Zehntes Kapitel.

Herrmanns Geschichte.

[76] Merkwürdig genug würde das seyn, was ich euch zu erzählen habe, fieng Herrmann an, wenn ich von Vätern und Grosvätern anfangen und euch den eigentlichen Grund der Abhängigkeit, in welcher ich leben muß, vorlegen wollte. Ich bin arm, muß entweder der Diener eines schlechten Fürsten bleiben, oder ein Mönch werden, oder Verbindlichkeiten von denenjenigen annehmen, denen ich lieber selbst welche auflegen möchte. Verzeiht mir, Vater Münster, verdenkt es mir nicht, daß ich lieber unsere Rollen umkehren, lieber euch Wohlthaten erzeigen, als welche von euch annehmen möchte.[76]

Der alte Münster verstand wohl, worauf dieses ging; der junge Mensch hatte diesen Abend die Geschenke, welche die Kaiserin vor einiger Zeit durch ihn an dieses Haus schickte und die er in der Stille mit dem wenigen was er besaß vermehrt hatte, als einen Nehr und Wehrpfennig von dem gutherzigen Bürger annehmen müssen, und die Art, mit welcher dieses nicht unwichtige Geschenk gegeben wurde, war so edel, so dringend, daß die Verweigerung unmöglich, aber die aufgelegte Verbindlichkeit für Herrmann auch desto lastender ward.

Meine Väter, fuhr der Erzähler fort, indem er den Händedruck des Alten, die einige Beantwortung seiner vorigen Rede erwiederte, meine Väter haben gesündigt und ich muß dafür leiden. Mein Grosvater, der jüngere Sohn seines Hauses, veruneinigte sich mit seinem ältern Bruder den jetzt regierenden Grafen von Unna; mein Vater zog durch den Antheil, den er und seine ältern Söhne an den Händeln der Martinsritter mit dem Grafen von Würtemberg nahmen, den Haß seines ehrwürdigen Oheims noch mehr auf sich, und ich, der damahls noch in den ersten Kinderjahren war, mußte Theil an der Strafe nehmen, ohne Theil an der Versündigung gehabt zu haben.

Münster stieß bey dem Namen des Grafen von Würtemberg einen tiefen Seufzer aus, und Herrmann fuhr fort.[77]

Ich weiß nicht, ob euch die Begebenheit Graf Eberhards zu Wisbaden bekannt ist, und will euch also einen kleinen Begriff davon machen.

Es ist unnöthig, fiel Münster mit einigem Unwillen ein. Ich kenne den Grafen von Würtemberg und die ganze Geschichte besser als ihr. Die Martinsritter wußten, daß er zu Wisbaden lebte, aus Verlangen nach einer guten Beute, vielleicht auch aus andern Ursachen, belagerten sie ihn, und würden ihn mit seinem ganzen Hause in ihre Gewalt bekommen haben, wenn er sich nicht durch den engen Weg bey den Weinbergen gerettet hätte.

Diese unglückliche und unrühmliche Expedition, fing Herrmann von neuem an, kostete meinem Vater und einem meiner Brüder das Leben, brandmarkte ihren Namen mit Schande, und zog ihnen den unversöhnlichen Haß des Hauptes unserer Familie zu. Der alte Graf von Unna zog mit Einwilligung des Kaisers den größten Theil unserer Familiengüter ein, und drohte uns mit dem Arm des heimlichen Gerichts, dessen Oberrichter er in unsern Gegenden war, zu verfolgen, dafern sich jemand unter uns fände, der die begangene That rechtfertigen, oder die Strafe für zu streng erklären würde.

Ich verstand damals von diesen Dingen nichts, so viel ich auch davon zu hören bekam; nur die Würkungen davon wurden mir mit jedem Tage merklicher[78]

Ich war der jüngste unter einer Menge von Geschwistern, welche größtentheils meine Väter und Mütter hätten seyn können, und die auch diese Stelle bey mir vertreten sollten. Bernd der älteste und das nunmehrige Haupt der jüngern Linie von Unna ward von seinen Geschwistern mit einer scheuen Ehrfurcht angesehen, und Liebe zu ihm oder Familienstolz bewegte die meisten von ihnen den geistlichen Stand anzunehmen, damit er im Stande seyn möchte den Namen seines Hauses mit einigem Glanze zu behaupten. Daher kommt es, daß ich euch mit geistlichen Geschöpfen aller Art aus meiner Familie dienen kann, es giebt da Domherrn, Aebtißinnen, geistliche Ritter, Klosterjungfern so viel ihr wollt, und es würde auch wenigstens einen Mönch unter uns geben, wenn ich meinen Geschmack nach dem Willen der andern hätte bequemen wollen. Mir war die Ehre zugedacht, in dem Kloster zu Korf Profeß zu thun. Um mich desto eher zu diesem Glück zu befördern, hatte man mit ziemlichen Kosten eine Dispensation vom heiligen Vater ausgewürkt, in welcher geschrieben standt: Junker Herrmann von Unna, sollte wegen seiner frühzeitigen Klugheit und Frömmigkeit, und den außerordentlichen Spuren eines göttlichen Berufs, bereits in seinem dreyzehnten Jahre die Erlaubniß haben, die Welt zu verlassen, und das Leben der Engel anzufangen.[79]

Unsere Familie mußte besonders gesegnet an solchen Wundern der Heiligkeit seyn, denn zwo Schwestern von mir, welche einige Jahre vor mir voraus hatten, waren vor kurzen auf ähnliche Art begnadigt worden, aber ich war bey ihrer Einkleidung gegenwärtig, und sie genossen des Vorzugs, den man ihnen gönnte, auf so trübselige Art, daß ich meinen innern Beruf, meine frühzeitige Klugheit und Frömmigkeit anfieng zu bezweifeln, und mich scheute Gebrauch von einer Ehre zu machen, die man mir so unverdient zutheilte.

Arme Agnes! arme Petronelle! dachte ich, als ich eines Morgens das Kloster verließ, um es nie wieder zu betreten, o daß ich euch so von dem Leben der Engel auf Erden befreyen könnte, wie ich ihm jetzt entsage? Lebt wohl ihr Heiligen, lebt wohl ihr Gräber und all' ihr schallenden Klostergewölber, vielleicht in einem halben Jahrhunderte sehen wir uns wieder!

Immer war mein Geist munter und thätig gewesen, schon als achtjähriger Knabe freute ich mich, heimlich das Schwerd meines ältern Bruders schwingen zu können, und von seinen Knechten auf seine Rosse gesetzt zu werden, jetzt da ich heran wuchs, da ich begann stärkere Begierde nach dem zu fühlen was in der Kindheit mein Spielwerk war, jetzt sollte ich mich dem Müßiggange des Klosters[80] widmen? – Nie hatte mir dies in den Sinn gewollt, immer hatte ich mich nur darum verstellt um einmahl desto sicherer entfliehen zu können, und meine Maasregeln waren mit Hülfe eines vertrauten Dieners meines Bruders so klüglich genommen, daß ich sicher über die Gränze und sicher an den Ort kam, den ich mir zu meinem Aufenthalte gewählt hatte.

Der Hof des Kaisers war es, wo ich sicher zu seyn glaubte. Ich hatte einmal gehört, ein Kaiser sey ein Schützer aller Bedrängten, und ich, der ich mich für den Bedrängtesten von allen Sterblichen hielt, stellte mich seiner Majestät mit so viel Freymüthigkeit und Zuversicht vor, als ob das, was ich suchte, nicht Gnade, sondern ungezweifeltes Recht sey; ich glaube, es war es auch, aber wußte Wenzel wohl etwas von den Rechten der unterdrückten Menschheit? – Doch mir war unbekannt, wieviel Gefahr derjenige lief, der Recht oder Gnade bey ihm suchte; mein guter Engel führte mich gerade in einer Stunde zu ihm, wo er geneigt war, Menschen zu beglücken, und dergleichen Stunden hat doch auch der ärgste Tyrann je zuweilen.

Ich ward unter Wenzels Edelknaben aufgenommen. Die Dankbarkeit für seine Gnade, die ich auf die unbefangenste Art äußerte, meine Munterkeit und froher Muth nahmen ihn ein; ich[81] mußte in seinem Zimmer schlafen, mußte Tag und Nacht der Ausrichter seiner geheimen Geschäfte seyn, und die Unverdrossenheit, mit welcher ich dieses that, setzte mich immer fester in seiner Gunst. Es war unmöglich, daß Wenzel nicht zuweilen in den Augen derjenigen, die ihm dienten, unter der Larve der Schmeicheley heimliche Misbilligung seiner Thaten bemerken sollte, bey mir konnte er nichts dergleichen gewahr werden, denn mich dünkte, alles sey recht, was ein Kaiser that. Dieses machte, daß er mich unabläßig um sich haben wollte, und ich ward auf diese Art nach und nach in allen Geheimnissen seiner Schwelgereyen eingeweiht.

Armer, armer Jüngling! rief der alte Münster, was für eine Schule für dein Herz!

Nicht gefährlich, ich versichre euch, ich war zu jung, um eine Neigung zu dem zu fühlen, was ich an meinem Herrn sah, ich dachte, diese Dinge ziemten nur ihm, und ich sehnte mich so wenig seine Pokale zu leeren, oder seine Dirnen zu küssen, als mit den Enten im Teiche zu baden.

Auf der andern Seite schützte mich Begierde zum Waffen und unabläßige Beschäftigung vor bösen Eindrücken. Die Stunden, welche Wenzel verschlief, oder wachend verträumte, und in welchen selbst ich ihm nicht angenehm war, brachte ich beym alten Herrmann von Hertingshausen, des[82] Kaisers Waffenmeister zu, der mich schon um des Namens willen, den ich mit ihm gemein hatte, liebte, und weder Mühe noch Kosten sparte, schon da, als ich noch ein Page hieß, einen Ritter aus mir zu bilden.

Ich bildete mir nicht wenig auf meine erlangten Geschicklichkeiten ein, alle meine jungen Gefärten, selbst Kunzmann, der Sohn des alten Hertingshausen, haßten mich um des Stolzes willen, mit welchem ich meine Vorzüge zur Schau trug, und ein Degen, den mir der Kaiser zu tragen vergönnte, und der mich vollends vor allen Jünglingen meines Alters auszeichnete, brachte ihren Neid auf den höchsten Gipfel, man nannte mich nur den wehrhaften Edelknaben, und ich prangte mit diesem Titel, ungeachtet man ihn zu meiner Verspottung ersonnen hatte.

Die Begierde es in ritterlichen Uebungen immer weiter zu bringen und meinem Herrn treu zu dienen, beschäftigte meine ganze Seele, alles übrige achtete ich nicht. Man wußte, daß ich Wenzels Liebling war, und scheute sich also, mir, der ich meinem Herrn nichts verschwieg, etwas von demjenigen hören zu lassen, wovon ganz Prag, wovon das ganze Land voll war, von dem Abscheu, mit welchem man Wenzels Ausschweifungen anzusehen begunte. Nicht jedermann hatte den Glauben[83] meines einfältigen Herzens, einem Fürsten seyen Dinge erlaubt, welche an jedem andern bestraft werden müßten, man haßte, man verachtete ihn und sann darauf seiner los zu werden.

Erst spät wurde der träge, fast nie seiner selbst bewußte Kaiser dessen inne. Es war, als er endlich aufmerksam ward, bereits so weit gekommen, daß er sich in Prag nicht mehr sicher halten konnte, und sich einst in einer Nacht mit einem kleinen Ausschuß seiner treusten Leute, unter welchen ich freilich nicht fehlen durfte, nach einem wenig Stunden von Prag erbauten Schlosse floh, das er Kunradsburg genannt, und in Rücksicht auf den Fall, der sich jetzt zutrug, stark befestigt hatte.

Hier erst war es, wo ich die Ursach unserer schleunigen Flucht erfuhr. Ich erstaunte zu hören, daß auch ein Kaiser von Gefahren bedroht werden könnte, und fand bey meinen gränzenlosen Begriffen von den Vorrechten der Majestät die Sache so entsetzlich, daß ich Wenzeln, der sich herabließ, mich selbst von der Lage seiner Sachen zu unterrichten, feyerlich schwur, ihn mit meinem guten Schwerdte bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen.

Wenzel lachte, und gab mir einen gutgemeinten Schimpfnahmen, mit welchem er mich oft beehrte. Wenn es so weit kommen sollte, daß du mein einiger Vertheidiger wärst, sagte er, so müste[84] es schlimm genug mit mir stehen. Laß dein Schwerd in seiner Scheide, laß deine Fäuste ruhen, und gebrauche deine Ohren, lausche wo du zween heimlich mit einander reden siehst, stelle dich schlafend wenn andere wachen, schimpf und schmähe auf mich, gieb vor, ich habe dich geschlagen, du hassest mich, du wünschest meinen Tod, und man wird dir trauen, du wirst alles erfahren, mir alles entdecken, und wir werden sicher seyn.

Ich fand die Rathschläge meines Herrn meinen Gesinnungen so zuwider, verließ mich so fest auf die Macht meines Schwerds, daß ich jede Gelegenheit ihm auf andere Art zu dienen aus der Acht ließ, und da wir uns nur vor heimlich schleichender List zu fürchten hatten, immer nur auf offenbare Gewalt lauerte.

Die Erbitterung des Volks gegen Wenzeln wuchs. Bald nach seinem Abzug nach Kunradsburg waren drei der vornehmsten unter den Misvergnügten auf seinem Befehl öffentlich hingerichtet worden, und am nämlichen Tage hatte man meinen treuen Lehrmeister, den alten Hertingshausen, auf dem Wege von Kunradsburg nach Prag ermordet gefunden, in der Rinde des Baums, an welchem der Edle gefallen war, stacken zwey Messer, welche mit seinem Blut gefärbt waren, und über denselben waren die Worte mit grober unleserlicher[85] Schrift eingehauen2: Wegen Hochverraths gerichtet von den Freyschöpfen. Jedermann wußte, wer der Urheber dieser That war, nur ich wußte es nicht. Ich lief hinaus, um den Leichnam meines alten Freundes mit meinen Thränen zu netzen, aber man hatte ihn schon dem neugierigen Volk aus den Augen geschaft. Kunzmann, der Sohn des Ermordeten, begegnete mir: siehe, schrie er mir mit einem Blick voll Verzweiflung zu, dies sind die Thaten deines lieben Herrn, dem du so treulich dienst!

Ich war kühn genug, vor den Kaiser zu treten, und ihm das, was mir Kunzmann gesagt hatte, vorzuhalten. Wenzels Zaghaftigkeit war so groß, daß er sich zur Rechtfertigung gegen seinen Diener herab ließ, und ich, der ich jedem glaubte, war leicht zu überzeugen. Du siehst ja, sagte er, daß nicht ich, sondern die Diener des heimlichen Gerichts die Thäter sind. Ob Hertingshausen ein Hochverräther war, das weis ich nicht, aber du siehst wohl aus seinem Exempel, wie auch die geheimsten Verbrechen von der göttlichen Rache verfolgt werden.

Ich glaubte blindlings, was Wenzel sagte,[86] und versprach auch Kunzmann es glauben zu machen. – Des andern Abends als ich in der Dunkelheit durch eines der Vestungsgewölbe ging, bekam ich einen wüthenden Stoß in die Seite, ohne den zu sehen, der mir ihn gab, doch dünkte mich die Stimme, die ich hörte, Kunzmanns zu seyn. Verdammter Klätscher! rief sie mir zu, um deinet willen muß ich fliehen! Ich war zu Boden gefallen, rafte mich auf, sah niemand, sann den Worten nach, die ich gehört hatte, konnte sie nicht begreifen, vergaß sie, und bekümmerte mich wenig drum, als man des nächsten Tages Kunzmann, den ich nie sonderlich geliebt hatte, unter den Edelknaben mißte. Noch vielweniger kam mir es in den Sinn, daß ich seinen Namen unvorsichtig vor dem Kaiser genannt, ihm dessen Verfolgung zugezogen, und dadurch seine Flucht veranlaßt hatte. – –

Die Beyspiele der kaiserlichen Rache machten, daß man noch behutsamer ward, als zuvor. Wenzel ward heimlich gehaßt, und öffentlich geschmeichelt, mich fürchtete man, und verbarg jeden verdächtigen Schein vor meinen Augen, und so geschah es, daß der Herr und Diener wieder in ihre ehemalige Sicherheit gewiegt wurden.

Wenzel getraute sich noch nicht wieder nach Prag, aber er fand in den Gegenden von Kunradsburg so viel Gelegenheit seinen Lieblingsneigungen nachzuhängen, daß er sich nicht von diesem[87] Orte, der wahrlich zu schön für einen sinnlosen Schwelger war, hinweg sehnte.

Es gab unterschiedliche Klosterherren in unserm Bezirk, welche sich so gut in des Kaisers Weisen zu finden wußten, daß sie sehr fleißig von ihm auf alle Pokale eingeladen wurden, und ihn eben so oft auf ähnliche Art bewirtheten. Wenzel war eben kein sonderlicher Freund der Geistlichkeit, aber ihr Wein war gut, und mehr brauchte es nicht, allen heimlichen Groll gegen sie aufzuheben, und ihn zu veranlassen, mit ihnen wie ein Bruder zu leben.

Auf einem dieser Gelage zu Kloster Braunau war es, daß ihm seine Feinde, vermuthlich mit Hülfe seiner freundlichen Wirthe, überfielen, und ihn gefangen nach Prag führten. Ich war nicht gegenwärtig, meine zunehmenden Jahre machten, daß ich des Kaisers Ausschweifungen nicht mehr mit der kindischen Einfalt, wie vormals, ansehen konnte, sein Anblick, wenn er berauscht war, war mir abscheulich, und die Gesellschaft von einem Dutzend trunkner Mönche gab denen Auftritten, welche alsdenn erfolgten, einen so häßlichen Zusatz, daß ich, der ich dergleichen oft genug hatte ansehen müssen, froh war, daß ich mich diesmal von der Mitreise nach Braunau hatte losmachen und an dessen statt einen Ritt auf die Jagd thun können. Das Geschrey von des Kaisers Gefangenschaft[88] kam mir bey meiner Rückkunft entgegen. Mein Eifer für meinen Herrn erwachte, Liebe und Dankbarkeit rissen mich zur Rettung desjenigen hin, welcher keins von beyden verdiente; ich lenkte mein Roß nach der Stadt, ich hofte, die Schaar, welche Wenzeln entführt hatte, noch zu ereilen, und versprach mir Wunderdinge von meiner Tapferkeit. Auf dem Wege nach Prag, so wie in der Stadt selbst, war alles stille.

Ich sank unter dem Thor athemlos vom Pferde, man erquickte mich, und fragte, was mir fehle, ich sprach laut von der Gefangenschaft meines Herrn, und fragte, wo er sey. Um Gottes willen schweiget, sagte einer von der Wache, Gott sey Dank, wir haben ihn, und ich denke, ihr werdet nicht der einzige seyn, den dieses nicht freuen solle; aber es darf jetzt noch nichts davon auskommen, er hat zu viel Anhänger unter dem Pöbel.

Mehr brauchte ich nicht zu wissen; ich riß mich loß, entrann in die Straßen der Stadt, rief Wenzels Gefangenschaft und meinen Wunsch ihn zu befreyen aus, und ehe man mir wehren konnte, hatte ich einen Trupp vom Pöbel hinter mir, welche mich vor dem Thurm, in welchen man den Kaiser gebracht hatte, begleiteten, und schwuren, sie wollten ihren gütigen gelinden Herrn, den Schüzer der Freyheit des Volkes retten oder sterben.[89]

Gewiß hatte Niemand mehr Ursach mit Wenzeln zufrieden zu seyn, als der niedrigste Theil seiner Unterthanen; ihre Armuth schützte sie für den Erpressungen, die die Reichen erfahren mußten, er gestattete ihnen alle Freyheit, und scheute sich nicht dem Niedrigsten, wenn es die Gelegenheit gab, ein volles Glas zuzutrinken; auch wußte er ihnen auf Unkosten der Reichen wohlfeil Brod zu verschaffen, ohne daß er Schaden davon hatte.

Diese Thaten wurden auf unserm Zuge nach Wenzels Gefängniß himmelan erhoben, und der Angriff mit solchem Ernst gethan, daß nur etwas mehr Nachdruck und ein besserer Führer nöthig gewesen wär, um völlig zu siegen; aber – wir wurden bald aus einander getrieben, und der ganze Vortheil, den ich von meiner Unternehmung hatte, war, daß ich nun die Gefangenschaft mit meinem Herrn theilen konnte.

Auch dieses war mir Trost. Ich hofte nichts gewissers als zu ihm gebracht zu werden, und aus seinem Munde das Lob meiner Treue zu hören; aber meine Erwartung ward getäuscht, man warf mich in ein häßliches Gefängniß, welches ich nicht ehe verließ, als bis der Kaiser das seinige ohne meine Hülfe verlassen hatte. Ein Umstand, der mich in dem Innersten meiner Seele kränkte. Der Einfall sich unter dem Vorwand des Badens in dem Fluß hinaus zu stehlen, sich durch Schwimmen,[90] oder vermittelst eines Kahns zu retten, war ja so leicht, so natürlich, warum hatte ich ihn doch nicht gehabt! Ich misgönnte Susannen die Rolle, die sie bey dieser merkwürdigen Entkommung gespielt hatte, und ärgerte mich, daß jemand meinem Herrn beßre Dienste leisten sollte als ich. – Auch ich ward nunmehr frey, man fieng entweder von neuem an sich vor Wenzeln zu fürchten, und getraute sich nicht seine Diener weiter zu beleidigen, oder man hielt meine Person für zu unwichtig, mich, nachdem er los war, noch länger zu halten.

Ich eilte nach Kunradsburg, entdeckte meinem Herrn, was ich gethan hatte, und was mir wiederfahren war, aber statt des erwarteten Lobes über meine That, oder wenigstens Mitleids wegen meines Unglücks, bekam ich finstre Mienen und Scheltworte. Meine Ungeschicklichkeit war die einige Ursach meines Unfalls, ich hätte die Sache so klug anfangen sollen wie Susanne, ich sollte mich schämen von einem Weibe übertroffen zu werden, und was der schimpflichen Reden mehr waren.

Ich brannte vor Verlangen, die Heldinn Susanne zu sehen, welche hier durchgängig genannt und gefeyert wurde. Auch hier betrog mich meine Erwartung, ich sahe eine plumpe ungeschickte Kreatur, anstatt der Schönheit, wozu die Liebe des Kaisers und die Schmeicheleien der Hofleute sie[91] machten, und erfuhr, daß ihr ganzes Verdienst um Wenzels Leben in ein paar Armen bestand, welchen es nicht an Stärke zum Rudern gebrach.

Ich konnte meine Geringschätzung dieses Weibes nicht bergen, und verlor dadurch sehr viel in der Gnade meines Herrn, auch beliebte es ihm zuweilen gar eifersüchtig auf mich zu seyn. Ich war ein schlanker Junge von sechszehn Jahren, und die Bademagd hatte es einesmals sich einfallen lassen, mich schön zu nennen; Dinge, welche mir verachteten Unwillen abnöthigten und mein Herz mehr als zur Hälfte von meinem Herrn abwandte.

Der Kaiser konnte mich jetzt so wohl entbehren, daß ich ganze Tage in den Wäldern auf der Jagd zubringen durfte, ohne sonderlich vermißt zu werden. An einem von diesen Tagen war es, daß Wenzel zum zweitenmal in die Hände seiner Feinde kam. Ich hütete mich wohl, diesesmal meine vorige alberne Rolle, zu spielen. Die Rettung des Kaisers war in meinem Herzen beschlossen, aber nicht Liebe und Dankbarkeit, sondern Ehrgeiz war es, was mich dazu antrieb; ich wollte das Andenken eines mislungenen Versuchs verlöschen, und den Schimpf von mir wälzen, daß ein Weib mehr vermocht habe als ich, es war mir unausstehlich, mit Wenzels unwürdiger Geliebten auf die entfernteste Art verglichen zu werden, daher ich auch jede[92] Art der Rettung verwarf, welche mit ihrer Geschichte einige Aehnlichkeit hatte.

Und doch wollte es das Schicksal, daß ich sie endlich kopiren mußte. Alle Anschläge, Wenzeln aus dem Prager Thurm zu bringen, verunglückten; es ergab sich, daß ich lange Zeit, Mühe, List und Bestechung verschwendet hatte, ihn aus diesem Kerker zu bringen, als er schon nach Krumlau gebracht war, und auch hier war alles was ich versuchte vergebens, bis ich mich zu dem Susannens Mittel entschloß, welches ich vermeiden wollte.

Ich gewann einen Fischer, wir ruderten des Nachts unter die Fenster seines Kerkers, welche zum Glück nicht vergittert waren, meine Stimme machte ihm kund, daß seine Rettung vor der Thür sey. Es war ein großes Netz aufs Wasser gespannt, und seine Majestät ersucht, sich hinein zu stürzen; wir mußten verschiedene Nächte unsere Operation erneuern, ehe sich der träge Wenzel entschließen konnte einen so gewaltsamen Sprung zu thun. Des dritten Abends kam uns der Wein zu Hülfe, und ich weiß noch bis diese Stunde nicht ob freyer Wille oder die Dünste seines Lieblingsgetränks ihn in unsere Arme stürzten, genug er war gerettet, und klagte, anstatt uns zu danken, über den schweren Fall, den er gethan habe, versagte dem Fischer die Belohnung, die ich ihm[93] versprochen hatte, und würde gewiß durch ihn seinen Feinden wieder ausgeliefert worden seyn, wenn ich nicht unsern geizigen Führer durch einige kleine Geschenke für den gegenwärtigen Augenblick befriedigt, und ihm gesagt hätte, er möchte sich in Ansehung der Zukunft nicht auf den Kaiser, sondern auf mich verlassen.

Wenzel achtete nicht auf die Beschimpfung, welche darinn lag, daß durch dieses Erbieten unser Führer so gleich gestillt wurde, schien es nicht zu fühlen, daß das Wort seines Dieners mehr galt als das seinige. Er rieb seinen Wanst und seine Lenden, und murrte über die Schmerzen des Falles bis ans gegenseitige Ufer.

Ich lieferte ihn in Susannens Hände, welche ihn öhlte und salbte bis an den dritten Tag, da er wieder genaß, und nun erst sich gefallen ließ, mir eine Art von Dank für das, was ich für ihn gewagt hatte, wiederfahren zu lassen. – –

Herrmann, sagte er, ich bin mit dir zufrieden, du bist klug genug gewesen, mit deinem Netze den größten Fisch im ganzen Reiche zu fangen, wirst du dein Handwerk fortsetzen, wirst du dein Netz weiter ausspannen und auch meine Feinde damit zu bestricken wissen, so will ich dich mit Reichthümern überschütten, und du sollst des Fischens nicht mehr bedürfen.[94]

Ich verstand, was seine Majestät mit ihrer Bildersprache sagen wollten, ich bat um Bedenkzeit, und gestand, daß ich im Grunde mehr Geschick zu ofner Fehde, als zu heimlicher List in mir fühlte.

Das Glück war indessen auf meiner Seite. Es fehlte uns nicht an Ueberläufern aus Prag, wir erfuhren, daß man anfieng, ernstliche Anschläge auf Kunradsburg zu machen, da es nicht wahrscheinlich war, daß Wenzel nach dem, was er erfahren hatte, sich noch einmal ausser seinem Schlosse würde betreten lassen. Es war zu vermuthen, daß man bereits auf einen neuen Kaiser bedacht war, und daß der Tag, an welchem Wenzel zum drittenmal in die Hände seiner Feinde fallen würde, zum Tage seines Todes bestimmt sey. Prag ward stark bevestigt, um es nicht wider uns (deren Macht man nicht sehr fürchtete) sondern wider manche andere Hände zu vertheidigen, welche sich nach Wenzels Tode nach der Krone ausstrecken würden. Täglich rückte neue Mannschaft in die Stadt, und wir hatten Nachricht, daß man in kurzem eine ansehnliche Verstärkung aus Ungarn vom König Siegmund erwartete.

König Siegmund war Wenzels Bruder, er hatte nach des Kaisers Tode das nächste Recht zur böhmischen Krone, aber ob dieses gleich ein Grund für den ausgearteten Kaiser war, ihn zu[95] hassen, so war doch jener viel zu edel, diesen Haß durch Anschläge auf seines Bruders Leben, oder durch Begierde nach seinem Throne zu verdienen, und er hatte wahrscheinlich sich nur darum entschlossen Wenzels misvergnügen Unterthanen Hülfe zu schicken, damit man im Stande seyn möchte, seinen Ausschweifungen ein wenig Einhalt zu thun, und ihm die Bedingungen vorzuschreiben, unter welchen er den Thron vom neuem besteigen sollte, wie böse es die Böhmen mit ihrem Herrn im Sinne hatten, das war ihm wahrscheinlich unbekannt.

Ich hatte genug von dem König von Ungarn gehört, um diese Meynung von ihm zu fassen, und es gelang mir auch meinem Herrn dieselbe beyzubringen. Er entschloß sich an seinen Bruder zu schreiben, und ihn um Hülfe zu bitten.

»Auch du, so schrieb er, auch du bist wider mich? – O denke an unsern Vater zurück; suche das nicht an dich zu reißen, was er mir zutheilte, brauche deine Macht nicht zu Unterstützung meiner Feinde, nein zu Rettung eines unglücklichen Bruders.«

Kaiser Wenzels Hof war jetzt so verlassen, so arm an würdigen Männern, daß die Ueberbringung eines Briefs von solcher Wichtigkeit, mir, einem siebzehnjährigen Edelknaben aufgetragen ward, doch dünkt mich, ein anderer hätte schwerlich[96] seinen Auftrag so gut ausrichten können als ich; mein mündlicher Vortrag ersetzte das, was dem Briefe mangelte, und die Treue für meinen Herrn, welche aus jeden meiner Worte sprach, nahm Siegmunden für Wenzels böse Sache ein. Ein Herr, der solche Diener hat, sagte er, kann nicht ganz der verworfene Mensch seyn, zu den Wenzeln das Gerücht macht.

Die Bitte des Kaisers ward gewährt. König Siegmund prüfte mich, und ich fand Gnade vor seinen Augen, nur meine Jugend hinderte es, daß er mir nicht das Kommando über die Völker auftrug, welche er seinem Bruder schickte. Ich ward dem Anführer, einem vornehmen versuchten Kriegsmanne, besonders empfohlen, und dieser war herablassend genug, meine Meynung über die Ausführung unsers Anschlags zu hören, und sie seines Beyfalls zu würdigen.

Die Prager hatten Hülfsvölker von König Siegmund erwartet; als solche stellten wir uns ein, und wir befanden uns schon mitten in der Stadt, als wir uns erst als Feinde kund gaben. Die Eroberung des Schlosses Wischerad, war nach der Meynung unsers Führers, das vornehmste, auf was wir zu denken hatten. Es kostete Blut, aber endlich sahen wir uns doch Meister von dieser Festung, und Kaiser Wenzel, der von jedem unserer[97] Schritte Nachricht hatte, war nahe genug, um auf unserm ersten Wink Besitz davon zu nehmen.

Er zeigte sich unter einer ansehnlichen Bedeckung dem Volke von der Zinne der Festung, er hatte sich diesen Tag den Genuß des Weins versagt, und war also nüchtern genug, mit Nachdruck zu ihnen zu reden. Man huldigte ihm von neuem. Es ward eine allgemeine Verzeihung ausgerufen, und zur Bestätigung derselben alle Große der Stadt zum kaiserlichen Mahle eingeladen. – Mein Herz hüpfte bey der Vorstellung eines solchen Friedensfests; ich fand Wenzeln zum erstenmale in meinem Leben groß, seines Standes würdig, weil er so bereitwillig war, seinen Feinden zu verzeihen. Ich sank zu seinen Füßen, als wollte ich ihm für die Gnade danken, die er andern erzeigte; immer hatte ich mich vor den Scenen der Grausamkeit gescheut, welchen ich entgegen sah, wenn Prag wieder in Wenzels Hände kommen sollte, es entzückte mich, so angenehm getäuscht zu seyn.

Der Kaiser stieß mich ungestüm von sich, und nannte mich einen läppischen Jungen. Ich konnte mir es nicht erklären, was ihm die Aeußerung meiner Empfindungen so widrig machte, bis am Ende des Gastmahls, auf welches ich mich so gefreut hatte. Freilich konnte Wenzel den Dank nicht anders als mit Unwillen von mir annehmen, den er so schlecht verdiente![98]

Man saß in tiefen Frieden bey der Tafel. Der Wein begunte die Herzen fröhlich zu machen. Die ehrlichen Prager sagten auf Anforderung ihres neugehuldigten Herrn, was sie in seiner künftigen Regierung abgestellt zu sehen wünschten. Wenzel versprach alles, und die getäuschten Männer gelobten ihm auf diese Bedingung die unbegränzte Liebe, die ewige Treue seines Volks.

Der Kaiser ergriff den Pokal und trank zur Bestätigung des Friedensbunds, die Männer thaten Bescheid; aber ach, dies war das Signal zu ihrem Tode. Zwanzig Schwerdter fuhren hinter ihnen aus der Scheide, der größte Theil von ihnen fiel, ehe er Gefahr ahndete, und Ströme von Blut quollen unter den verschütteten Wein.

Es ist unmöglich meine Empfindungen bei diesem Anblicke zu beschreiben. Das Entsetzen machte mich Anfangs unbeweglich; mein erster Gedanke, als ich mich wieder besinnen konnte, war, Wenzeln um Gnade für diese Unglücklichen zu bitten; der zweyte ihnen mit meinem Schwerd an die Seite zu treten, und da mir die Fruchtlosigkeit beider Rettungsmittel in die Augen leuchtete, da in dem nemlichen Augenblick der Mordstahl einen guten achtzigjahrigen Greis, den ich immer wegen seines frommen redlichen Heiligengesichts geliebt hatte, an meiner Seite traf, ohne daß meine ausgebreiteten[99] Arme ihn schützen konnten, da sank auch ich ohne Empfindung zu Boden; der Sturm meiner Gefühle, die Ueberraschung, das Entsetzen war zu groß, ich war jung, hatte wohl Feindes Blut, aber nie das Blut der sichern Unschuld bey einem Freudenmahle fließen sehen; tadelt meine Schwachheit nicht, ich mußte unterliegen!

O mit euren übel angebrachten Entschuldigungen! schrie Münster, was wird wohl in der Welt Lob verdienen, wenn hier Tadel statt finden kann!

Und doch tadelte man mich, fuhr Herrmann fort. Wenzel nannte mich einen weibischen Gecken, der kein Blut sehen könnte, und verbot mir auf drey Tage den Hof. – Ich sehnte mich nicht diese Mördergrube wieder zu besuchen, mein Herz war gänzlich von meinem Herrn abgewandt, und ich entdeckte dem Führer der ungarischen Völker, welcher der eine war, der mich in meiner Verbannung besuchte, den Wunsch, in die Dienste seines Königs aufgenommen zu werden.

Der tapfre Krieger, der mich liebte, rieth mir vor der Hand zu bleiben wo ich sey. Ihr seht den gestrigen Auftritt, sagte er, mit zu strengen Augen an, Staatsursachen rechtfertigen manches, das den Anschein des Unrechts hat, es war dem Kaiser allerdings nicht zu rathen, die Rebellen ganz ungestraft zu lassen.[100]

Ich beantwortete eine lange Apologie, die mein Freund hier einer unverantwortlichen That machte, mit Stillschweigen; ich sahe wohl, daß die Welt, daß auch der bessere Theil derselben, über gewisse Dinge ganz anders denke, als die unerfahrne Unschuld.

Es gelang dem Redner, vermittelst der Gewalt die er über mein Herz hatte, mich zu bereden, Wenzeln eine Sache zu verzeihen, die ich nicht zu beurtheilen im Stande sey, seine Gnade anzunehmen, wenn er sie mir so wie zuvor gönnen wollte, die Macht, die ich ohnstreitig über ihn habe, zu gebrauchen, und mich durch eine unzeitige Entfernung nicht um die Belohnung zu bringen, welche er mir für meine geleisteten Dienste schuldig sey.

Ich erschien nach Endigung des gesetzten Termins, den ich gern verlängert gesehen hätte, wieder bey Hofe. Das auszeichnete Wohlwollen, mit welchem mir der Kaiser begegnete, fesselte mich von neuem, und die Urtheile, welche über die Getödteten gefällt wurden, brachten es endlich dahin, daß ich mich entschloß, vor dem Andenken an den Auftritt jener entsetzlichen Nacht meine Seele zu verschliessen, damit mein Glaube, den Hingerichteten sey recht geschehen, nicht wankend gemacht werde.

Wenzel schien jetzt eine neue Epoche seines Lebens anfangen und sich ernstlich bessern zu wollen.[101] Es gab ganze Tage, in welchen er nüchtern war, sein Zechgenosse, der Fürst von Ratibor, den das Volk haßte, blieb zu Kunradsburg, weder Susanne, noch die andern feilen Dirnen kamen zum Vorschein, und man sprach von einer Vermählung mit Sophien, der Tochter des Herzogs von Bayern.

Das ganze Land jauchzte über diesen letzten Entschluß, und jedermann behauptete, eine tugendhafte Gemahlin werde Wenzeln völlig bessern. Auch ich fühlte mich, so wie jeder andere, von neuer Hofnung belebt, von neuem zu meinem Herrn hingezogen. Ich sah einem ganz veränderten Leben an dem Hofe, der mir vor kurzem anfieng so verhaßt zu werden, entge gen, und schwur, ihn nie zu verlassen, ein Gelübde, das ich mit gutem Gewissen brechen kann, da meine Hoffnung so getäuscht ward.

Sophie, die reizende tugendhafte Sophie, ist nun unsre Kaiserin, aber wie schwach sind die Spuren der Besserung, die sie bewirken sollte? – Schon am Vermählungsfeste kam der Fürst von Ratibor, und mit ihm die alten Auftritte der Schwelgerey wieder zum Vorschein. – Hinter ihm her schlich die verworfene Susanne. Wenzel begieng die unbegreifliche Frechheit sie seiner Gemahlin vor die Augen zu bringen. – O Münster, ich könnte euch Auftritte erzählen! – Die unglückliche Sophie![102]

Doch wo denke ich hin? ich erzähle meine Geschichte, und nicht die ihrige! – Auch ist die meinige nunmehr zu Ende. Die wichtigste Begebenheit meines Lebens, Idas Erscheinung! meine Liebe zu ihr, mein Unglück! Die Nothwendigkeit sie und den Hof zu verlassen! O Vater, ihr wißt dieses alles! Laßt mich aufhören!

Ihr habt vergessen, sprach Münster, der Belohnung zu gedenken, die euch euer Herr für eure Dienste schuldig war, und die ihr nach dem Rathe eures ungarschen Freundes, hier abwarten solltet.

Der höhnische Blick, mit dem ihr dieses sagt, erwiederte Herrmann, bezeichnet die Meinung eurer Worte. – Ich erinnere mich wohl, daß mir einst in einem Rausch von Wein und Dankbarkeit, das erste erledigte große Reichslehn versprochen ward; ein Versprechen, dessen Sinn, wenn ich es mit meiner Person zusammen dachte, ich nicht recht einsehen konnte. Wenzel mochte damit sagen wollen, was ihm beliebte, so dünkte es mich auf alle Fälle zu groß; ich lehnte es mit vieler Demuth ab, und bat um eine anständige Stelle bey der Armee. Mir ward anstatt des Gebetenen, eine erledigte Kammerjunkerstelle zu Theil, der Anfang, und vermuthlich auch das Ende alles dessen, was ich hier zu erwarten habe. Zwar ich irre, ist das Ritterschwerd und die Erlaubniß mein Glück zu suchen, wo ich will, für nichts zu rechnen? –[103]

Eine lange Pause folgte hierauf. Münster und sein junger Freund schienen ganz in Gedanken verloren zu seyn. Herrmann riß sich endlich aus seinem schwermüthigen Nachdenken empor, und legte seinem treuherzigen Rathgeber seinen Entschluß vor, in Königs Siegmunds Dienste zu gehen, dem er nicht unbekannt sey, und an dessen Hofe er den Ungarschen Heerführer zum Freunde habe, dessen wir im Vorhergehenden gedacht haben, und von dem Herrmann selbst noch nicht wußte, daß er einer der Größten des Reichs war.

Der alte Münster billigte diesen Plan, versprach, ihm einen von seinen treuesten Knechten mitzugeben, welcher auch ehemahl unter König Siegmunden Kriegsdienste gethan habe, und man trennte sich für diesen Abend.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 76-104.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon