Vierzehntes Kapitel
Ein irrendes Fräulein

[96] Wer kann sich die traurige Lage eines Mannes, der mit einem auf solche Art zerrütteten Gemüth, mit einem von solchen Hirngespinnsten erfüllten Kopf, in eine müßige Einsamkeit geht, wer kann sie sich schrecklich genug vorstellen! Wir bezogen unser geliebtes Traußenthal von neuem, aber es war mir nicht mehr der paradiesische Ort wie vormals. Die Geister meiner abgeschiedenen Freunde, der Schatten meines verstorbenen Vaters, und meiner hier gebohrnen nun verlornen Kinder, begegneten mir auf allen Schritten. Meine Gesellschaft bestand aus einem mürrischen oft halb wahnsinnigen Manne, aus einem jungen Mädchen, das ich liebte, und um deren trübe, so elend zugebrachte Jugend ich trauten mußte, und aus einem heranwachsenden Knaben, dessen aufblühende Schönheit, dessen himmlisches Lächeln, nicht die Kraft[96] hatte ihn für übler Begegnung zu schützen, oder das harte Herz seines Hassers zu erweichen. Wer kann mir sagen, welcher von diesen dreyen Gegenständen meines Kummers, meine Seele am tiefsten verwundete?

Gab es ja noch etwas, das mir in dieser Verfassung, Trost und Linderung seyn konnte, so war es Walters und Charlottens Gesellschaft; wir sahen uns fast täglich, und ob gleich Herr Haller wenig Geschmack an ihnen zu finden schien, so gab es doch Stunden, in welchen er selten zum Vorschein kam, und wir sicher seyn konnten, daß wir von seinen finstern Blicken nicht in unserer Ruhe gestört wurden.

In einer von diesen süßen seligen Stunden war es, daß sich eine Begebenheit zutrug, welche mich eine Person kennen lehrte, die in der Folge einen wichtigen Einfluß auf mein Glück hatte, und die auch jetzt schon mehr in die Schicksale der Meinigen verflochten war, als ich denken konnte.

Ein Fräulein von Vöhlen ließ sich bey mir ansagen. Von Vöhlen? wiederholte ich, nie habe ich diesen Namen gehört. Mir klingt er sehr bekannt, sprach Walter, ich dächte Charlotte, fuhr er fort, indem er sich zu seiner Gattinn wandte, die gegenwärtige Besitzerinn des Guts, das dir einmal bestimmt war, wär uns Fräulein von Vöhlen genannt worden. Sie müssen wissen, Madam Haller, setzte er hinzu, daß uns vor einiger Zeit die Akten von der Endigung dieses Prozesses[97] vorgelegt wurden, und daß wir eine nochmalige feyerliche Entsagung von allen Rechten, auf das streitige Gut von uns geben musten. Wir gaben sie von Herzen gern, unser alter Freund Samuel, hatte uns längst die Augen über die Unrechtmäßigkeit unserer Ansprüche geöfnet, und so sehr man sich auch von verschiedenen Seiten bemühte, uns zu bewegen, die Sache noch mehr zu verwirren, indem wir uns in den Rechtshandel mischten, so hielten wir doch für gut, ganz still dabey zu sitzen, und ich denke, wir thaten recht, nicht wahr Charlotte, dieß ist auch deine Meynung? O ja, sagte Madam Walter, in einem Tone, der mir mehr aufgefallen seyn würde, wenn sich nicht in dem Augenblick die Thüre geöfnet hätte, und die gemeldete Dame eingetreten war.

Ich gieng ihr entgegen. Ein jugendliches Geschöpf in simpler Reisekleidung, nahte sich mir, und fragte mich in schüchternem Tone, ob sie die Ehre hätte, mit Madam Haller zu sprechen? Ich bejahte die Frage, wir nahmen Platz, und es erfolgte eine lange Pause, welche ich endlich durch die Frage unterbrach, welche Angelegenheit mir das Glück verschafte, das Fräulein von Vöhlen kennen zu lernen. – In der That, Madam, stotterte sie, eine der wichtigsten Angelegenheiten meines Lebens. Sie sahe vor sich nieder und ein paar Thränen tröpfelten aus ihren Augen.

Ich schwieg, weil ich hoffte, sie würde sich deutlicher erklären. Fassen sie Muth, mein Fräulein,[98] sagte ich endlich, entdecken sie mir alles, die gegenwärtigen Personen können ihnen keinen Zwang anlegen. Dieser Herr hier, thut mir die Ehre mich Mutter zu nennen, und dieses junge Frauenzimmer – Ist also ihre Tochter? unterbrach sie mich mit einem etwas munterern Tone, o Jukunde oder Amalie Haller, oder wie sie heißen mögen, erlauben sie, daß ich sie umarme und sie Schwester nenne! Sie war auf Charlotten zugegangen, und schloß sie so fest in ihre Arme, als ob sie ihre älteste Busenfreundinn vor sich hätte. – Auch sie, auch sie muß ich an meine Brust drücken, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte, und sie Mutter nennen.

Ich erwiederte ihre Liebkosungen mit vielem Feuer. Ohne schön zu seyn, hatte sie so etwas unwiderstehlich einschmeichelndes in ihrem Wesen, so viel Unschuld und Redlichkeit in ihrem Blick, und selbst in ihrer Furchtsamkeit war so etwas hinreißendes, daß man von ihr eingenommen ward, ohne selbst zu wissen, durch welchen Zauber dieses zugieng.

Wie? rief ich, sie kennen meine ganze Familie, sie nennen mich Mutter, sie schliessen mich mit solcher Wärme in ihre Arme, und ich hörte heute ihren Namen zum erstenmal? – Aber nicht zum letzten, wie ich hoffen will, sprach sie. Wenn ich nur erst alle ihre Kinder beysammen sehen werde, denn denke ich, wird sich schon einer finden, der mich Ihnen vorstellt, und mir Ihre Gewogenheit,[99] ihren Umgang, ach einen langen ungetrennten Umgang von ihnen erbittet.

Ich sah Waltern und Charlotten, mit Verwunderung an, ich wußte nicht, was ich aus der sondenbaren Art, mit welcher das Mädchen sprach, machen sollte.

Madam Haller, fieng sie nach einem kleinen Stillschweigen in einem Tone an, als wenn sie sich scheute, alles zu sagen, was sie auf dem Herzen hatte; Sie haben Söhne – ich will sagen, sie haben einen Sohn. – Darf ich fragen, wo Herr Samuel Haller ist? – Ich bitte, legen sie mir diese Frage nicht übel aus, sie wissen nicht, in welcher Verbindung ich mit ihrem Sohne stehe.

Mein Sohn? sprach ich; er stand in einer Verbindung mit ihnen, und es war ihm möglich, Sie zu verlassen? Daß er sein Vaterland, seine Mutter, seine Familie verließ, und nach Amerika gieng war schon genug, aber ein Mädchen, wie sie, vielleicht eine Geliebte, eine Braut zu verlassen? – Das ist unerklärlich! –

Nach Amerika? wiederholte die Fremde, nun so bin ich in der That elend! Ach ich werde ihn nie wiedersehen, und sie, werden mich von sich stossen, mich für eine Abentheurerinn, für eine Landläuferinn halten, weil ich niemand habe, der ihnen die Wahrheit meiner Worte beweißt.

Dieser Auftritt hatte in der That genug abentheuerliches an sich, um die Furcht des guten Mädchens wahr machen zu können, aber sie hatte etwas[100] in ihrem Ansehen, das allen Verdacht widerlegte. Ich mußte mehr von ihr wissen. Sie kannte meinen Sohn, sie stand, wie sie sagte, in Verbindung mit ihm, die Nachricht von seiner Entfernung, gab ihrem unschuldigen Gesicht einen Ausdruck von so tiefem ungeheucheltem Schmerz, Ursachen genug für mich, mich für sie zu interessiren. – Ich gab Waltern und Charlotten einen Wink uns allein zu lassen, ich besorgte, die Gegenwart mehrerer Zeugen, möchte ihr eine deutlichere Erklärung erschweren, und glaubte, wenn wir allein wären, glücklicher in meinen Nachforschungen zu seyn.

Sie müssen offenherzig mit mir sprechen, liebes Fräulein, sagte ich, und rückte meinen Stuhl näher zu dem ihrigen. Wie lernten Sie Samuelen kennen? welche Verbindung fand zwischen ihnen statt? und was haben Sie durch ihn verloren?

Ach alles! schrie sie mit Thränen; ihm hatte ich mein Glück zu danken; mit ihm wollte ich es theilen. Wenn ich meinem Herzen trauen darf, so war er nicht gleichgültig gegen mich, und nun flieht er vor mir, flieht ohne dabey an mich zu denken, ohne mir zu sagen, warum oder wohin! – – – –

Ha! dachte ich, wieder eine neue Probe von deinen Grillenfängereyen, Samuel! – Aber Fräulein, sprach ich zu der Fremden, darf ich nicht um eine umständlichere Erklärung aller dieser Dinge bitten?[101]

Und, fuhr sie fort, ohne auf mich zu hören, er sagte mir noch, beym letzten Abschied; ich gehe zu meiner Mutter, ihr unser Verhältniß selbst vorzulegen, und sie darüber urtheilen zu lassen, bey ihr, meine Klare, kannst du meinen Entschluß erfahren, wenn das Schicksal – – – Ach Madam Haller, unterbrach sie sich, sie wissen seinen Entschluß, sie wissen ob er meine Hand angenommen oder verworfen hat!

Liebes Kind, sagte ich, alles was sie mir da vortragen, sind mir dunkle Räthsel; ich habe meinen Sohn vor seiner Abreise nicht gesehen, nur einen Brief erhielt ich von ihm, in welchem er mir entdeckte, daß er nach Amerika gehe, weil unter dem europäischen Himmel kein Glück für ihn vorhanden sey.

Kein Glück! schrie Klara mit gerungenen Händen; Himmel kein Glück, und er hatte doch mich! – Zeigen sie mir den Brief, Madam, er kann, er kann nicht so geschrieben haben.

Samuels Brief war nicht so beschaffen, daß ich ihn vor fremde Augen konnte kommen lassen; ich versicherte Klaren, daß er nur Familienangelegenheiten enthalte, und ihrer mit keinem Worte gedenke.

Sie gerieth in ein finsteres Stillschweigen. Walter trat herein, und entschuldigte seine Gattinn, die sich wegen einer kleinen Unpäßlichkeit hätte nach Hause begeben müssen. Die Dame war also nicht ihre Tochter? sprach Klare, indem[102] sie wie aus einem Traume auffuhr. Madam Charlotte Walter, erwiederte ich, die Gattinn dieses Herrn. Charlotte? sagte sie, drum wohl erwiederte sie meine Liebkosungen so kalt; wer kann es ihr verdenken? wer wüßte, ob ich so freundlich gegen sie gewesen wär, wenn ich gewußt hätte, daß ich meine Nebenbuhlerinn umarmte.

Charlotte, sagte ich, ist die Gemahlinn dieses Herrn, und denkt längst nicht mehr an vergangene Dinge. Ich sagte dieses, weil ich einen kleinen Verdruß in Walters Gesicht über Klarens Worte zu sehen glaubte. Sie zuckte die Achseln, und meynte, sie müßte Charlotten glücklich preisen, wenn dieses wahr wär, sie hielt es nicht für so leicht, einen Mann, wie Samuel Haller, zu vergessen.

Nach Walters Abschied glaubte ich glücklicher in meinen Nachforschungen bey der Fremden zu seyn, aber vergebens; sie blieb nachdenkend und sehr einsylbig in ihren Worten. Es ward spät; ich fragte sie, ob sie bey mir übernachten wollte, sie sprach, sie könnte nicht leugnen, sie habe auf diese Einladung gerechnet, und nehme sie sehr gern an. – Ich gab ihr das kleine Haus ein, das mein Vater ehemals bewohnte, und überlies ihr, auf ihre Bitte, Julchen zur Gefärthinn, die indessen hereingekommen und von ihr, als Samuels Schwester, sehr liebreich bewillkommet worden war.[103]

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 2, Mannheim 1791, S. 96-104.
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