Elise, Prinzessinn von Kastilien an ihre Freundinn Alverde.

1209.

[285] Die Rache schläft, soll ich sie wecken? Otto von Wittelsbach ist unschuldig, an wessen Händen mag das Blut meines Vaters haften? Diese[285] Gedanken verfolgen mich ohne Unterlaß, verfolgen mich doppelt heftig seit einem Schritte, zu welchen mich Reue über begangene Fehler bewog.

Alverde, du und ich sind große Sünderinnen, auch Alix war es, Gott sey ihrer Seele gnädig! Der fromme und gelehrte Bischof von Kastilien hat während der Reise zu meiner Bestimmung oft mit solchen Ermahnungen an mein Herz geklopft, als wüßte er, welche Irrthümer ich zu Toulouse eingesogen habe, eine Predigt des Dominikus Guzman, der, wie man versichert, dereinst ein großes Licht der Kirche werden wird, vollendete meine Bekehrung. Ich nützte die erste ruhige Zeit nach den Festen, welche meine Vermählung nach sich zog, mir Erlaubniß zu einer achttägigen Andacht im Kloster S. Maria zu erbitten; ich erhielt sie, und säumte nicht, mich zu den Füßen der Heiligen zu werfen. Ach Alverde, mein Herz war voll, noch lebte der Wittelsbacher in demselben, da ich es doch nur allein meinem Gemahl schuldig bin, dem mich der Himmel so augenscheinlich in die Arme geführt hat, daß ich seine Hand nicht verkennen, daß ich nicht murren darf. Gleichwohl blieb die Erinnerung vergangener Dinge unaustilgbar, und der Gram um Unmöglichkeiten unsterblich. Sprich, Alverde, sollte ich beym Gefühl meiner Schwäche nicht nach übernatürlicher Hülfe schmachten? Ich suchte sie bey[286] den Altären, ich schwur, um mir sie vom Himmel zu erringen, den Glauben an alles ab, was ich von Alix erlernte, und was man mir mit dem Glauben der Kirche weiland geschildert hat; Gott, was hätte ich nicht gethan, um mir Ruhe zu erkaufen!

Ich denke, ich habe sie erlangt, das Andenken des Wittelsbachers ist in meinem Herzen ertödet, oder es schlummert wenigstens; Gott gebe, daß es nie erwache! – Aber ein anderes peinigendes mit meinem ganzen Charakter streitendes Gefühl ist in mir erwacht, der Trieb nach Rache! Trieb? Wunsch? – nein, so kann ich das nicht nennen, wovor ich zittre; es ist blos der Gedanke, der in mir rege ward, Rache des unschuldig vergoßnen Blutes meines Vaters sey nöthig, und ich, die Tochter, müsse sie fordern; denke selbst: Keine Nacht im Kloster verging, daß mir nicht der blutige Schatten des ermordeten Kaisers in Nebelduft gehüllt vor die halb wachenden Augen kam, und Worte an mich ertönten, die mir wohl ewig unvergeßlich bleiben werden. Ich wiederhole sie nicht; Geistersprache, sagt man, darf die Zunge der Sterblichen nicht nachlallen; meinem Beichtvater habe ich davon entdeckt, was ich mußte, und höre hier den Plan, der mehr aus fremden Rathschlägen, als aus eigenem Nachdenken zu Wiedererlangung meiner[287] Ruhe entstand, und zu dessen Ausführung du mir die Hand bieten mußt.

Kaiser Philipps Blut muß von der Hand seines Mörders, so gern mein leidendes Herz ihm auch die Strafe schenkte, blutig zurückgefordert werden, meine Schwester Beatrix hat, wie ich vernehme, am Throne des neuen Kaisers vergebens um Recht und Rache gefleht, sie ward gnädig, mehr als gnädig aufgenommen, aber ihr Gesuch schlug man ihr unter dem Vorwand ab, daß bey einer so verborgenen Sache niemand als Gott richten könne. Nun wohlan, so muß man sich an Gottes Stellvertreter, an jene furchtbaren Richter wenden, die an seiner Statt im Verborgenen richten. Wisse, durch das ganze deutsche Reich herrscht eine heimliche Macht, nur durch ihre Würkungen sichtbar; sie weis jedes Verbrechen aus der Verborgenheit zu ziehen, jede Unthat nach Gebühr zu strafen. Mache dich auf, Alverde! klage in meinem Namen an den Stufen des furchtbaren Richterstuhls! die Mittel, zu demselben zu gelangen, findest du auf diesem Blatte verzeichnet, ich dachte nicht, daß diese Dinge, welche ich einst von Einem erfuhr, welcher mir nichts verschweigen konnte, mir nutzbar werden würden. Nutzbar? – wird Rache mir Nutzen oder Ruhe[288] bringen? – Man versichert es mich, aber mein Herz spricht nein! – Wenn nun die Tochter die Rache über den Mörder des Vaters herabgerufen hat, und das Gerücht erschallt, dieser oder ein anderer, den ich kenne, oder nicht kenne, ist durch den Stahl heimlicher Henker gefallen, weil er Kaiser Philipps Blut vergoß; wird da nicht mein Herz beben, und mich selbst eine Mörderinn nennen? – Ist auch das Urtheil jener Unbekannten unfehlbar? – und da ich dieses durch viel Beyspiele gelehrt glauben muß, darf auch der Mensch richten, wo Gott Nachsicht hat? Wer weis, zu welchen großen Absichten der ewige Richter dem Kaisermörder seine Verborgenheit gründe, die ich nun zerstöre! –

O Alverde, ich weis nicht, was ich beginne, richte du selbst über die Rechtmäßigkeit meines Verlangens, und gehe, so viel die Geheimhaltung der Sache verstattet, mit Verständigen darüber zu Rathe. Ich nenne dir besonders den Bischof von Sutri, zu welchem ich unumschränktes Vertrauen habe.[289]

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 285-290.
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Alf Von Dülmen: Oder Geschichte Kaiser Philipps Und Seiner Tochter , Aus Den Ersten Zeiten Der Heimlichen Gerichte (German Edition)