Zwey und dreyßigstes Kapitel
Das hat der Feind gethan

[207] Lange blieb ich zu Traußenthal, es ward mir schwer, mich von Peninnen und ihren Freunden zu trennen, aber endlich mußte ich doch bedenken, daß ich eine Mutter mehrerer Kinder war. Ich bereitete mich zu meiner Rückreise nach Hohenweiler und sann darauf, wie ich gewisse Dinge, die mir noch außer den Ursachen meines verzehrenden Grams viel Unruhe machten, klüglich einrichten wollte.

Peninna hatte durch den Tod ihres Großvaters einen Zufluchtsort verlohren, welcher fast der einige war, an welchem sie außer dem väterlichen Hause mit Anstand leben konnte. Mein guter Vater hatte mir zwar seine kleine ländliche Wohnung hinterlassen, auch war das größere Haus, das wir jetzt bewohnen, nebst dem Garten unser, aber wie hätte es sich für ein junges Mädchen geschickt, diese Einsamkeit dem Hause ihrer Aeltern vorzuziehen?

Herr Haller, welcher sich in die beyden Trauerfälle, die mich so gewaltsam erschüttert hatten, mit einer philosophischen Gleichgültigkeit fand, welche man bewundern mußte, hatte in seinen letzten Briefen an mich – Er selbst kam so wenig nach Traußenthal, als er seinen drey jüngsten[207] Töchtern erlaubte, mich daselbst zu besuchen. – den Gedanken geäußert, Peninna würde nun in das väterliche Haus zurück kehren, aber es war bloßer Gedanke nicht Wunsch. Er schien seinen alten Widerwillen gegen Peninnen noch nicht abgelegt zu haben, und machte Bedingungen, unter welchen er ihr erlauben wollte, in Hohenweiler zu leben, die weder ihr noch mir gefallen konnten. Unterthänigkeit unter die Hand der Robignac war eine von den vornehmsten, und Peninna fand so wenig Behagen an diesen Aussichten als ich.

Peninna, ein Mädchen über neunzehn Jahr, die schon so lange die Gebieterinn eines Hauses gewesen war, sollte nun erst einer eigensinnigen Französinn, die sie ganz übersehen und nicht anders als verachten konnte, gehorchen lernen? Seltsame Zumuthung! – Ueber dieses mußte ich bey meiner ältesten Tochter eben das Bedenken haben, wie bey Hannchen. Sie war jung und schön wie diese. Ihr Vater, welcher so sehr wünschte ihrer los zu werden, würde nicht ermangelt haben sie zu nöthigen, bey den Gesellschaften in seinem und in dem Wilteckischen Hause gegenwärtig zu seyn; daß sie gefallen würde und müßte war ausgemacht, und das beste, was hätte erfolgen können, wär gewesen, daß sie an irgend einen von den dasigen Herrn, dem es beliebt hätte ernsthafte Absichten auf sie zu haben, verschleudert worden wär.[208]

Peninna sah dieses alles sowohl als ich, und sie brauchte es zum Mittel mich zu bewegen in einen andern Vorschlag zu willigen, welchen sie mit Charlotten ausgedacht hatte. Diese beyden Freundinnen waren sich so unentbehrlich geworden, daß es ihnen schwer ward sich zu trennen. Peninna versicherte mich, daß die Gewohnheit Waltern täglich zu sehen, den Eindruck, den sein Anblick auf sie machte, sehr geschwächt habe, daß sie gegenwärtig nichts für ihn fühle als wahrhafte Schwesterliebe. Charlotte, die jetzt das ganze Verhältniß kannte, in welchem ihre Freundinn ehemals mit ihrem Manne gestanden hatte, betheuerte, daß sie ganz frey von Eifersucht sey. Herr Walter erklärte sich nie über diesen Punkt, aber sein Betragen gegen Peninnen war so fremd und zurückhaltend, seine Geschäfte so häufig, und sein Herz so redlich, daß – ich endlich meine Bedenklichkeiten aufgab, meiner Tochter erlaubte bey Walters zu bleiben, ihr noch einige gute Lehren gab, und es über mich nahm, ihr Zurückbleiben bey ihrem Vater zu entschuldigen.

Ich kam wieder zu Hohenweiler an. Ich ward von meinen Kindern mit lauter Freude, von Herrn Haller mit kalter Höflichkeit, und von der Französinn mit den ausschweifendsten Schmeicheleyen empfangen. Dinge, welche nicht hinlänglich waren, meine Augen gegen das, was mir mißfiel, zu verschliessen.[209]

Nicht Tage, viele Wochen waren nöthig, die Unordnungen abzustellen, die sich in meiner Haushaltung eingeschlichen hatten, und meine Töchter, o wie sehr fand ich diese zu ihrem Nachtheil verändert! wie viel Unkraut hatte hier der Feind auf den guten Acker gesäet! Jukunde, jetzt eben vierzehn Jahr alt, hatte in der Zusammensetzung von Vorwitz und übereilten Reden und Handlungen, die man in der Volkssprache Naseweisheit nennt, so zugenommen, daß ich sie nicht mehr kannte. Kein Wunder! Mir, der es nicht an Aufmerksamkeit und guten Willen fehlte dieses in ihr keimende Uebel zu unterdrücken, hatte es schon Mühe genug gemacht hierinnen einigen Fortgang zu haben, wie sehr mußte das Mädchen bey der Vernachlässigung der Robignac, die nur immer an ihrem Aeußerlichen künstelte, und das Innere ungebessert ließ, verwildert seyn.

Amalie wurde durch ihre wenige Schönheit vor der Verzärtelung geschützt. Es ist nur gar zu wahr, daß die meisten Alltagserzieher sich von ihren Augen leiten lassen; daß sie denen, welche etwas Gefälliges in ihrem Aeußerlichen haben, schmeicheln, und die Häßlichen unterdrücken. So war es Amalien gegangen, der beständige Tadel hatte ihr eine gewisse ungeschickte Blödigkeit, einen Eigensinn und Beharrlichkeit auf ihrer Meynung angewöhnt, welchen mütterliche Liebe und Schonung schwerlich aus dem Grunde zu heben vermochte. Julchen war der Spion des ganzen[210] Hauses geworden, sie erzehlte der Französinn von dem, was sie bey ihrem Vater und bey Wiltecks sahe, sie unterrichtete Herrn Haller von allen Handlungen der Robignac und ihrer Schwestern, sie verrieth das Gesind, und richtete dadurch mehr Uebel an, als man von so einer kleinen Kreatur hätte erwarten können. Sie machte gleich am ersten Tage ihre Aufwartung bey mir mit einer Erzählung von allem was in meiner Abwesenheit vorgegangen war, die mir nicht sehr gefallen konnte, und die ich, so lehrreich sie mir auch war, ihr doch eben nicht mit besonderer Freundlichkeit belohnte.

Diese Entdeckungen in Ansehung meines Hauswesens und meiner Kinder, die mir so viel Kummer erweckten, waren noch bey weiten nicht die einigen; es folgten andere nach, welche mich belehrten, wie gefährlich es einer Hausregentinn ist, ihr kleines Gebiet zu verlassen, und es der Willkühr ihrer Widersacher Preis zu geben,

Mademoiselle de Robignac hatte das Herz meines Mannes ganz in ihre Gewalt bekommen. Wär sie jung und schön gewesen, so hätte mich dieses so sehr nicht wundern sollen; ich hätte nur an die Begebenheiten mit der R... und W..., und an Rosen denken dürfen, aber sie, die nie von einem erträglichen Ansehen konnte gewesen seyn, und die jetzt in ihrem dreyßigsten wie sie, oder in ihrem fünfzigsten Jahre, wie andere Leute meynten, eher einer braunen hohläugigten Sybille als[211] einer Herzensbezwingerinn ähnlich sah, wie hätte diese Herrn Haller, der doch ehemals ein Kenner der Schönheit zu seyn schien, gefallen können!

Gleichwohl war es mehr als zu wahr, daß sie herrschte und ich gehorchen mußte, daß ihre übertriebene Schmeicheley eine Hülle war, die sie ihrer Obergewalt anlegte, damit ich nicht gleich von Anfang zu sehr geschreckt, vielleicht einen Sturm wagte, der ihr hätte nachtheilig seyn können. Das Recht war doch gleichwohl auf meiner Seite, und Herr Haller hatte Stunden, wo er niedergeschlagen, verdrüßlich, und folglich auch verzagt war, so daß er vielleicht, wenn ich die Rolle einer bösen Frau hätte spielen wollen, nachgegeben und mir das Feld überlassen haben würde. Aber wo hätte ich die Kühnheit hiezu hernehmen wollen, ich, die ich nur gewohnt war, mit den Waffen der Sanftmuth zu streiten?

Das beste was ich in meiner Lage thun konnte, war mich verstellen; ich hatte es schon einmal erfahren, was man gewinnt, wenn man die Augen zu zeitig über gewisse Dinge aufthut, die man sich bemüht uns zu verhüllen. Ich war gegen die Robignac nachsichtsvoll und gefällig, ich hütete mich, daß unsere beyderseitigen Meynungen so wenig als möglich in Collision kamen, ich verbesserte in der Stille was sie verderbt hatte, und – wartete auf bessere Zeiten.[212]

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 207-213.
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