Zwölftes Kapitel
Wiederkehrendes Ehestandglück

[85] Ich würde vielleicht Julchens Bitten, mit ihr nochmals in den Keller zu kommen, nachgegeben haben, wenn nicht ein Auftritt von ganz anderer Art, sich mir eröfnet und alle meine Gedanken auf wichtigere Gegenstände geleitet hätte.[85]

Die Thüre ward aufgerissen; mein Mann stürzte herein. Er warf sich mir um den Hals, und schrie: o Weib, derengleichen es auf der Welt nicht geben kann! ich bin frey, frey durch dich, und das fürchterlichste Unglück befalle mich, wenn ich je deine Güte misbrauche! – Noch war mir es unmöglich, seine Liebkosungen zu erwiedern, ich faßte seine Hände, und sah ihn mit einem steifen forschenden Blicke an, den er wohl zu verstehen schien. Ich weis was du sagen willst, sprach er, aber wenn ich dir jemals das vergesse, was du in diesen Tagen an mir gethan hast, so soll – – Halt ein, unterbrach ich ihn, wozu brauchst du Betheurungen bey derjenigen, welche so geneigt ist, dir auf dein bloßes Wort zu glauben? – Julchen, umarme deinen Vater, du siehst er ist nun frey, und deine frommen Wünsche sind erhört. Julchen umfaßte seine Kniee und badete seine Hände mit ihren Thränen, er beugte sich zu ihr herab, und begegnete ihr so liebreich, daß mein ganzes Herz dadurch bewegt ward.

O Albert! rief ich, und drückte seine Hand, wärs möglich, daß wir noch einmal mit einander die alten glücklichen Tag sehen könnten?

Der Rechtsgelehrte trat in diesem Augenblick ein, und endigte diese Scene der Zärtlichkeit und Versöhnung. Er blieb diesen Tag bey uns. Wir sprachen den ganzen Abend von der Art, wie die verdrüßliche Sache beygelegt worden war; Dinge welche zu sehr mit der Hohenweilerschen Amtsverfassung[86] zusammen hiengen, und mir selbst in vielen Stücken zu unverständlich waren, als daß sie sich gut wiederholen ließen.

Wir dankten und lohnten unserm Freunde wie es sich gebührte, und er verließ uns. –

Nun war ich mit meinem Manne wieder allein; unser Ehestand fieng sich gleichsam von neuem an, und eine ganz neue Epoche meines Lebens begann. Freude und Dank füllten unsere Gespräche in den ersten Tagen aus, nach und nach, als wir auf unsere verlornen Kinder zu reden kamen, wurden unsere Unterhaltungen weniger angenehm. Ich fragte nach Amalien und Jucunden; ich wollte umständlichere Auskunft über ihr Schicksal haben, und ob ich mich gleich bemühte, allen Ton des Vorwurfs zu vermeiden, so war doch schon die bloße Nachfrage ein Vorwurf für ihn. Er bat mich, ihn nicht an vergangene Dinge zu erinnern, und ein paar ungerathene Töchter ihrem Schicksal zu überlassen. Viel lieber, möchte ich dich fragen. fuhr er fort, wie wir um Hannchen gekommen sind; es gehen wunderliche Gerüchte von ihrem Tode.

Ich fühlte wohl, daß dieses Erwiederung meines vermeynten Vorwurfs seyn sollte, aber ich hielt nicht für gut es zu ahnden. Ich erzehlte ihm die Sache ganz plan und ohne Bemäntelung, und belegte sie mit dem Briefe der Verstorbenen. Ich stellte ihm Ludwigen als seinen Enkel vor; er machte ihm einige Liebkosungen, nannte ihn einen schönen Jungen, und sagte, er würde ihn lieben,[87] wenn er nicht in die Wilteckische Familie gehörte. Die verdammten Wiltecke! fuhr er fort, sie kamen nach Berlin, wie sie sagten, mich abzuholen, aber sie legten die letzte Hand an mich, mich so ganz auszuziehen, wie ich hier angekommen bin. Sie sind mit meinem Raube davon geschlichen, und werden sich wohl nie wieder in dieser Gegend blicken lassen, sonst wollte, sonst müßte ich eine in die Augen fallende Rache an ihnen nehmen.

Vergiß das Vergangene, mein Albert, sagte ich, und frage mich lieber nach deinen andern Kindern, vielleicht daß ich dir etwas Angenehmes von ihnen sagen kann. – Gewiß von Peninnen? fragte er mit einem Blick, den ich ihm nicht verzeihen konnte. Peninna ist wohl, wie ich hoffe, sagte ich, aber weist du, daß Samuel lebt? daß das Gerücht von seinem Tode falsch war? Samuel? sprach er mit gleichgültiger Miene; wenn ich lieber von meinem Albert etwas hören sollte. Das war ein verzweifelter Junge! Da hatte er in Berlin eine Ehrensache, die schlimmer hätte ablaufen können, wenn der Kerl, den er verwundete, todt geblieben und er nicht entflohen wär.

Es war viel in den Reden meines Herrn Gemahls, das mir misfiel, aber ich übergieng es mit Stillschweigen, und gab ihm die Nachricht, die er verlangte. Alberts Rettung erfreute ihn so sehr, als ihn sein Entschluß, nach Amerika zu gehen betrübte. Der dumme Junge, sagte er, hätte hier bleiben und mein Amtsverweser werden können.[88]

Von Samuelen sagte er sehr spöttisch, er hätte wohl gethan in die neue Welt zu gehen, er möchte nun dort Heiden bekehren, oder Reichthümer sammeln wollen; im ersten Falle, sagte er, wird ihm die Märtyrerkrone nicht entstehen, und im andern wird er ohne Zweifel so viel vor sich bringen, daß er uns noch einmal in die ehemaligen glänzenden Umstände versetzen kann.

Die Wendung, die dieses Gespräch nahm, war mir zu anstößig, als daß ich es nicht hätte abbrechen sollen. Ich schwieg und vermied in der Folge alle Gelegenheit, von solchen Dingen zu sprechen. Nur einer Frage nach der Robignac konnte ich mich nicht enthalten; die Antwort fiel sehr kurz und unvollständig aus; es schien, es kostete Herrn Haller einige Ueberwindung, zu gestehen, daß er sich auch in dieser Person geirrt habe, daß er in derjenigen, die er mir in der Erziehung meiner Kinder vorzog, die Verführerinn derselben, daß er in ihr eine falsche Freundinn fand, die ihn bey dem ersten Anschein des widrigen Glücks verließ, und ihre Untergebenen dem Unglück preis gab.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 2, Mannheim 1791, S. 85-89.
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