Drittes Kapitel
Ein Besuch zur guten Stunde

[18] Nie hatte ich, selbst in meinen glücklichern Jahren nicht, viel auf Putz und Flitterstaat gehalten, und es ist zu glauben, daß ich in meiner damaligen Verfassung, noch weniger auf künstliche Wahl meines Anzugs dachte. Ich trug ein langes Kleid, wie sie damals Mode waren, von weisser ziemlich feiner Leinwand, welches im Sommer mein Kirchenkleid zu seyn pflegte, und auf einem niedrigen Häubchen von guten Spitzen, welches mein Gesicht zur Hälfte verhüllte, einen großen Strohhut, den ich fürwahr nicht zum Staate, sondern um mir auf dem Wege von einigen Stunden zum Schutz wider die Sonne zu dienen, aufgesetzt hatte. Doch mußte ich reizend in diesem Anzuge seyn, denn mein Vater sah mich mit lächelndem Wohlgefallen an, Herr Katharines nannte mich eine unverwelkliche Rose, und seine Gemahlinn flüsterte ziemlich hörbar für mich, ich sähe unausstehlich albern aus, und sie habe nie etwas abgeschmakteres gesehen, als ein Mädchen, das den Dreißigen nahe sey, und noch zu gefallen denke.

Wir machten uns auf den Weg, und die Gespräche, die wir unterweges hielten, waren traurig, aber zu gleich doch tröstlich für mich, da ich endlich einmal ganz mein Herz vor meinem Vater ausschütten konnte. Lange hatte ich nicht ungestört mit[18] ihm sprechen können; Herr und Madam Katharines hielten ihn immer umlagert, um seine arme Tochter desto leichter aus seinem Herzem verdrängen zu können. – Sein Herz liebte mich im Grunde noch wie zuvor, er entschuldigte mich wegen allem, womit man ihn gegen mich einzunehmen gesucht hatte, er bedauerte, mich von sich lassen zu müssen, sich so ganz in die Gewalt des Katharines und seiner Frau gegeben zu haben. Gern hätte er die vorigen Zeiten zurück gerufen, aber es war zu spät, und wir mußten uns trennen.

Die Angelegenheiten meines Vaters, die ihn in die Stadt riefen, erschwerten unsern Kummer. Zwar dachte mein Vater sich vor seinen Richtern zu rechtfertigen, zwar glaubte er, sich mit seinen Gläubigern auf leidlichere Bedingungen zu setzen, aber ich, die sonst so reich an Hoffnung war, hoffte jetzt nichts, und schwieg, da ich nicht im Stande war, wider meine Ueberzeugung der Meinung meines Vaters beyzupflichten.

Wir langten in der Stadt an, und traten bey einem alten unverehelichten Herrn ab, der uns in unsern glücklichen Tagen oft zu besuchen pflegte, aber mich fast nie zu sehen bekam. Er kannte mich nicht, und als mein Vater mich ihm als seine Tochter vorstellte, und ihm die Ursach meiner Erscheinung in der Stadt erklärte, so mußte es sich ganz sonderbar fügen, daß auch er eine Haushälterin brauchte, und mir mit den besten Bedingungen diese Stelle antrug. Ich, die keine Freundin von solchen sonderbaren[19] Fügungen war, wandte vor, daß ich mich schon anderwärts verbindlich gemacht habe; seine Anerbietungen stiegen so wie meine Weigerungen, und er versprach auf die letzt nicht viel weniger, als mich, blos aus alter Freundschaft für meinen Vater, zu seiner Erbin einzusetzen. – Mein Vater nannte diesen Lohn für eine Haushälterin zu groß, und für einen Freund, der es nie gewagt hatte sich unter seine Vertrautesten zu zählen, zu unverdient; einige empfindliche Reden erfolgten hierauf zur Antwort, und wir wurden so kaltsinnig entlassen, als man uns zärtlich empfangen hatte. Kaum daß mein Vater auf die Erkundigung nach einem geschickten Anwald zu Führung seiner Angelegenheiten, eine unbestimmte Anweisung an einen gewissen Herrn Haller erhielt, dessen Namen wir nie hatten nennen hören, und dessen Wohnung man uns nicht einmal zu sagen wußte.

Unser nächster Gang war zu der Dame, bey welcher ich in Dienste treten sollte. Sie war eine Wittwe näher fünfzig, die sich kürzlich mit einem langen Fähndrich von etlichen zwanzig verheirathet hatte, und jetzt daran arbeitete, ihm seinen Abschied mit Hauptmannsrang auszuwirken. So freundlich wir, nach Meldung unsers Namens eingeladen wurden, in ihr Zimmer zu treten, so schlecht war der Empfang bey unserm Anblicke. Ich war ihr zu jung, zu zierlich gestaltet. Sie konnte nicht begreifen, wie ein Mädchen von meiner Art die Führung eines Hauswesens verstehen könne. Sie hörte[20] nichts von dem an, was wir ihr von meinem Alter, und von meiner langen Uebung in den Geschäften, in welchen sie mich brauchte, vorsagten, und es fehlte nicht viel, daß sie ihre Rede mit Unhöflichkeiten schloß. – Ich habe euch meinen Anzug beschrieben, und ihr werdet euch wundern, daß selbst dieser, selbst der armselige Strohhut, den ich trug, ihrer Kritik nicht entgieng; eben war sie im Begriff den letztern noch besonders vorzunehmen, aber ihr junger Gemahl trat ins Zimmer, und wir wurden schnell entlassen.

Eine alte Frau, vermuthlich die Kammerfrau der Dame, begleitete uns. Das hätte ich ihnen sagen wollen, mein Kind, sprach sie, daß sie bey uns nicht fortkommen würden. Madam Katharines, welche ehemals Haushälterin bey uns war, und die sie vermuthlich bey uns empfohlen hat, war schon zu hübsch für unsern Zustand. Eine Frage nach der Wohnung des Herrn Hallers unterbrach die Rede der geschwätzigen Frau, glücklicher Weise konnte sie uns Nachricht geben, und wir entfernten uns.

Recht als ob dieser Tag durch fehlgeschlagene Hoffnung und schlechte Aufnahme ausgezeichnet werden sollte, fanden wir auch bey dem Manne, zu dem man uns hinwies, nichts als finstere Gesichter, Es war fast Mittag, ehe wir seine Wohnung trafen, welche die plauderhafte Alte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, uns sehr schlecht angewiesen hatte. Mein Vater sagte, die Stadtleute, vornemlich die, welche in großen Häusern wohnten, haßten[21] die geraden Wege so sehr, daß sie diejenigen, welche sie um Rath fragten, durch tausend Umwege erst dahin führten, wohin sie gedächten. Kein Wunder also, daß wir Herrn Hallers Wohnung zehenmal zur Rechten und Linken liegen lassen, ehe wir sie fanden.

Wir wurden eingeführt. Ein alter, dem Anschein nach, fast des Gesichts beraubter Mann, der in einem Armstuhl zurück gelehnt saß, und bey unserm Eintritt ein wenig an einer schwarzen Sammetmütze rückte, die seinen kahlen Scheitel bedeckte, hieß uns näher kommen, um, wie er sprach, uns besser erkennen zu können. Er zog ein Glas heraus und betrachtete mich. Darauf wandte er sich zu meinem Vater. Ein langes Examen erhob sich, von welchem die Konklusion war, nachdem er alles erfahren hatte, was uns angieng: er wolle sich zur Ruhe begeben, und nähme keine Sache mehr an; zwar sein Neffe, – aber auch dieser sey bereits mit Geschäften überladen; überdies sey es bald Mittag und – Eine Bewegung mit der Hand sagte uns, wir möchten uns entfernen.

Mein Vater hatte die Bitte auf der Zunge, ihm wenigstens einen andern Rechtsgelehrten anzuweisen, welcher besser Gesicht, weniger Geschäfte und wenigere Jahre habe, welcher nicht im Begriff sich zur Ruhe zu begeben und nicht in Erwartung einer guten Mahlzeit sey, aber seine Frage ward durch den Eintritt einer Person unterbrochen, deren erste Worte zeigten, daß sie komme, den alten[22] Herrn zu der für uns so fatalen Mittagstafel abzuholen. Es war eine alte ehrwürdige Matrone in einem Gewande, das mir die weiße Frau, wie sie auf dem Schloße zu B... abgemahlt ist, in den Sinn brachte; um die Aehnlichkeit vollkommen zu machen, trug sie ein großes Bund Schlüssel, das Zeichen des Hausregiments in den damaligen Zeiten, an der Seite.

Sie ward uns gewahr, und eine freundliche Verbeugung gegen uns, kürzte das ab, was sie noch zu dem alten Herrn sagen wollte, der sich jetzt langsam aus seinem Stuhle erhob, und bey uns vorbey nach der Thüre tappte. Wir wollten uns entfernen. Wie? sagte die Matrone, auf welche vielleicht das Alter meines Vaters und seine geistliche Kleidung einen vortheilhaften Eindruck machen mochten, wie? mein Kind, ist das die Zeit seine Gäste zu entlassen? – Keine Gäste, erwiederte der Alte, nur Klienten. – Ey, fuhr die freundliche Frau fort, Gäste oder Klienten, es ist unmöglich, daß sie jetzt von uns gehen. Darf ich bitten – mit einem freundlichen Blick auf uns – daß sie bey uns vorlieb nehmen? Ihre Wohnung ist vielleicht weit entlegen, und die Witterung – –

Die Dame hatte Recht. Es war einer von den ersten Frühlingstagen, die sich so oft schön und heiter anfangen und mit Sturm und Regen endigen. Der Himmel hatte sich dicht umzogen, und unsere Herberge war eigentlich nirgends, da wir bey dem Herrn, dessen Haushälterin ich nicht werden wollte,[23] zu wohnen gehofft hatten, und ohne Einladung entlassen worden waren. Ueberdieses waren wir Leute vom Lande, wußten nichts von langweiligen Weigerungen, und blieben so herzlich gern da, wo man uns einlud, als wir im entgegengesetzten Fall diejenigen, welche uns bewirtheten, bey uns aufgenommen haben würden.

Daß die Matrone, welche uns mit so patriarchalischer Gastfreyheit einlud, die Frau vom Hause war, werdet ihr errathen, ob ich mir gleich einbilde einige Verwunderung über ihren einfachen Anzug, über das Bund Schlüssel an ihrer Seite, und über die Herablassung, mit welcher sie ihren Gemahl selbst zur Tafel holte, in eurem Auge zu lesen. Freylich müssen die Begriffe, die ihr euch nach den jetzigen Zeiten von einer Stadtdame, von der Frau eines vornehmen Rechtsgelehrten macht, ganz anders seyn, aber ich bitte euch, versetzt euch in die damalige Welt! Nicht am Putztische, sondern in der Küche traf man unsere Mütter des Morgens an; nicht im prunkvollen unbequemen Flitterstaat nahmen sie die Stelle der Wirthin bey der Mittagstafel ein, sondern in reinlicher häuslicher Kleidung, welcher man es ansahe, daß sie ihnen nicht hinderlich seyn konnte, an jedem Orte ihres kleinen Gebiets selbst gegenwärtig zu seyn, alles mit eigenen Augen zu sehen, und vielleicht überall selbst mit Hand anzulegen; man nährte in den damaligen größten Häusern nicht etwa eine Menge unnützer Bedienten, welche die Frau vom Haufe der kleinsten Mühe überhoben,[24] oder überheben sollten, und die doch das wichtigste oft ungethan ließen, was die Gegenwart der Gebieterin bald geändert haben würde; doch das sind unnöthige Ausschweifungen. Zu unserer Mahlzeit! –

Unsere Tischgesellschaft wurde durch einen jungen Mann vermehrt, welchen ich gleich anfangs für das hielt, was er war, für den geschäftvollen Neffen des alten Herrn, der sich zur Ruhe setzen wollte. Ein Mensch von gutem Ansehen, welchen ich, so wie ich ihn damals zum erstenmal sahe, mit niemand besser vergleichen kann, als mit meinem Sohn Samuel, auch mochte er damals ohngefähr in den Jahren seyn, die dieser jetzt hat, nur ist in Samuels Betragen mehr Ernst und gesetztes Wesen, als ich an dem damaligen jungen Herrn Haller rühmen kann, welcher in allem, selbst in seiner nach der damaligen äussersten Mode eingerichteten Kleidung, zeigte, was in seinem Herzen wohnte, Leichtsinn und Eitelkeit. Ich fand kein besonderes Wohlgefallen an ihm, desto mehr aber ward ich von seiner Tante, der ehrwürdigen Madam Haller, eingenommen. Ich saß bey der Mahlzeit an ihrer Seite, und ihre freundlichen Worte, welche sie immer an mich richtete, machten ihr bald mein ganzes Herz zu eigen, ob ich gleich dieselben, ich weiß nicht aus welcher albernen Blödigkeit, immer nur halb beantwortete, vielleicht daß mich die Blicke des gegen mir übersitzenden jungen Herrn, welcher die Fältgen an den Spitzen meines Kopfzeugs[25] zu zählen schien, in einige Verlegenheit setzten.

Nach dem zweyten Glas Wein gieng dem alten Herrn der Mund auf. Neffe, sagte er, nachdem er sich dreimal geräuspert hatte, dieser ehrliche Mann hier, welcher Rechtsangelegenheiten halber in die Stadt gekommen ist, braucht deine Hilfe. Die Sache betrifft – – Hier hob ein weitläuftiger Bericht von den Angelegenheiten meines Vaters an, den der alte Herr weit ordentlicher und zweckmäßiger vorbrachte, als er ihn von seinem Klienten erhalten hatte, welches mich um so vielmehr Wunder nahm, da ich geglaubt hatte, der alte Herr Haller habe den Vormittag, als er sich alle diese Dinge von meinem Vater erzehlen ließ, an nichts dabey gedacht, als an seinen Lehnstuhl, sein blödes Gesicht, und die bevorstehende Mahlzeit.

Sie müssen mirs nicht übel nehmen, beschloß der alte Herr seine Rede, indem er sich zu meinem Vater wandte, wenn ich sie vorhin ein wenig kurz abfertigte. Sie weckten mich aus einem Schlummer, in welchen ich, wenn ich allein bin, oft verfalle. Ich werde alt, und – es giebt Stunden, in welchen ich keines Menschen Freund bin. – Zum Beyspiel, dachte ich, die Stunde der Erwartung vor der Mittagsmahlzeit! ach wie recht hatte meine alte Baase, Gott habe sie selig, welche mich lehrte, den Himmel alle Morgen zu bitten, daß alles, was ich den Tag über vornehmen wolle, zur guten Stunde geschehen möge. – Mein[26] Vater verbeugte sich auf diese Entschuldigung des alten Herrn, es entstand eine Pause, und der junge Haller füllte das Glas seines Klienten ungeachtet seiner Weigerung, und der darüber gehaltenen Hand, von neuen an.

Ich weiß nicht wer zuerst das Wort wieder aufnahm, genug das Gespräch ward nun allgemeiner. Der Oheim und der Neffe thaten noch viele Fragen an meinen Vater; er gab ihnen ausführliche Nachricht; Madam Haller schob zu Zeiten einige Worte ein; ich schwieg, und als die drey Herren sich nach und nach immer mehr in ihren Händeln vertieften, der alte Herr im Eifer schon ein Glas umgestossen hatte, und meines Vaters Stimme sich bey Darlegung seiner Gerechtsamen zum stärksten Kanzelton erhob, gab mir meine Nachbarin einen Wink in der Stille aufzustehen, und die Männer beym Wein ihre Sachen allein ausmachen zu lassen.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 18-27.
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