Dreyzehntes Kapitel.
Gute Nacht Hohenweiler

[89] Daß Herrn Hallers Herz nicht gebessert, daß es bey weitem nicht einmal dasjenige mehr war, wie[89] ich es in den ersten Jahren unserer Verbindung gekannt hatte, das war ausgemacht; indessen bildete ich mir doch ein, in seinem Aeußerlichen eine glückliche Aenderung zu finden. Gelegenheiten unangenehme Dinge aus seinem Munde zu hören, gab es genug, aber es war mir doch möglich, ihnen auszuweichen. Gegen Julchen war er bey weitem kein zärtlicher Vater, und Ludwig bekam von ihm wenig freundliche Blicke, aber es gelang mir doch, wenn ich sie zu gewissen Zeiten aus seinen Augen entfernte, öffentliche Ausbrüche eines unverschuldeten Zorns zu verhüten. Zudem dachte er an kein Spiel mehr, denn seine Verführer die Wiltecke hatten unsere Gegend verlassen, und was das allerbeste war, er nahm sich seines Amts mit einem Eifer und einer Genauigkeit an, wie man nur von einem Manne erwarten kann, den das Unglück gewitziget hat, und welcher Verlangen trägt, vergangene Fehler vergessen zu machen. Daß er keinen Gehülfen in seinem Amte mehr hatte, war ihm ebenfalls ein großer Vortheil.

Ich fieng nun an, mein Haupt wieder zu erheben, und ich denke noch daran, mit was für einem Triumph ich den ersten Sonntag nach Beylegung der unglücklichen Sache, mit Julchen zur Kirche gieng. Schade war es, daß der Herr Pfarrer, ich weiß nicht ob von ohngefehr, über den Text predigte: Rahel weinte über ihre Kinder, und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen; und aus denselben, die Thränen[90] unglücklicher Eltern über verwahrloßte Kinder vorstellte. – Was für eine Betrachtung für mich! meine triumphierende Miene sank zur tiefsten Wehmuth herab, mein Julchen, auf die ich stolz war, erinnerte mich an ihre verlohrnen vier Schwestern, und ich war nicht im Stande dem gaffenden Blicke der Pfarrerin so zu begegnen, wie ich mir vorgenommen hatte.

Ich war den ganzen Tag traurig, und wie ich schon mehr gemerkt habe, – ihr wißt, daß ich etwas auf Ahndungen halte – diese Traurigkeit bedeutete mir nichts Gutes. Noch an selbigem Abend bekam ich Briefe von Herrn Waltern, daß alle seine Bemühungen, Nachricht von Jucunden und Amalien zu erhalten, fruchtlos gewesen wären; auch von Peninnen hätte er nichts erfahren können, als daß sie in Wien noch in dem Hause des Regierungsraths in großem Ansehen lebte. – Was für eine zweydeutige Rede! bey wem war sie in Ansehen? bey dem Herrn, oder bey der Frau? – Doch Peninna, ich traute auf deine Tugend! – Am Rande von Walters Brief, stand noch dieses, er habe eben erfahren, daß Amalie Feldnern geheurathet hätte.

Die traurigen Posten des Sonntags, wurden am Montage mit noch schlimmern vermehrt. – Mein Mann ward vor seine Obern gefordert, und bedeutet, man habe einige Ursachen zu wünschen, daß er seine Amtsverwaltung niederlegen möchte; Ursachen, nach welchen ihm zu rathen wär, nicht[91] gar zu eifrig zu fragen. – Doch gedächte man nicht, ihn vom Amte zu treiben, sondern man wollte ihm nur sagen, daß sein voriger Amtsverweser gesonnen sey, das Amt zu pachten, und daß seine Bedingungen vortheilhafter wären, als die seinigen; er möchte daher bey sich überlegen, ob er im Stande wär, ihn zu überbieten.

Ganz trostlos kam mein Mann nach Hause. Wir erwogen die Sache mit einander, und die Liebe zu Hohenweiler, machte, daß wir uns entschlossen, über Vermögen zu thun, um nur nicht von dem geliebten Orte getrennt zu werden.

Herr Haller trug seinen Entschluß vor, aber er war nicht hinlänglich, ihn bey seinem Amte zu erhalten, denn leider fand sich noch ein Dritter, welcher sich erbot noch höhern Pacht zu zahlen, und also meinen Mann und seinen Nebenbuhler, den Amtsverweser, beyde verdrängte.

Fast rasend sah ich meinen Mann nach diesem Vorgange in mein Zimmer treten; nur mit gebrochenen Worten konnte er mir sein Unglück entdecken, er schäumte vor Wuth, und sank fast ohnmächtig auf einen Stuhl nieder. So tief ich auch diesen Streich des Schicksals fühlte, so kam mir doch meines Mannes Betragen bey demselben, übertrieben vor. Ich tröstete ihn so gut ich konnte, und fragte endlich nach dem Namen unsers Nachfolgers. Ach sagte er, wenn du diesen Namen, diesen abscheulichen Namen hören wirst, dann wirst du mir den Zustand, in dem du mich[92] siehst, nicht mehr verdenken. Katharines, der Erbfeind deines Hauses, denn dir habe ich diesen Störer meines Glücks zu danken, Katharines ists, der mich von meiner Stelle stößt.

Katharines? wiederholte ich, nun wohl, gleichgültig ist es mir nicht, diesen Menschen uns überall im Wege zu finden; indessen wenn er das leisten kann, wozu er sich anheischig macht, so sehe ich nicht, warum ich ihm nicht das Amt zu Hohenweiler, so gut gönnen sollte, als einem andern.

Ha der Verräther, schrie er, ich, ich selbst habe ihn in den Stand gesetzt, mich zu verdrängen. Er ist jetzt reich, und ich bin ein Bettler; ihm ward das Glück zu theil, das mir bestimmt war! rasend, rasend möchte ich werden, wenn ich mir das denke!

Ich forschte den räthselhaften Reden meines Mannes weiter nach, und erfuhr – Himmel, kaum kann ichs sagen; ich fühle wohl, meine philosophische Verachtung der Reichthümer ist noch nicht gros genug, um bey allen Streichen des Glücks gelassen zu bleiben. Ihr werdet euch noch des englischen Looses erinnern, welches mein Mann thöricht genug war zu verkaufen. Unser Herr Pfarrer drang es ihm damals, weil er sahe, daß er Geld brauchte, für eine Kleinigkeit ab; er hatte Kommission von seinem Vetter Herrn Katharines, ihm ein Loos in der nehmlichen Lotterie zu verschaffen. Es reute meinen Mann bald hernach, er suchte vergebens, sein Loos wieder zu bekommen, und er warf einen bittern Haß auf denjenigen,[93] der ihn um seine Anwartschaft auf ein zweifelhaftes Glück gebracht hatte. Nun stelle man sich vor, wie ihm zu Muthe seyn mußte, als er jetzt erfuhr, daß dieses Loos, das er so lüderlich verschleuderte, Herrn Katharines in den Besitz von zehn tausend englischen Pfund gesetzt hatte; ein Glück, das dieser Schleicher, der Himmel weis aus welchen Ursachen, bisher verborgen hielt.

Ich schwieg, nachdem ich diese Erzählung endlich ganz aus meines Mannes Munde erpreßt hatte; Herr Haller schwieg auch, aber unser Schweigen war die Hülle des tiefsten Schmerzes, der sich denken läßt. Ich war nicht geitzig, wie ich hoffe, aber ich hatte Kinder; konnte ich es gleichgültig ansehen, daß uns das, was uns die Vorsehung bestimmt zu haben schien, so recht aus den Händen gerissen wurde? – Auch mein Gewinnst war in der Luft verflogen, die Absichten meiner guten Tante waren vereitelt, und ich und die Meinen schienen dazu bestimmt zu seyn, wenn das Glück vor unsern Füßen lag, viel eher die darnach ausgestreckte Hand zu verlieren, als es erreichen zu können.

Ich ziehe einen Vorhang über die Wuth meines Mannes, bey diesem traurigen Vorfall; er schien wirklich in Gefahr zu seyn, den Verstand zu verlieren, und ich mußte für ihn zittern, wenn ich an die Zukunft dachte. Wir mußten Herrn Katharines weichen; seine würdige Gemahlinn hatte Mittel gewußt, sich mit ihm auszusöhnen,[94] sie machte sich oft Gelegenheit nach Hohenweiler zu kommen, um sich ihre neue Wohnung zu besehen, und ich mußte es also auch noch erleben, daß meine alte Feindinn, die Verführerinn meiner Tochter, über mich triumphirte, und meinen bisherigen Platz in meiner ruhigen Wohnung einnahm.

Wir verliessen Hohenweiler, und Julchen vergas nicht, mich den Tag vor unserer Abreise noch in den unterirdischen Gang zu locken, welches bisher durch andere Dinge war verhindert worden. Sie hatte ihren gefundenen Schatz liegen lassen, wie sie ihn fand, oder vielmehr wie er durch ihren Fall in Unordnung gebracht worden war; ein kleines zertrümmertes irdenes Gefäß mit einigen hundert umhergestreuten alten Gold- und Silberstücken, ein Todtenkopf und etliche menschliche Rippen und Schulterknochen, eine verloschene Lampe und ein Schnupftuch, das das erschrockene Mädchen auf der Stelle hatte liegen lassen, dieß war es was wir fanden. – Sehen sie, liebe Mutter, sprach die Kleine, daß ich nicht träumte! Ich schüttelte den Kopf, und konnte mich nicht enthalten, das ganze Behältniß in der Mauer zu untersuchen; ich fand nichts als noch etliche wenige Goldstücke, und einige Todtenbeine. – Julchen bat um Erlaubnis, ihren Schatz ihrem Vater bringen zu dürfen. Er ist so traurig, sagte sie, vielleicht wird ihn das freuen. Er nahm es an, aber es freute ihn nicht, vielmehr stürzte ihn der[95] Gedanke, ein Haus verlassen zu müssen, in dessen Keller ein Schatz gefunden worden war, vollends in Verzweifelung; er konnte sich die Möglichkeit nicht ausreden, es könnten hier noch mehrere Schätze verborgen seyn, um die er nun gebracht würde.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 2, Mannheim 1791, S. 89-96.
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