Alverde an den Pater Zyrill.

1208.

[280] Nach einer langen Bewustlosigkeit erholte ich mich; mir war geschehen wie ich dachte. Von meinem letzten Schreiben an Euch war ich aufgestanden um mich zu langer Krankheit zu legen; daß ich krank gewesen war, hatte ich wenig gefühlt, ich erinnere mich nur zuweilen ein dunkles Gefühl von meiner Schwäche, von der Herannahung der Nacht des Todes, und die Vorstellung vom Erwachen in einer bessern Welt gehabt zu haben. Ich erwachte, aber noch diesseit des Grabes. Ich sah um mich her, und alles war einsam. – Ich fragte nach der Prinzeßinn von Kastilien – »Sie werde nun wohl am Hofe ihres Gemahls angelangt seyn.« – Nach der Prinzeßinn Beatrix. – »Man wollte Sie rufen, und Sie mit dem Anblick meiner angebenden Genesung erfreuen.« – Wie? schrie ich, die Prinzeßinn von Schwaben ist ihrer Schwester nicht nach Kastilien gefolgt?[280] – Glaubt denn Alverde, antwortete mir ihre sanfte Stimme, daß ich sie hier krank, und unberathen verlassen konnte?

Ja, Zyrill, Beatrix war grosmüthig genug gewesen, um meinetwillen in dem unruhigen Teutschland zurück zu bleiben, und die Wartung einer kranken Freundinn, der Theilnahme an dem königlichen Empfang ihrer Schwester vorzuziehen. Zyrill, denkt Euch meine Rührung! – Reden, danken, konnte ich nicht, aber ich schmiegte mich mit strömenden Augen in ihre Arme.

Beatrix ist nicht so leichtsinnig, sagte die Prinzeßinn, als du sie deinem Freunde schildertest, ich habe den Brief an ihn, an dessen Versiegelung der schnelle Einbruch deiner Krankheit dich hinderte, gelesen, und ihn abgeschickt. Zyrill ist verständig genug, mich nicht übereilt zu beurtheilen; und was ich versah, das sollen meine nachfolgenden Handlungen vergüten.

Ach Beatrix, schon die gegenwärtige löscht jedes Vergehen aus, und macht mich zur Verbrecherinn!

Jetzt nichts mehr hievon, Alverde! Sorge für deine völlige Wiederherstellung, und traue mir zu, daß ich mich über manches, das du tadelst, rechtfertigen kann.

Die Zeit dieser Rechtfertigung ist gekommen, aber sie thut mir bey weiten nicht völlig[281] genug, sie zeigt mir nur so viel, daß der Bischof von Kastilien und der von Sutri der armen Beatrix zu mächtig waren. Auch kann ich ihr und ihnen bey kaltem Blute nicht ganz unrecht geben; ohne Zweifel ist der Stand einer kastilischen Königinn dem einer verwaißten Prinzessinn, die der Gnade des nunmehrigen Kaisers leben muß, weit vorzuziehen; Wittelsbachs Unschuld war in dem Augenblick, da Beatrix ihre Schwester zu dem unwiderruflichen Ja bereden half, noch unbekannt, und wär sie auch damals schon so erwiesen gewesen als jetzt, da sich des Pfalzgrafen Abwesenheit zur Stunde des Kaisermords bestättigt, da mehrere Umstände zu seinem Vortheil reden, hätten ich und sie dieselbe schon damals so fest als jetzt geglaubt, was hätte dies gefruchtet? Wittelsbach wird immer nur vor den Augen Weniger entschuldigt, immer in dem Urtheil des großen Haufens ein Kaisermörder bleiben; ist dieses nicht genug, das Band zwischen ihm und Elisen völlig zu zerschneiden? oder hätte Philipps Tochter den Fluch und die Verachtung der ganzen Welt dadurch auf sich laden sollen, daß sie ihre Hand demjenigen gegeben hätte, den jederman für den Mörder ihres Vaters hält.

So urtheile ich jetzt, so hat mich Beatrix und der Bischof von Sutri urtheilen gelehrt,[282] dieser weise Mann ist noch immer bey uns, auch über ihn hat sich mein Urtheil geändert, es giebt der Leute viel, welche durch genauere Kenntniß gewinnen, und wenn ich mich auch vor diesem, von welchem ich jetzt spreche, immer wegen seines Scharfsinns, der ihm aus den durchdringenden Augen leuchtet, fürchten werde, so wird sein Herz mir doch schätzbar bleiben, von dessen Güte er täglich tausend Beweise ablegt.

Eins tadle ich an ihm, und finde es nicht ganz einstimmig mit den Lehren des Evangeliums, die er an nimmt, und die ich zu Pamiers noch deutlicher kennen lernte: – Er predigt mir und Beatrix ohne Unterlaß die Rache. – Ihr sagt er, es komme der Tochter des ermordeten Kaisers zu, den Bluträcher wider den, welcher sein Blut vergoß, aufzurufen, und mich erinnert er, daß es meine eigene Ehre, die Ehre meines Hauses wolle, auf die Kundmachung und Bestrafung des wahren Thäters zu dringen. Seit man sich hier und da, sagt er, mit der Muthmaßung trägt, der Pfalzraf könne unschuldig seyn, seitdem erheben sich Gerüchte, die ich, um euch zu schonen, nicht einmal erwähnen würde, wenn euch nicht die Pflicht zufiele, sie zum Stillschweigen zu bringen. Euer Bruder, edle Alverde, fährt er fort, ward zur nehmlichen Zeit vermißt, da der Kaisermord geschah,[283] war es möglich, die Gestalt des Grafen von Wittelsbach mit der irgend eines andern zu verwechseln, so fällt aller Verdacht auf Alf von Dülmen, welcher ihm an außerordentlichem Wuchse hier bey Hofe noch der ähnlichste ist.

Ihr werdet mir glauben, Zyrill, daß solche Aeußerungen mich zittern machen, ich vertheidige meines Brudens Unschuld, ich erweise, daß er in jener grauenvollen Stunde krank im Pallast des Wittelsbachers daniederlag, daß sein schnelles Verschwinden sich anders deuten lasse, und daß noch über das alles sich ja gar keine Vermuthung zeige, was sein Schwerd gegen den Kaiser gerichtet haben könne, mit dem er nie in besonderer Verbindung stand, der ihn nie, wie etwa den Wittelsbacher, zu persönlicher Rache reizte. Sutri versichert mich hier mit dem Ton fester Gewißheit, den er all seinen Worten zu geben weis, daß gegen ihn die Vertheidigung meines Bruders ganz unnütz sey, daß er nicht einen nachtheiligen Gedanken von ihm hege, aber um so viel mehr fährt er fort, muß ich auf seine Rechtfertigung dringen, wozu man euch zu seiner Zeit die Mittel anweisen wird.

Dergleichen Gespräche habe ich viel mit dem Bischof von Sutri gehabt, ihre wahre Deutung und ihren Erfolg werdet ihr und ich erst in der Zukunft erfahren. Aehnliche Unterhaltungen[284] fallen auch zwischen ihm und der Prinzessinn vor, sie ist fest entschlossen, zum nunmehrigen Kaiser, dem ehmaligen Herzog Otto von Braunschweig, zu ziehen, und Rache des vergossenen Blutes von seinen Händen zu fordern.

Ich zittre! ein Rache flehendes Weib, welch ein empörender Anblick! gleichwohl dringt man von allen Seiten mit der Nothwendigkeit dieses Schrittes auf sie ein; und was von ihr die Kindespflicht fordert, das möchte vielleicht von mir schwesterliche Liebe und die Sorge für die Ehre meines Bruders heischen. Ach der Geliebte! der Verlorene! was mag aus ihm geworden seyn! vielleicht ist er bereits nicht mehr, darum wagt es die Schmähsucht desto kühnlicher, seine Asche zu besudeln! soll ich dieses dulden? Soll ich nicht vielmehr jeden Schritt gehen, den man mir vorzeichnet, seine Ehre zu retten?

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 280-285.
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Alf Von Dülmen: Oder Geschichte Kaiser Philipps Und Seiner Tochter , Aus Den Ersten Zeiten Der Heimlichen Gerichte (German Edition)