Achtes Kapitel
Die Frau Amtmannin schmiedet ein Testament

[43] Der alte Herr Haller nahte sich seinem Ende. Ob er gleich, da er ein wenig zum Geiz geneigt war, die Verheyrathung seines Neffen mit einem so armen Mädchen als ich, nicht eben gern gesehen, und nur aus Gehorsam gegen seine gebietende Frau eingewilligt hatte, so war mir es doch nachher gelungen, mich so ganz in seine Gewogenheit einzustehlen,[43] daß ich jetzt seine liebste Gesellschafterinn, fast seine einige Wärterinn war, daß ihn jetzt, da seine Augen völlig dunkel geworden waren, schon der Ton meiner Stimme erfreute, und meine Schritte, wenn er sie hörte, schon in der Ferne mit einem frohen Ausruf von ihm begrüßt wurden. Ob ich bey so bewandten Umständen einige Gewalt über ihn, und vielleicht einigen Einfluß in die Verfassung seines letzten Willens haben mochte, läßt sich errathen.

Der gute Greis starb, und meine aufrichtigsten Thränen folgten ihm. Wenn auch keine guten Eigenschaften von seiner Seite, wenn auch nicht seine Zuneigung gegen mich, mir Ehrfurcht, Liebe und Dank abgefordert, und meine Thränen erpreßt hätten, so ist doch auch dieses schon kein Geringes, den Gegen stand seiner vieljährigen Pflege und Sorgfalt zu verlieren. Ach die verdrüßliche Lücke in unsern Geschäften! die schmerzhafte Leere! die tausend Besorgnisse, ob wir auch alles thaten, was wir thun konnten, welche immer wiederkehren, so kräftig sie auch unser Herz widerlegt! –

Herrn Hallers Testament ward eröfnet, und zu jedermanns Erstaunen ward mein Name nicht auf die entfernteste Art darinnen erwehnt. Sein Vermögen war zwischen seine Wittwe und seinen Neffen gleich getheilt, doch so, daß jene nebst verschiedenen Dingen von Wichtigkeit, dieses Haus, und dieser eine ansehnliche Summe Geld zum voraus bekam, mit dem Befehl, seinen bisherigen[44] Wohnort zu verlassen, und das Amt zu Hohenweiler zu pachten, wegen dessen der Erblasser schon alle nöthige Verfügungen getroffen habe.

Madam Haller sahe mich bey dem letzten Punkte mit einem schlauen, zufriedenen Blicke an. Mein Mann schien betreten, und nachdenkend, und einige mit ziemlich reichen Legaten bedachte Verwandtinnen meinten, es sey doch höchst ungerecht, daß der selige Herr mich, seine treue Wärterinn, so gänzlich vergessen, meiner auch nicht einmal ehrenhalber mit einer Sylbe gedacht habe: des ich vom Herzen lachen mußte. Schimpf wäre mir es gewesen, in einem Testamente genannt zu seyn, bey dessen Verfertigung ich, wie mir, zwar mir allein, bekannt war, so sehr um Rath gefragt worden war. Ich wollte nicht unabhängig von denen seyn, denen ich mein Glück zu danken hatte; ihr Vortheil war der meinige, und ohne sie wär ich arm bey Millionen gewesen.

Eins hatte ich gethan, welches mich vielleicht bey manchen in den Verdacht des Eigennutzes bringen wird, da es den Vortheil einer Person betraf, die mir lieber als mein Leben war. Aber war mir es wohl zu verdenken, daß ich den Willen des Verstorbenen, meinen Vater unabhängig zu machen, gut hieß? Ist wohl die reichlichste Unterstützung selbst von denenjenigen, denen es Pflicht ist, ihren Ueberfluß mit uns zu theilen, ist sie wohl dem freyen Manne mit einem kleinen Einkommen, das er gewiß und ganz sein eigen nennen[45] kann, zu vergleichen? Der verstorbene Herr Haller hatte so manches langes Jahr in vertrauter Freundschaft mit meinem Vater gelebt, seine Gespräche hatten ihm die finstern Tage, da die ganze sichtbare Schöpfung vor seinen Augen verschlossen war, aufgeheitert, sein Zuspruch hatte ihn in seinen letzten Stunden getröstet, und ihm den Uebergang in eine andere Welt leicht gemacht, war es ihm denn wohl zu verdenken, daß er zur Dankbarkeit darauf sann, seinem Tröster den Abend seines Lebens heiter und sorgenleer zu machen, und handelte ich unrecht dieses zu billigen, es geschehen zu lassen?

Mein Vater hatte, seit er, wie er sich ausdrückte, aus dem Weinberge des Herrn vertrieben worden war, eine besondere Liebe zum Land- und Gartenbau gewonnen. Seine Lektüre, seine Gespräche, seine kleinen Geschäfte, alles bezog sich auf diesen Lieblingsgegenstand. Jener schöne Bezirk, den Hügel hinab an der rechten Seite unsers Hauses, den wir den kleinen Garten nennen, und der so manchen von ihm gepfropften Baum, so manche zuerst von ihm dahin verpflanzte seltne Blume trägt, war, seit das geliebte Hallersche Haus uns Fremdlinge aufnahm, sein liebster Würkungskreis gewesen, jetzt ward er nebst dem dazu gehörigen Hause sein Eigenthum, und eine ganz artige Leibrente, die sein Freund auf ihn hatte schreiben lassen, begleitete dieses Vermächtniß.[46]

Hätte ich geglaubt, sagte mein Vater, als der Kummer über den Tod seines Freundes seine erste Schärfe verlohren hatte, und ihm Raum ließ Freude und Dank über sein hinterlassenes Andenken zu fühlen, hätte ich geglaubt, noch in dem Besitz irgend eines irdischen Guts, das zu empfinden, was ich hier unter meinen blühenden Bäumen, unter meinen duftenden Blumen fühle? – O Kinder, ich werde zum zweitenmale jung! So oft der Frühling in meinen Garten wiederkehrt, so oft ists auch, als wenn neues Leben in meinen Adern wallte! Ach es wird mir einmal schwer werden, mich von diesem Paradiese und von euch zu trennen!

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 43-47.
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