten, darf Elisen nicht sehen. Wohl gut! wie lang, so lege auch ich mich zu sterben. – Die Würkungen alle der Uebel, die ich seit einiger Zeit ausstand, werden sich doch endlich äussern, ich fühle Vorboten einer Krankheit, die mich schnell dahin führen kann, wo Alix voranging, und wohin Elise mir folgen wird!

Lebt wohl, Zyrill, vielleicht auf ewig! – Betet für die unglückliche Alverde; deren Herz durch eine heute aus ihrem Vaterlande erhaltene unglückliche Zeitung den letzten Stoß bekam! ach Evert von Remen! du entflohen? aus Verzweiflung über Alverdens Verlust entflohen, niemand weis wohin? – Und du, meine Mutter, meine[279] Erzieherinn tod?, ich also ganz verwaist in der Welt zurück geblieben? Jede Hoffnung, jede Aussicht auf Glück mir verschlossen?

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 274-280.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Alf von Dülmen
Alf Von Dülmen: Oder Geschichte Kaiser Philipps Und Seiner Tochter , Aus Den Ersten Zeiten Der Heimlichen Gerichte (German Edition)