Drey und dreyßigstes Kapitel
Mütterliche Leiden

[213] Ich verlebte meine Tage in einer erzwungenen traurigen Ruhe. Mein Vater war tod. Samuel war dahin, und ich wußte selbst nicht auf was für Art ich um ihn gekommen war, denn mein guter Engel behütete mich, daß die Meynung, welche die Robignac zuweilen einzustreuen suchte, er habe sich selbst in den Tod gestürzt, nie Platz in meiner Seele fand. – Himmel, was würde aus mir geworden seyn, wenn ich dieses hätte annehmen wollen! – Alberts Briefe wurden immer unerträglicher; von Hannchen und der Frau von Wilteck bekam ich gar keine Nachricht, und was ich von Peninnen hörte, war auch nicht so beschaffen, daß ich dadurch getröstet werden konnte.

Die Sache gieng so wie ich gedacht hatte. Charlotte hieng seit Samuels Tode mehr an ihrem Manne als zuvor; die erste Folge dieser aufkeimenden Liebe war Eifersucht. Herr Walter, gewohnt meine Tochter täglich in tausend verschiedenen ihr vortheilhaften Situationen zu sehen, konnte die Rolle, die er sich zu spielen zwang, nicht so gut behaupten, daß nicht die alte Liebe zuweilen hervorgeblickt hätte. Peninna, die die Eifersucht der einen, und die Gesinnungen des andern[213] nicht verkennen konnte, und die am besten wußte, was ihr eigenes Herz gegen Waltern fühlte, saß halbe Tage auf ihrem Zimmer und weinte. Gern hätte sie sich aus dem Hause ihrer Freundinn entfernt, wenn sie andere Zuflucht gewußt hätte; aber wohin sollte sie? Konnte sie sich bey der jetzigen Lage der Sachen nach Hohenweiler wünschen, um meine Sklaverey mit mir zu theilen?

Doch würde dieses vielleicht endlich, als das Klügste, erwählt worden seyn, wenn sich nicht Gelegenheit zu einem andern Schritte gezeigt hätte, den sie, in der Hoffnung, ich würde ihn billigen, so voreilig that, wie schon bey mehreren geschehen war, und der mir mehr Sorge machte, als ihr Aufenthalt in meinem Hause oder ihr Verharren in dem Walterschen gethan haben würde.

An einem Tage, der zu mehreren Kränkungen für mich bestimmt war, erhielt ich folgenden Brief in Gegenwart meines Mannes, den ich hersetzen will, um euch urtheilen zu lassen, ob er von der Beschaffenheit war, vor die Augen eures Vaters zu kommen; ich wollte ihn uneröfnet zu mir stecken, aber die hämische Frage der Robignac, ob ich dem Vater die Nachricht von seiner Tochter, und meinen Kindern, die Freude etwas von ihrer Schwester zu hören, so lang vorenthalten könne, bewegte Herrn Haller, sich desselben zu bemächtigen, und folgendes daraus zu lesen.[214]

»Liebe Mutter!

Sie wissen meine Verfassung in meinem gegenwärtigen Aufenthalte. Walter und ich dürfen nicht länger in einem Hause bleiben; zu sichtbar ist es, daß wir unsere Liebe beyde nur schlecht überwunden haben; Charlotte sieht dieses sowohl als wir beyde, und es war fest bey mir beschlossen, diesen Tag nach Hohenweiler abzureisen und das Haus wieder zu sehen, in welchen wenigstens Ihre Blicke mir freundlich und mit Schonung begegnet seyn würden. Der Strenge meines Vaters würde ich kindliche Unterwerfung, und der Herrschaft der Robignac Muth und Entschlossenheit entgegengesetzt haben, aber glücklicher Weise zeigt sich ein anderer Ausweg, der mich dieser schweren Proben überhebt. Hören Sie wie sonderbar!

Diesen Morgen, da ich schon reisefertig war, und sich nur noch einige Schwürigkeiten wegen der Art meiner Ueberkunft nach Hohenweiler unversehens hervorthaten, ließ sich eine durchreisende Dame, die sich Frau von Berg nannte, bey mir ansagen. Ich besann mich in der Verwirrung, in welcher ich war, nicht gleich auf die Regierungsräthinn Gabriele, und erstaunte nicht wenig, als ich sie in mein Zimmer treten sah. – Aber Himmel, wie verändert an Seel und Körper; bleich, abgezehrt, verfallen, traurig, und dabey doch so sanft und freundschaftlich als ich sie nie gesehen habe. O Peninna,[215] sagte sie, nachdem sie mir einiges von ihrer gegenwärtigen Verfassung entdeckt hatte, möchte es dir gefallen bey mir zu leben! an deiner Seite würde ich mich wieder erholen. Komm, theile mein Glück mit mir, ich will dir Freundinn, Schwester und alles seyn, ich will dir die Leiden versüßen, die ich dir vielleicht ehedem unschuldigerweise machte. –

Ich mußte mich eilig entschliessen; es war mir unmöglich ihre Einwilligung erst einzuholen. Ich ergab mich auf ihr Bitten, und ich schließe diesen Brief, nachdem ich noch um ihren Segen gebeten habe, um mich auf den Wagen zu setzen, der mich nebst der lieben Regierungsräthinn ins Pyrmonter Bad, wohin Gabriele ihrer Gesundheit wegen reisen muß, bringen wird. Bald bald sollen Sie wieder hören von Ihrer

Peninna.


N. S.

Der Regierungsrath vereinigte sich mit den Bitten seiner Gemahlinn, er war so dringend als sie, und wer konnte ihnen widerstehen!«

Dieser Brief hatte schon an sich Stoff genug für mich zur Traurigkeit und Sorgen; denn was für ein Aufenthalt war das Haus des Regierungsraths für meine Tochter? aber alles schwermüthige Nachdenken, das mir diese neue Begebenheit machen konnte, mußte jetzt verschoben werden, um[216] den gegenwärtigen Sturm auszuhalten, welcher sich nach Lesung des Briefs über mich erhob.

Daß Herr Haller durch den Inhalt desselben aufgebracht wurde, und seinen Zorn nicht auf die sanftmüthigste Art äußerte, läßt sich denken, aber man erspare mir die Mühe sein Betragen und seine Worte umständlich anzuführen, welche dadurch noch widerwärtiger gemacht wurden, daß er die Achtung, die er mir wenigstens in Gegenwart der Kinder schuldig war, so ganz vergaß, sich nicht scheute mir vor ihren Ohren Vorwürfe zu machen.

Peninnens Aufenthalt im Walterschen Hause wurde nach den Winken, die sie im Anfang ihres Briefs gab, auf die gehäßigste Art ausgelegt. Ihr Entschluß im Hause des Regierungsraths zu leben, bekam noch widrigere Namen, und die Rolle, die ich bey der Sache spielte, oder gespielt haben sollte, meine Nachsicht, der Widerwille den ich, wie man mir Schuld gab, meinen Kindern gegen ihren Vater einflößte – – o Himmel, ich erröthe vor dem Bilde, das man von mir machte, Die Eloquenz Herrn Hallers und der Französinn machte, daß ich wirklich gefehlt zu haben glaubte, wenigstens war doch das wahr, daß alle Sorgfalt, die ich auf die Erziehung meiner Kinder gewandt, bisher lauter traurige Früchte gebracht hatte, und ist man nicht immer geneigt, alles, auch oft seine eigenen Handlungen, nach dem Erfolg, nicht nach der Absicht zu beurtheilen? – Ich schwieg, und konnte nichts zu meiner Vertheidigung sagen. Peninnens[217] Handlungen in ein gefälligeres Licht zu setzen, machte ich einige Versuche, aber ohne sonderlichen Nutzen. – Die Französinn ahndete die Art, mit welcher ihrer in Peninnens Brief gedacht war, mit großem Geschrey. Herr Haller ward in Führung seiner Sache eben so laut, ich war überstimmt, und konnte nichts thun, als mein Urtheil mit Gelassenheit anhören, welches dieses war, daß es nöthig seyn würde, meine Kinder gänzlich von mir zu nehmen, damit ich den Gift des Widerwillens gegen ihren Vater nicht auch in ihre Herzen ausstreuen möchte.

Ihnen, schloß mein Mann, indem er sich zu der Robignac wandte, ihnen, Mademoiselle, übergebe ich sie ganz allein, und ich werde, um ihnen die Mühe zu erleichtern, sie von den abgeschmackten Vorurtheilen ihrer Mutter abzugewöhnen, und nach dem Sinn ihres Vaters, und dem Ton der großen Welt zu bilden, nächstens eine Reise nach Berlin thun, auf welcher Sie und meine Töchter mich begleiten sollen.

Dieser Entschluß, welcher wirklich die empfindlichste Seite traf, auf welcher ich angegriffen werden konnte, wurde durch einen Brief bestättigt, welcher an diesem Tage des Kummers aus Berlin eintraf. Er war von dem Hofmeister meines Alberts, und meldete, daß der junge Herr nach verschiedenen Ausschweifungen die er gemacht, und besonders nach einem sehr unglücklichen Spiel, bey welchem er, wie man hernach erfahren, alles bis[218] auf die Kleider verlohren habe, unsichtbar geworden sey, und daß keine Nachforschungen des würdigen Hofmeisters, und des Obersten, welcher jetzt in Berlin war, ihn haben ausfündig machen können.

Julchen, die von ihrer Lieblingsneigung des Ausforschens und Angebens nicht lassen konnte, fand diesen Brief, und brachte mir ihn, und ich, ob ich gleich die Erneuerung ihres Fehlers auf die Art ahndete, wie mir es zukam, konnte doch – man verzeihe mir meine Schwachheit, die vielleicht in meiner gegenwärtigen Lage zu entschuldigen war, – mich nicht überwinden ihn ungelesen zu lassen.

Der herrliche Vortheil, den ich von meinem Vorwitz hatte, war die Entdeckung von dem Unglück des armen Alberts, die mein Herz durchbohrte, und alle Funken des mütterlichen Mitleidens wieder in mir anfachte, und – ach Himmel eine andere, die mir fast eben so schrecklich war: die Hand in diesem unglücklichen Briefe zeigte, daß dieser Hochbelobte Herr Reiner, Alberts Hofmeister, niemand anders war, als der böse Katharines, den das Schicksal recht zum Unglück meines Hauses hatte gebohren werden lassen.

Herr Haller war zu wohl überzeugt, daß, wenn ich die wahre Lage der Sachen wüßte, ich weit mehr Ursache haben würde, ihm Vorwürfe wegen Alberts als er mit Peninnens wegen, zu machen, er schwieg also weislich. Die Abreise nach Berlin wurde beschleunigt, und ich – mußte[219] mich von meinen Töchtern trennen, denn keine Bitten, keine Thränen konnten Herrn Haller bewegen, sie bey mir zurück zu lassen.

Einen Trost hatte ich, einen traurigen Trost, der mir, wenn ich nicht so ganz unglücklich gewesen wär, vielleicht eine Quelle der bittersten Sorgen gewesen seyn würde: am Tage der Abreise zeigten sich bey Julchen alle Vorboten der Blattern, welche ihre Schwestern schon überstanden hatten; es war unmöglich für sie, ohne Lebensgefahr Hohenweiler zu verlassen, und ich hatte also die Beruhigung, doch eins von meinen Kindern in meinen Armen zu behalten, und gerade das, welches bey seinen noch ganz unreifen Jahren meine mütterliche Zucht und Sorge am meisten nöthig hatte, und dieselbe durch den besten Erfolg belohnen konnte, da ein weiches noch unverdorbenes Herz meinen Lehren den Eingang erleichtern mußte.

Ich umarmte Jukunde und Amalien, ich erinnerte sie an alle meine Lehren, ich beschwor sie, sich durch nichts von dem Wege der Tugend, und der Liebe zu mir abwendig machen zu lassen, und eilte zu dem Lager meiner kleinen Kranken zurück, um daselbst meine übrigen Kinder zu beweinen, die mir theils ganz entrissen waren, theils, meinem Urtheil nach, in weit größerer Gefahr schwebten, als dasjenige, das da vor mir lag, und durch die Wuth der schrecklichen Krankheit bald ganz entstellt, und an die Pforten des Todes gebracht[220] ward. Hier konnte doch mütterliche Pflege etwas zu seiner Rettung beytragen, und – sollte das schlimmste erfolgen, wie ruhig konnte ich die unschuldige Seele in die Arme ihres Schöpfers zurückfliehen sehen!

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 213-221.
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