Neuntes Kapitel
Die Tante ist noch ärger als die Nichte

[47] Das war ein Meisterstreich! sagte Madam Haller, als wir das erstemal nach Eröfnung des Testaments ohne Zeugen mit einander sprechen konnten, das wahr wohl ersonnen! auf diese Art bringst du deinen Mann aus seinen allerliebsten Gesellschaften, er weiß selbst nicht wie. – Ich schwieg. – Leugne mir es nicht, mein Kind, fuhr sie fort. Ich weiß, daß du meines Mannes Herz in Händen hattest, und das gepachtete Amt ist nichts als ein Einfall von dir, den du durch ihn ausführen ließest.[47]

Ich weiß nicht, meine Kinder, ob ihr es jemals erfahren habt, wie einem zu Muthe ist, wenn man sich wegen einer Sache loben hört, mit welcher unser Herz nicht ganz zufrieden ist; gewiß eine der peinlichsten Empfindungen, die ich kenne, und die mein Herz in selbigem Augenblicke in vollem Maaße erfuhr. – Wie? du weinst? rief Madam Haller, indem sie die Hand, mit welcher ich meine Augen decken wollte, mit sanfter Gewalt hinweg zog. – O, meine Tante, sprach ich schluchzend, wer weiß, ob ich recht handelte! ich hasse von Natur alle krummen Wege, und ob dieser Meisterstreich, wie sie es nennen, auf der geraden Bahne blieb, ob ich ihn meinem Manne und der Welt offenherzig gestehen dürfte, das gebe ich ihnen zu bedenken. – Du bist wunderlich, sagte sie, welchen Weg soll man mit verkehrten Leuten gehen, als den, der ihrer Art zu handeln am nächsten kömmt? – Bedenken sie selbst, fuhr ich fort, meinen Mann mit Hinterlist aus einer Sphäre reissen, in welche er sich schickt, und ihn in eine andere bringen, welcher er vielleicht nicht gewachsen ist. Sie sahen, wie betreten er war; müßte nicht schon der Gedanke ihm Kummer zu machen, genug seyn, mich zur Reue über das zu bringen, was ich that?

Willst du es ihm nicht lieber bekennen und abbitten? sagte Madam Haller mit einem unwilligen Blick – Schwache weichherzige Seele! war seine Bestürzung wohl etwas anders, als Kummer,[48] sich von Madam R... und Mamsel W... und wie die Syrenen alle heißen mögen, trennen zu müssen? – Und wird er, erwiederte ich, an dem künftigen Orte unsers Aufenthalts nicht neue ihm vielleicht noch gefährlichere Damen und Demoisellen dieser Art finden? Was habe ich dann gewonnen? oder was habe ich gewonnen, wenn er sich den Weg von etlichen Stunden nicht zu weit seyn läßt, seine alten Bekanntinnen hier zu besuchen? – Dies ist nunmehr zu spät, war die Antwort meiner Tante, quäle dich nicht mit unnöthigen Grillen, und laß dich nichts reuen, als daß der Ort, wohin wir gedenken, nicht noch zehen Meilen weiter ins Land hinein liegt, um allen Umgang mit den hiesigen Städterinnen gänzlich abzuschneiden, ein Fehler, den du freylich hättest vermeiden können, wenn du klug genug gewesen wärest.

Wenn Madam Haller in so entscheidendem Ton sprach, so war es nicht erlaubt, die entschiedene Sache wieder vorzubringen; ich trug also die Vorwürfe meines Herzens in der Stille, welche durch den tiefen Kummer erschwert wurden, der über das ganze Wesen meines Mannes verbreitet war, und den ich ganz auf meine Rechnung schrieb.

Drey Tage ertrug ich seine finstern Blicke, ohne sie zu ahnden; am vierten brach ich das Stillschweigen. – Mein Albert, mein Trauter, sagte ich mit von Thränen gehemmter Stimme, du trauerst, und deine Frau darf nicht wissen[49] warum? Bin ich vielleicht – Gute Seele, unterbrach er mich, du, deren ich nicht werth bin, du, deren holden Taubenaugen ich schon tausend Thränen ablockte! Thränen, die du immer großmüthig genug warest, mir zu verhelen.

Ich. Nun so trockne sie, durch Mittheilung deines Kummers.

Er. Ach Hannchen, dann würden sie erst recht zu fließen anfangen; ach wenn du wüßtest, wenn du wüßtest!

Ich. Ich weiß es, Lieber; du grämst dich, daß du den Ort deiner Geburt verlassen sollst, und ich, ach ich – –

Er. Darüber? Nein wahrhaftig nicht! Lieber heute noch aus diesem – diesem – – Wisse – doch nein, ich kann ich kann nicht!

Ich. Albert! Wenn du mich jemals liebtest, wenn je meine Bitten etwas bey dir galten!

Er. Warum folgte ich deinen liebreichen Ermahnungen nicht! – Zwar Ermahnungen? – ließ deine Bescheidenheit so etwas zu? – Kaum kann ich es Winke nennen!

Ich. erschrocken. – (ich glaubte, er zielte auf die Begebenheiten mit der R... und W...) – Sollte ich mir je Ermahnungen oder Winke über diesen Punkt erlaubt haben?

Er. O war nicht selbst deine Eingezogenheit, deine Mäßigkeit, deine Sparsamkeit, deine[50] eingeschränkten Wünsche, waren dieses nicht alles Winke genug mich zu bessern?

Ich. (lächelnd und froh, daß ich mich geirrt hatte). – Ach du meinst gewisse kleine unnöthige Ausgaben, gewisse – ich weiß nicht wie ich sagen soll. – Sey ruhig, mein Albert, ich weiß, wir müssen Schulden haben, aber jetzt, da du so ansehnliche Summen in die Hände bekömmst. – Gute Wirthschaft auf meiner, und ein wenig Einschränkung auf deiner Seite – –

Er. Wirthschaft? Einschränkung? ansehnliche Summen? – Gutes armes Kind, zu spät! alles zu spät! – Meine, nicht, wie du so schonend sagst, unsere Schulden, belaufen sich so hoch, daß ich um sie zu bezahlen, noch die Summe werde angreifen müssen, die mir mein Onkel in anderer Absicht vermachte, eine Absicht, die ich segne; es war gewiß die, mich aus gewissen Verbindungen, – von einem Orte, wollte ich sagen, loszureißen, der mich in tausend Ausschweifungen stürzte. – Du schweigst? die Bestürzung hemmt deine Stimme? – O ströme lieber alle Vorwürfe über mich aus, als diese Thränen!

Ich. Vorwürfe? – ich habe keine. Und wäre die Sache noch schlimmer, als du sie beschreibst, nun, so wären wir so arm als ich war, da[51] ich deine Frau ward; ich habe Armuth ertragen gelernet, aber du?

Er. (Indem er sich vor die Stirn schlug) Unausstehlich! unausstehlich! – Du, die du am meisten unter meinen Vergehungen leidest, so gütig? und andere, die nicht durch mich verlohren, nur gewonnen haben – Personen, um derentwillen – Ich weiß nicht was ich sage. – Laß mich!

Er verließ mich in einer gänzlichen Betäubung. Die Dinge, die er mir entdeckt hatte, waren schrecklich und unerwartet, seine letzten Worte räthselhaft. Ich unterdrückte meine Empfindungen, und eilte zu einer zweyten Unterredung mit ihm, in welcher mir es mit Mühe gelang, die Erlaubniß, seine Rechnungen zu durchsehen, von ihm zu erhalten. Er hatte nicht Muth genug, es selbst zu thun, und wollte es einem Fremden auftragen; ein Entschluß, der sein Unglück vollends auf den höchsten Gipfel gebracht haben würde.

Freylich waren gewisse Punkte in seinen Ausgaben, die niemand weniger als ich hätte wissen sollen, und bey welchen es auch für mich bedenklich war, wenn er wußte, daß sie mir bekannt waren. Aber ich faßte mir Muth, nahm halb mit, halb wider seinen Willen alle Papiere zusammen, die zur Berichtigung unserer Sache gehörten, versicherte ihn lächelnd, daß wenn ich Geheimnisse fänd, meine Augen vor allem außer den[52] Zahlen verschlossen bleiben sollten, und entfernte mich. – Ich erstaunte über die Summen die ich erblickte, und ich läugne es nicht, der Name seiner guten Freundinnen aus der Stadt, die ich auf allen Seiten fand, wo etwa eines Juwelierers, eines Seidenhändlers, oder einer Putzkrämerinn gedacht war, preßten mir mehr Thränen aus, als die Summen, die ihnen zu Liebe verschwendet worden waren.

Ich dachte an mein Versprechen, meine Augen vor gewissen Dingen zu verschließen, und that das Gelübde hinzu, auch meinen Mund verschlossen zu halten; das ist, selbst der Vertrauten aller meiner Geheimnisse, meiner Tante, nichts von unsern geheimen Angelegenheiten wissen zu lassen; ein Entschluß, der mir um so viel leichter zu erfüllen ward, da ich, wie ich anfangs fürchtete, ihrer Hilfe nicht dabey nöthig hatte. Die fürchterliche Summe, die ich von allen diesen Summen herausbrachte, überstieg freylich das, was mein Mann von der Güte seines Onkels erhalten hatte, aber mit Hilfe einiger kleinen Geschenke, die ich von Zeit zu Zeit, theils von meinem Albert, theils von Madam Haller erhalten, und zum Glück nicht verschwendet hatte, gelang es mir, unsere Schulden völlig zu tilgen, ohne die Summe angreifen zu dürfen, die den Grund unsers Glücks an einem andern Ort legen sollte.

Mein Mann schloß mich in seine Arme, so zärtlich wie an unserm Verlobungstage, und überhäufte[53] mich mit Lobsprüchen, aber schnell fuhr er zurück, fragte mich, was Madam Haller zu der Sache meyne, und drückte mich von neuem noch fester an sein Herz, als ich ihn lächelnd fragte, ob es nothwendig sey, daß sie um unsere geheimen Angelegenheiten wisse?

Tausend Versprechungen, deren wahren Sinn ich mich nicht zu verstehen stellte, folgten dieser Umarmung, und eine umständliche Beichte aller vergangenen Dinge würde den Schluß gemacht haben, wenn ich klein genug gedacht hätte, ihm ein so demüthigendes Bekenntniß zu gestatten. Ich legte meine Hand auf seinen Mund, küßte ihn, und hüpfte zum Zimmer hinaus, so froh, als ob man mir dreymal die Summe geschenkt hätte, von welcher hier die Rede war.

Was mochte mich doch so froh machen? Vielleicht die wiederkehrende Zufriedenheit meines Mannes? Vielleicht seine verneute Zärtlichkeit? Vielleicht seine Bereitwilligkeit an den Ort seiner künftigen Bestimmung zu gehen? Oder sollte es nicht vielleicht heimliche Freude gewesen seyn, daß er, wie ich aus einigen halbgesprochenen Worten errieth, in seiner gegenwärtigen traurigen Lage, meine Nebenbuhlerinnen in ihrer wahren Gestalt kennen gelernt hatte; daß er vielleicht jetzt von ihnen so schimpflich war verlassen worden, als sie verdient hätten, von ihm verlassen zu werden? – Der Himmel verzeihe mir diese Schadenfreude, welche auf den höchsten Gipfel stieg, als meine[54] Muthmaßungen des andern Tages durch die Relation der Madam Haller bestättiget wurden. – Weis der Himmel, woher die Frau alles erfuhr. Sie konnte mir diese für mich so trostvollen Scenen so lebhaft mahlen, als ob sie selbst dabey zugegen gewesen wäre. – Ich bewundere ihre Talente hinter alles zu kommen, die wirklich einem Pariser Polizey-Lieutenant Ehre gemacht haben würden, aber die Rolle bey einer von meinen Töchtern zu spielen, die sie in diesem Stück bey mir übernahm, würde ich mich nie verstehen; es gehört große Klugheit dazu, gewisse Dinge zu wissen und sich gut dabey zu verhalten; Unwissenheit ist in dergleichen Fällen tausendmal besser, als die genaueste Kenntniß.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 47-55.
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